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Die deutsche Blogosphäre

4. Dezember 2009

Ist der Zenit der Blogs überschritten? Wie relevant sind Blogs für die tägliche Berichterstattung? Markus Beckedahl, einer der Internet-Pioniere in Deutschland, und eine Bestandsaufnahme der deutschen Blogosphäre.

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Blogger Markus Beckedahl
Blogger Markus BeckedahlBild: Markus Beckedahl

Einen Artikel über die deutsche Blogosphäre im Jahre 2009 zu schreiben, ist nicht einfach. Aktuelle wissenschaftliche und verlässliche Untersuchungen gibt es nicht, und so hängt vieles von der subjektiven Sichtweise des Autors ab. Alleine die Frage, wieviele Blogs es in Deutschland gibt, ist unbeantwortet. Aber wer kann schon genau definieren, was ein Blog ist. Zählt die MySpace-Seite dazu oder der Twitter-Account? Geht man von den traditionellen Blogs aus, gibt es Schätzungen zufolge zwischen 200.000 und 500.000 im deutschsprachigen Raum.

Blogs als wichtige Knotenpunkte

In früheren Jahren hatte man in Deutschland oft das Gefühl, im Vergleich zu den Nachbarn in einem Blog-Entwicklungsland zu wohnen. Soviele Blogs wie z.B. in Frankreich gibt es in Deutschland nicht. Und vielleicht gab es auch schon mal mehr? Nimmt man die Anzahl der Verlinkungen aus den Deutschen Blog Charts, die wöchentlich die Top 100 meist verlinkten deutschsprachigen Blogs ermittelt, sieht man einen Höhepunkt der deutschen Blogosphäre im Jahre 2007. Seitdem geht es zahlenmäßig nur noch bergab. Ob dies der Zenit der Blog-Welt war, ist umstritten. Möglich ist einerseits eine Verschiebung hin zu den Rändern: Was früher noch fast eine gemeinsame Blog-Community mit ihren großen bekannten Knotenpunkte als Kommunikationszentralen war, verteilt sich immer weiter in kleinere themenorientierte Bereiche.

Ein weiteres überzeugendes Argument ist die Ergänzung durch neue Kommunikationsformen wie Twitter und Facebook. Während man früher noch eigene Blog-Beiträge schrieb, um auf einen Link zu einem guten Artikel an anderer Stelle hin zu weisen, hat man dies heute in wenigen Sekunden in 140 Zeichen über Twitter oder Facebook erledigt. Die sozialen Medien bilden im Zusammenspiel eine immer stärker vernetzte Kommunikationslandschaft, in der viele Blogs aber immer noch einen wichtigen Knotenpunkt darstellen.

Blogs vs. traditionelle Medien

Hinzukommt, dass die deutsche Blogosphäre in Teilen der traditionellen Medien immer noch einen schlechten Ruf hat. Diesen Entwicklungsstand haben andere Blogosphären längst hinter sich gelassen. Bei uns gilt im Gegensatz dazu häufig noch immer: Blogs seien in der Regel nicht relevant, die traditionellen Medien seien ihnen überlegen. Dass die meisten Blogger soziale Netzwerke und Blogs nutzen, um mit Freunden und Gleichgesinnten einfach nur zu kommunizieren, wird dabei gerne übersehen. Auch fehlt bei traditionellen Medien oft noch der Mut, die neue vernetzte Kommunikationslandschaft als Ergänzung zum eigenen Tagesgeschäft zu sehen und gemeinsam mit Lesern und Bloggern zu arbeiten.

Ein weiteres Vorurteil lautet, dass die deutsche Blogosphäre unpolitisch sei. Politische Debatten fänden in Deutschland meist immer noch in den Zeitungen statt. Unsere Zeitungslandschaft ist noch sehr breit aufgestellt. Dies wird sich aber in den nächsten Jahren im Rahmen des Medienwandels ändern. Ein Blick in die Deutschen Blog-Charts zeigt aktuell aber, dass man rund 20 Prozent der meistverlinkten Blogs eindeutig als politisch identifizieren kann.

Blogger gegen Netzzensur

Das politische Erweckungserlebnis hatten die deutschen Blogs spätestens im Frühjahr dieses Jahres, als die Bundesregierung eine Netzzensur-Infrastruktur geschaffen hat. Internetnutzer haben innerhalb von dreieinhalb Tagen über Blogs und Twitter dazu aufgerufen, eine Online-Petition für den Deutschen Bundestag zu unterschreiben. Ziel war es, die kritische Masse von 50.000 Unterstützern zu erreichen, damit diese kritische Position im Bundestag angehört wird. So schnell fand noch nie eine Mobilisierung im Rahmen der Petitionssystems des Deutschen Bundestages statt. Am Ende haben über 134.000 Mitzeichner die Petition unterstützt, die damit die erfolgreichste Petition Deutschlands wurde. Der Protest wurde über Blogs und Twitter organisiert, es wurde zu Mahnwachen aufgerufen, die Aussagen von Politkern wurden schnell widerlegt und eine kritische Gegenöffentlichkeit aufgebaut. Viele Blogger schrieben zum ersten Mal über Politik oder wiesen ihre Leser auf die Petition hin. Das führte dazu, dass zunehmend auch viele Journalisten immer kritischer und informierter wurden und sich zumindest im Netz eine große Opposition gegen das Netzzensur-Gesetz formte.

Die deutsche Blog-Community hat mittlerweile auch viele Offline-Anknüpfungspunkte gefunden. Auf der (vom Autor organisierten) re:publica-Konferenz trafen sich im April 2009 mehr als 1600 Menschen, um über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft zu diskutieren. Fast jedes Wochenende finden irgendwo in Deutschland Barcamps statt, auf denen Menschen in ihrer Region mit anderen zusammenkommen, um themenorientiert oder allgemein über Blogs und soziale Medien zu diskutieren.

Markus Beckedahl, Unternehmer, Blogger und Aktivist für digitale Freiheiten, ist Organisator der re:publica und gilt als einer der deutschen Pioniere in der politischen Kommunikation im Internet. Des weiteren lehrt Markus Beckedahl an der Universität Mannheim. Sein Blog netzpolitik.org erhielt in den vergangenen Jahren mehrere nationale und internationale Auszeichnungen.

Autor: Markus Beckedahl
Redaktion: Petra Füchsel