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„Bewahre uns vor einem zu engen Horizont“

27. August 2013

Christen sind Menschen mit einem weiten Horizont. Und die Welt ist mehr als eine Ansammlung von Hindernissen auf dem Weg zum Himmel - meint Heribert Arens von der katholischen Kirche.

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Frau mit FernglasBild: Fotolia/Creativa

In einem Gottesdienst hörte ich die Fürbitte: „Bewahre uns vor einem zu engen Horizont.“ Das war mir aus der Seele gesprochen. Wer an Jesus von Nazareth glaubt, zu dem passt kein enger Horizont. Wer ihm begegnet, der begegnet einer befreienden Weite:

  • Symbolisch wird diese Weite spürbar in den Blindenheilungen:
    die Geheilten können wieder sehen – Nahes und Fernes. Sie erleben Weite.
  • Sünder, von ihrer Umgebung auf ihre Schuld festgelegt, erleben die Weite der Verzeihung: sie dürfen neu anfangen.
  • Heiden, die sich bekehren müssten, sieht Jesus als Lehrmeister „Einen solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden“, sagt er über einen von ihnen
  • Auge um Auge, Zahn um Zahn lautet das unversöhnliche Gesetz. Er ersetzt es, indem er den Horizont zur Liebe weitet.
  • „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ sagt der enge, kleinkarierte Blick. Liebe deinen Nächsten, lädt Jesus ein, mach deinen Horizont weiter!
  • Viele denken nur im engen Horizont dieser Welt: Was ich sehe und begreife, zählt. Dagegen stellt Jesus die Weite des Reiches Gottes, das die irdischen Dimensionen übersteigt.
  • Am Ende des Lebens muss jeder in die Enge des Todes. Jesus hingegen erschließt uns in seiner Auferstehung die Weite des ewigen Lebens.

Der Glaube, den Jesus verkündet, hat mit Weite zu tun, Enge passt da nicht hinein. Darum nennen sich die Kirchen zu Recht katholisch und evangelisch: katholisch heißt: weit offen für alle; evangelisch beruft sich auf die Weite, die Jesus in die Welt gebracht hat.

Wer wirklich katholisch ist, ist auch evangelisch – und wer wirklich evangelisch ist, ist auch katholisch – nicht im Sinn enger konfessioneller Eingrenzung, sondern aus dem Geist des Evangeliums heraus.

Das Wesen Gottes ist Weite, nicht Enge! Er ist allgegenwärtig, allmächtig, er denkt an jeden, er umspannt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

An diesen Gott glauben heißt, sich weiten lassen. Jesus wollte uns Menschen aus Enge befreien und in die Weite Gottes führen. Er wollte Grenzen durchlässig machen – von Mensch zu Mensch und vom Menschen zu Gott.

Die Versuchung zu einem engen Horizont zieht sich ebenso durch die Kirchengeschichte wie die Ermutigung zum weiten Horizont.

  • Sie spiegelt sich im Ringen von Petrus und Paulus darum, unter welchen Bedingungen das Christentum über die Grenzen des Judentums hinausgehen darf.
  • Sie spiegelt sich im Ringen des Franziskus von Assisi mit einer mittelalterlichen Kirche, die moralisch zu weit und sozial zu eng war.
  • Sie spiegelt sich in der nachkonziliaren Kirche, in der die einen die Enge überlieferter Normen und Traditionen höher einschätzen als die Lebendigkeit des Volkes Gottes, und in der sich andererseits die Kirche stark macht für die Armen und ihre Befreiung. Etwa in Lateinamerika.

Die Fürbitte: „Erlöse uns von einem zu engen Horizont!“ ist mir aus der Seele gesprochen, denn sie eröffnet eine Perspektive, die mich als Mensch und als Christ atmen lässt!

Auch im Lebensalltag tun mir Menschen mit Weite gut. Sie haben eine Gelassenheit, die nicht jede Initiative sofort einschnürt: „Lass uns doch mal sehen, was daraus wird!“ „Versuchen wir es einfach mal!“

Sie sind nicht nur auf eigenen Vorteil bedacht, koste es, was es wolle, sondern ihr Blick ist weiter:

  • sie denken an andere Menschen auf der Welt und ihr Wohlergehen;
  • sie wissen, dass man die Schöpfung nicht egoistisch ausbeuten darf.
  • sie leben so in der Welt, dass auch künftigen Generationen in ihr leben können.

Diese Weite wünsche ich mir auch in meiner Kirche: eine Weite, wie Papst Johannes XXIII. sie in die Kirche gebracht hat. Er berief das zweite Vatikanische Konzil ein, das der Kirche neue Horizonte erschlossen hat:

  • eine neue Beziehung zur Welt, die mehr ist, als eine Ansammlung von Hindernissen auf dem Weg zum Himmel.
  • eine neue Beziehung zu den Begabungen der Laien in der Kirche, die ernst genommen sein sollen und wollen.

„Erlöse uns von einem zu engen Horizont!“ – eine sympathische Bitte!

Titel: Pater Heribert Arens OFM, Geismar, Kloster Hülfensberg Schlagworte: Arens, Wort zum Sonntag Wer hat das Bild gemacht?: Katholisches Hörfunkreferat für Deutschlandradio und Deutsche Welle, Heribert Arens,
Pater Heribert Arens ofmBild: Heribert Arens

Zum Autor : Heribert Arens ist Franziskaner und lebt im Franziskanerkloster Vierzehnheiligen in Oberfranken. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, insbesondere zu Predigt und Spiritualität. Er ist Mitarbeiter bei der Zeitschrift "Der Prediger und Katechet" und Mitglied im Kuratorium für den "Deutschen Predigtpreis".