Bewährung für Vater des Amokläufers
10. Februar 2011Das Landgericht Stuttgart hat den Vater des Amokläufers von Winnenden am Donnerstag (10.02.2011) wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in 13 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilte. Außerdem, so die Richter, habe der Angeklagte gegen das Waffenrecht verstoßen.
Der 52-jährige Unternehmer Jörg K., ein Sportschütze, hatte im Schlafzimmer der Wohnung unverschlossen die Waffe aufbewahrt, mit der sein Sohn Tim K. am 11. März 2009 das Massaker verübte. Der 17-Jährige tötete in seiner früheren Realschule in Winnenden und auf der anschließenden Flucht 15 Menschen und dann sich selbst.
Erstmals Verfahren gegen einen Angehörigen
Es war der erste Prozess in Deutschland, bei dem ein Angehöriger eines Amokläufers vor Gericht stand und bestraft wurde. Mit seinem Urteil blieb das Landgericht knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die zwei Jahre Haft auf Bewährung beantragt hatte. Die meisten der 43 Nebenkläger hatten eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verlangt.
Die Verteidiger des Vaters hatten am Ende des knapp sechsmonatigen Prozesses dafür plädiert, auf eine Strafe zu verzichten. Der Angeklagte und seine Familie litten bereits schwer unter den Folgen des Amoklaufs. Gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung werde man "höchstwahrscheinlich in Revision gehen", kündigte ein Anwalt an.
Am vorletzten Verhandlungstag am 1. Februar war der Angeklagte nach rund drei Monaten Abwesenheit vor Gericht erschienen und hatte sich bei den Angehörigen der Opfer für die Tat seines Sohnes sowie für eigene Fehler entschuldigt. "Ich fühle mich verantwortlich für meinen Sohn Tim und die Fehler, die ich gemacht habe", sagte er und drückte den Hinterbliebenen sein Mitgefühl aus.
Mitschuld des Vaters an Verbrechen
Diese Erklärung rechneten die Richter Jörg K. strafmildernd an. Zugleich erhoben sie aber deutliche Vorwürfe. Zwar sei der Angeklagte nicht verantwortlich für die "monströse Tat" seines Sohnes, betonte der Vorsitzende Richter Reiner Skujat. Aber er trage eine Mitschuld, weil er seinem Sohn eine erlaubnispflichtige Waffe und 285 Schuss Munition überlassen habe.
Zudem sei die Tat für den Vater "erkennbar, vorhersehbar und vermeidbar gewesen". Denn die Familie habe von den Tötungsfantasien des Sohnes gewusst. Im April 2008 und damit knapp ein Jahr vor dem Amoklauf seien die Eltern von den Ärzten der psychiatrischen Klinik in Weinsberg bei Heilbronn entsprechend informiert worden. Dort hatte Tim K. bei einem therapeutischen Gespräch gesagt, er habe einen Hass auf die ganze Welt und stelle sich vor, die ganze Menschheit umzubringen.
Es hätte den Eltern auffallen müssen, dass der "kontaktgestörte" und "psychisch instabile" Tim einer besonderen Problem- und Risikogruppe zuzuordnen war, betonte Skujat. Der Angeklagte hätte seinen Sohn daher vom Schusswaffengebrauch abhalten müssen. Stattdessen habe er Tim nach dem ersten Therapiegespräch sogar zum Schießtraining im Schützenverein mitgenommen.
Ratlosigkeit angesichts der Tat
Das letztendliche Motiv für den Amoklauf glauben aber auch die Stuttgarter Richter nicht ergründet zu haben. Eine "Ratlosigkeit" bleibe, warum Tim K. seine ehemalige Schule aufsuchte und dort "in hemmungsloser Weise" Menschen erschoss, sagte Richter Skujat. Als mögliche Erklärung führte er an, dass Tim K. Egoshooterspiele gespielt habe und Zugang zu Waffen hatte. Dies habe das Amok-Risiko erhöht, zeigte sich der Richter überzeugt.
Autor: Michael Wehling (dpa, afp, dapd, epd)
Redaktion: Dirk Eckert