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Bestellung in Gebärdensprache

Tania Krämer3. Dezember 2012

Gaza-Stadt hat ein besonderes neues Restaurant. Gäste und Personal unterhalten sich dort in Gebärdensprache. Die Köche und Bedienungen sind gehörlos. Ein Projekt, das den Beteiligten echte Perspektiven bietet.

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Der gehörlose Belal Man'ama nimmt Bestellungen auf (Foto: DW/Tania Krämer)
Bild: DW/Tania Krämer

Ein Blick, eine Handbewegung und immer ein Lächeln auf den Lippen - fast lautlos kommuniziert Restaurantmanagerin Ayat Moteer mit ihren Mitarbeitern. Hier, im vor wenigen Wochen eröffneten Restaurant "Atfaluna" in Gaza-Stadt, verständigen sich alle in Gebärdensprache. Die junge Palästinenserin Ayat Moteer und ihr zwölfköpfiges Team sind gehörlos. Das neue Restaurant ist eine Herausforderung - für alle ist es das erste Mal, dass sie auch in der Welt der Hörenden arbeiten. "Ich bin ziemlich glücklich. Damit ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Es ist das erste Restaurant dieser Art in Gaza, das von jungen Gehörlosen wie uns selbst geführt wird", erzählt die 29-jährige Palästinenserin lebhaft in Gebärdensprache.

"Ich hoffe, dass das Restaurant hilft, hörbehinderte Menschen besser in die Gesellschaft zu integrieren", meint Moteer. "Noch immer ist die Barriere hoch." Die junge Palästinenserin weiß, wovon sie spricht. Sie ist seit einem Reitunfall als kleines Kind hörbehindert. Vorurteile abzubauen ist auch das Ziel des UN-Tags der Menschen mit Behinderung, der am Montag (03.12.2012) begangen wird.

Vorurteile gegenüber Gehörlosen

Rund ein Prozent der 1,6 Millionen Menschen im Gazastreifen gelten als hörbehindert. "Vor 20 Jahren war die Einstellung gegenüber Gehörlosen im Gazastreifen noch sehr negativ", erzählt Sharhabeel Al Za'eem, Vorsitzender der Atfaluna-Gesellschaft, der das Restaurant gehört. "Viele haben gedacht, dass Gehörlose auch geistig zurückgeblieben sind. Aber durch unsere Präsenz und konstante Aufklärungsarbeit haben wir das Bild langsam verändert." Die von privaten Stiftungen geförderte Organisation Atfaluna - übersetzt: "Unsere Kinder" - bietet Gehörlosen unter anderem eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Schulausbildung und handwerkliche Berufsausbildungslehrgänge an. Dazu gibt es soziale Dienste und Kurse in palästinensischer Gebärdensprache für Angehörige.

Ayat Moteer gibt Bestellungen in Gebärdensprache weiter (Foto: DW/Tania Krämer)
Ayat Moteer gibt Bestellungen in Gebärdensprache weiterBild: DW/Tania Krämer

Das Restaurant ist nun das neueste Projekt. Dafür haben die jungen Leute sechs Monate lang intensiv Theorie und Praxis gelernt. In der hauseigenen Lehrküche ist die Atmosphäre konzentriert, nur das Klappern der Töpfe ist zu hören, unterbrochen von geschäftigen Diskussionen in Gebärdensprache und häufigem Lachen. Heute geht es um Desserts: Brownies, Crêpes Suzette oder Sahlab, eine palästinensische Spezialität. Maissa Omar, eine zierliche junge Frau, trägt ihre weiße Kochhaube über dem Kopftuch und rührt geduldig die Schokoladenmasse für Brownies. Für sie sei das Restaurant eine echte Chance, einen Beruf zu erlernen, erzählt die 19-Jährige in Gebärdensprache. "Am Anfang war ich etwas unsicher, ob ich das kann. Ich bin sehr schüchtern, aber ich denke, dass ich es schaffen werde", meint sie.

Lippen lesen und Gebärdensprache

Für die jungen Köche, die hier ausgebildet werden, ist es auch eine Chance, auf dem ohnehin schwierigen Arbeitsmarkt einen Job zu finden. Fast jeder zweite junge Mensch im Gazastreifen ist arbeitslos. Und als Gehörloser kommen die Vorurteile hinzu, ob sie in der Welt der Hörenden bestehen können. "Ja, es gibt da schon eine Angstbarriere, mit Leuten zu tun zu haben, die sprechen und hören können", erzählt Kochlehrling Omar Al Rantisi. Aber die Ausbildung gebe ihm genug Selbstvertrauen, es doch zu versuchen.

Die Lehrküche von Atfaluna (Foto: DW/Tania Krämer)
Die Lehrküche von AtfalunaBild: DW/Tania Krämer

Im neuen Restaurant ist von Unsicherheit kaum etwas zu spüren. Um die Mittagszeit ist das "Atfaluna" gut besucht. An einem Tisch kommuniziert eine Gruppe junger Frauen lebhaft in Gebärdensprache, an einem anderen findet ein Geschäftsessen statt. Wer keine Gebärdensprache kann, zeigt auf das Gericht, das er bestellen will. Belal Al Man'ama nimmt die Bestellung auf, Extrawünsche inklusive. "Unser Vorteil ist es, dass wir gelernt haben, uns genau zu konzentrieren, vor allem wenn wir es mit hörenden Menschen zu tun haben. Das ist ein Vorteil, wenn es darum geht, sich um Gäste zu kümmern", erzählt der 22-Jährige und ist auch schon wieder auf dem Weg zur Küche, um die Bestellung durchzugeben.

Für die Gäste ist es eine neue Erfahrung. "Ich habe davon gehört und war neugierig. Ja, es ist nett und das Essen ist sehr lecker", meint ein junger Gast. Wenn es doch mal Verständigungsprobleme gibt, hilft Geduld - oder den Wunsch des Gastes sprichwörtlich von den Lippen abzulesen, meint Restaurantmanagerin Ayat Moteer. "Meine Aufgabe ist es auch, bei Problemen in der Kommunikation zu helfen, denn ich bin gut im Lippenlesen", erzählt sie selbstbewusst. "Und für den Anfang haben wir auch einen Gebärdendolmetscher, zumindest bis sich alles eingespielt hat."

Schwieriger Alltag in Gaza

Dabei haben sie die erste harte Probe gerade hinter sich. Kurz nach der Eröffnung des Restaurants begann die israelische Armee mit einer achttägigen Militäroffensive gegen die im Gazastreifen regierende Hamas. Das Restaurant musste schließen. Für gehörlose Menschen sind Luftangriffe besonders schwer zu ertragen. "Sie bekommen oft nicht schnell genug mit, wenn ein Kampfjet oder eine Drohne naht, und dann spüren sie plötzlich die Erschütterungen des Angriffs", sagt der Atfaluna-Vorsitzende Sharhabeel Al Za'eem. "Gerade für kleine Kinder ist das traumatisch, sie können gar nicht begreifen, was passiert."

Die Auszubildenden beim Theorie-Unterricht (Foto: DW/Tania Krämer)
Die Auszubildenden beim Theorie-UnterrichtBild: DW/Tania Krämer

Gewalt und militärische Auseinandersetzungen gehören im Gazastreifen fast zum Alltag. Die Rückkehr zur Normalität ist danach nicht einfach. Aber gerade deshalb sei es auch so wichtig, Perspektiven zu schaffen, meint Kellner Belal El Man'ama. Er hat bereits mehrere Ausbildungslehrgänge absolviert, nun hat er die Chance, sein erstes eigenes Geld zu verdienen. "Wir leben von diesem Restaurant, und deshalb tun wir unser Bestes. Wir hoffen sehr, dass wir damit Erfolg haben."