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Stahl für die Zukunft

Fabian Schmidt19. November 2014

Eine Kooperation zwischen Hochschule und Industrie führt zu Stahllegierungen, die es so vorher nicht gab. Das Ziel: Bleche, die gut formbar, aber auch hochstabil sind.

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Ein Stahlkocher füllt bei der Salzgitter AG in Peine Stahl in eine Horizontale Bandgiessanlage ein (Foto: Ansgar Pudenz/ Deutscher Zukunftspreis)
Die Pilotanlage in Peine läuft seit Februar 2014 im ProbebetriebBild: Ansgar Pudenz

Die Anforderungen an Stähle werden immer komplizierter: Sie sollen einerseits gut formbar sein - damit zum Beispiel Karosseriebauteile einfach herstellbar sind - andererseits aber hochfest, und gleichzeitig möglichst dünn und leicht. Eigentlich stehen diese Wünsche im Widerspruch zueinander. In Peine ist jetzt aber eine Pilot-Gießanlage in Betrieb, die schon bald Produkte aus solchen Speziallegierungen liefern soll. Dafür wurden die Entwickler aus Hochschulen und Industrie jetzt für den Deutschen Zukunftspreis nominiert.

Eine dieser Legierungen ist der High Strength and Ductility oder HSD-Stahl. Dieser Stahl, der einen hohen Mangan Anteil hat, kann gut dehnbar sein, aber auch besonders hart und fest.

Eine Rolle mit fertigen warmgewalztem Stahl aus einer Warmwalzanlage der Salzgitter AG (Foto: Ansgar Pudenz/ Deutscher Zukunftspreis)
Neuartige Stähle vereinigen scheinbar widersprüchliche EigenschaftenBild: Ansgar Pudenz

Ein Stahl - mehrere Festigkeiten

Besonders interessant ist das für die Autoindustrie. Mit HSD-Stahl wäre es etwa möglich, viel leichtere Karosserien zu bauen, weil die Bleche dann dünner sein können als bisher - aber genauso stabil.

Der Haken daran: Bisher gibt es diese Stähle nur in Versuchsmengen. Aber das könnte sich bald ändern, denn seit Ende 2012 läuft bei der Salzgitter AG in Peine eine neuartige Band-Gießanlage. Sie nutzt die sogenannte Belt Casting Technologie (BCT) und wurde aufgebaut von der SMS Siemag AG aus Düsseldorf. Die Anlage ist in der Lage, solche neuartigen Stähle in Form zu bringen – etwas, das mit herkömmlichen Gießverfahren nicht möglich war.

"Wir sind vollständig horizontal im Gießprozess unterwegs", erklärt der Ingenieur Jochen Wans, Leiter des technischen Vertriebs der SMS Siemag bei der Fachkonferenz Stahl 2014 in Düsseldorf am 6. November: "Dadurch gibt es keine Belastung auf das zu gießende Produkt." Der Gießprozess sei also vollständig frei von Spannungen, Zug oder Druck. "So leiten wir das Gießprodukt durch die Maschine und erstarren es."

Weniger Verformung nötig

Im herkömmlichen Verfahren wird Stahl vertikal in Form sogenannter Brammen gegossen. Das sind dicke Metallblöcke, die meist mindestens 15 Zentimeter dick sind und mehrere Meter lang. Diese Brammen werden später zu Blechen gewalzt.

Das hat zwei Nachteile: Erstens werden die Brammen während des Gießens aus der Vertikalen in die Horizontale geleitet. Sie sind dann noch halb-flüssig und werden kurzzeitig gebogen, um dann wieder gerade ausgerichtet zu werden. Das führt zu Spannungen im Inneren des Stahls, der die spätere Qualität beeinträchtigt. Zweitens muss sehr viel gewalzt werden, um aus den dicken Brammen später dünne Bleche zu gewinnen.

Für den Zukunftspreis nominiert: Ulrich Grethe (SMS-Siemag), Burkhard Dahmen (Salzgitter) und Prof. Karl-Heinz Spitzer (Universität Clausthal) (Foto: Ansgar Pudenz/ Deutscher Zukunftspreis)
Nominiert: Ulrich Grethe (SMS-Siemag), Burkhard Dahmen (Salzgitter) und Prof. Karl-Heinz Spitzer (Universität Clausthal)Bild: Ansger Pudenz/Deutscher Zukunftspreis

Bei dem neuen Gießverfahren gibt es diese Schwierigkeiten nicht: Nichts muss um eine Ecke geleitet werden und die Brammen sind von Anfang an nur noch 1,5 Zentimeter dick. Das schont das Material beim darauffolgenden Warmwalzen - ideal für schwer herzustellende Legierungen, wie etwa HSD-Stähle.

Sauberere Oberflächen

Und noch einen großen Vorteil hat die neue Anlage: Der Gußprozess findet unter Ausschluß von Sauerstoff statt. Der Gußraum ist mit dem Edelgas Argon gefüllt. Dadurch kann der heiße Stahl nicht oxidieren und die Oberflächenqualität wird besser.

Die fertigen Gußplatten kommen erst wieder mit Luft in Berührung, wenn sie erkaltet und erstarrt sind. Auch kommen sie bei der Kühlung nicht mit Wasser in Berührung. Dadurch wird das Innere Gefüge des Stahls sehr gleichmäßig ausgebildet.

Derzeit werden die Platten noch an einem anderen Standort in Salzgitter gewalzt. Bei Erfolg dieses Pilotprojektes kann man sich eine Verknüpfung des Bandgießens und Walzens vorstellen. Die Idee: Die noch heißen Brammen, könnten in Zukunft unmittelbar nach dem Gießen in eine Walzanlage kommen. Bei herkömmlichen Gießverfahren geschieht das zum Teil heute schon.

Fertig gegossene Stahlplatte aus dem horizontalen Bandgiessverfahren (Foto: Ansgar Pudenz/ Deutscher Zukunftspreis)
Die gegossenen Stahlplatten sind nur 1,5 Zentimeter dickBild: Ansger Pudenz/Deutscher Zukunftspreis

Entwicklungsarbeit mit Hochdruck

Seit Ende 2012 läuft die Bandgießanlage im Probebetrieb. Immerhin ist sie für eine Jahresproduktion von 40.000 Tonnen Stahl ausgelegt. Es geht also darum, die Industrietauglichkeit der neuen Technik unter Beweis zu stellen.

In der Anfangsphase wurden dort noch einfachere Baustähle produziert, um die Maschine einzufahren und erst einmal Erfahrungen zu sammeln. Seit Februar 2014 erprobt die Salzgitter AG jetzt auch die Herstellung der anspruchsvollen HSD-Stähle.

"Bis Ende Oktober haben wir insgesamt 76 Güsse durchgeführt, davon 19 Mit Eisen-Mangan Schmelzen", sagt der Ingenieur Peter Juchmann. Er ist als Betriebsdirektor bei der Salzgitter AG für das neue Verfahren verantwortlich. "Am Freitag [14. November 2014] werden wir das 78. Mal gießen und unseren Einfahrbetrieb gezielt fortsetzen."

HSD-Stähle machen noch Schwierigkeiten

Seine Bilanz der ersten neun Monate fällt überwiegend positiv aus: "Die grundsätzliche Verfahrenscharakteristik des Bandgießens hat eine gute Robustheit gezeigt und eine akzeptable Verlässlichkeit. Das können wir bestätigen." Aber es gebe noch einiges zu verbessern: "Die Qualität der HSD-Produkte ist noch nicht so, dass wir sie in ein befriedigendes Warmwalzergebnis überführen können."

Mit anderen Worten: Es wird noch etwas dauern, bis die ersten HSD-Stähle auf den Markt kommen. Aber vielleicht auch nicht mehr so sehr lang: "Wir sind dabei, die Prozesse weiter abzustimmen, um ein befriedigendes Warm-Band-Produkt herauszubringen", sagt Juchmann: "Wir arbeiten mit Hochdruck daran."

Jedenfalls sind alle Beteiligten zuversichtlich, dass dem horizontalen Bandgießen die Zukunft gehört - weil auch andere Stahlsorten damit einfach besser gelingen. Auch Jochen Wans ist von der Technik überzeugt. "Wir als Anlagenbauer sehen den HSD-Stahl als Türöffner für weitere innovative Stahlwerkstoffe, die uns für die Zukunft rüsten."

Erfolgreiche Kooperation von Industrie und Universität

All das wäre nicht möglich gewesen, ohne eine enge Kooperation mit dem Forscherteam von der Technischen Universität Clausthal um Professor Karl-Heinz Spitzer. Er hatte die Vorarbeiten an einer kleinen Versuchsanlage betrieben.

"Die Anlage ist in Clausthal als Pilotanlage betrieben worden. Da sind viele Untersuchungen gemacht worden, die für uns auch die Basis gewesen sind, das Verfahren in den Industriemaßstab zu überführen", sagt Jochen Schlüter, der selbst an dieser Hochschule Metallurgie (Hüttenwesen) studiert hatte, und der heute bei der SMS Siemag für Spezialentwicklungen zuständig ist. "Das ist nicht nur für dieses Projekt ein großer Erfolgsfaktor, sondern auch für den Industriestandort Deutschland - die enge Vernetzung von Hochschulen und Industrie."

Und weil das neue horizontale Gießverfahren auch Produkte aus ganz neuen, bisher industriell nicht genutzten Legierungen ermöglicht, gibt es für die nächsten Studentengenerationen in diesem Bereich sicher noch einiges zu erforschen.