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Besorgnis wegen geplanter Ämter-Rochade

26. September 2011

Der russische Finanzminister tritt zurück. Die Opposition ist empört. Für politische Beobachter kommt der geplante Ämtertausch zwischen Putin und Medwedew nicht unerwartet. Über die Folgen sind sie nicht einig.

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Dmitri Medwedew und Wladimir Putin (Foto: dapd)
Medwedew und Putin im Gleichschritt beim MachtpokerBild: dapd

Zweimal war Wladimir Putin bereits Präsident. Nun will er es erneut wissen. Der jetzige Staatschef Dmitri Medwedew hat auf eine neue Kandidatur verzichtet. Kaum jemand in Russland zweifelt daran, dass Putin erneut Staatsoberhaupt wird, wenn Anfang 2012 ein neuer Präsident gewählt wird. Eine handlungsfähige Opposition gibt es praktisch nicht. Vielen Oppositionsparteien, wie zum Beispiel der liberalen "Partei der Volksfreiheit" (kurz: Parnas), wurde bereits die Registrierung für die bevorstehende Parlamentswahl im Dezember verweigert. Auf die geplante Machtrochade der russischen Führung reagierten Vertreter der Partei mit Empörung.

"In Russland gibt es keine Wahlen"

Der Vorschlag des jetzigen Präsidenten Medwedew bedeute schlicht und einfach, dass Putin der nächste Präsident werde, meinte Ilja Jaschin, Mitglied der Partei "Parnas". "In Russland gibt es praktisch keine Wahlen mehr", sagte er. Seiner Meinung nach werde eine Rückkehr Putins in den Kreml alle bestehenden Probleme weiter verschärfen. Dazu gehörten insbesondere die Armut großer Teile der Bevölkerung, die Korruption in der Verwaltung und die Willkür der Polizei.

Als Worst-Case-Szenario beurteilt auch der Ko-Präsident der "Parnas"-Partei, Boris Nemzow, die geplante Rückkehr Putins an die Macht. Das werde zu weiterer Kapitalflucht aus Russland, zu weiterer Migration von qualifizierten Menschen und noch mehr Rohstoffabhängigkeit des Landes führen. Die Chance auf eine wirtschaftliche Modernisierung Russlands werde damit vertan, sagte Nemzow.

Finanzminister tritt zurück

Der russische Finanzminister Alexej Kudrin (Foto: RIA Novosti)
Sein Widerspruch kostete ihn das Amt: Russlands Finanzminister Alexej KudrinBild: RIA Novosti

Dass Putin zurück auf den Chef-Sessel wolle, sei zu erwarten gewesen, sagte der Politikwissenschaftler Leonid Radsikhowski. "Wirklich neu ist nur, dass Medwedew nun Ministerpräsident wird", so der Kommentar des unabhängigen Experten zu der Ankündigung, dass der bisherige Staatschef quasi im Tausch mit Putin dessen Amt als Regierungschef übernehmen soll. Dagegen regt sich Widerstand. Im Streit mit Medwedew ist am Montag (26.09.2011) der langjährige russische Finanzminister Alexej Kudrin zurückgetreten. Er lehnte den geplanten Ämtertausch ab und kritisierte die Wirtschaftspolitik Medwedews scharf.

Sergej Markow, Politologe und Abgeordneter der Staatsduma für die Regierungspartei "Einiges Russland", zeigt sich nicht überrascht von der Entwicklung: "Hinter dieser Entscheidung steckt eine Logik: Wladimir Putin bleibt der populärste Politiker, und seine Absicht, Präsident zu werden, kann Schwung in die Parlamentswahlen bringen", erklärte er. Dem jetzigen Amtsinhaber Medwedew sei es indes nicht gelungen, erfolgreiche politische Projekte zu initiieren, sagte Markow.

Auf dem Weg in den totalitären Staat?

Die faktische Vererbbarkeit der Macht und die damit verbundene Alternativlosigkeit der Politik ist das, was die meisten Experten in Russland beunruhigt. Einige Beobachter vergleichen den derzeitigen politischen Kurs in Russland mit dem Weg in den Totalitarismus, auf dem sich Libyen und Ägypten eine Zeit lang befanden und den Weißrussland immer noch beschreitet. Es bestehe die Gefahr, in die Fußstapfen von Muammar al-Gaddafi und anderen autoritären Führern zu treten, sagte der Leiter der russischen politischen PR-Agentur "PR-3000", Stanislaw Radkewitsch.

Ein Rollenwechsel von Putin und Medwedew missachte außerdem die Bedürfnisse der politischen Elite nach personeller Erneuerung. Aufstiegschancen für Nachwuchspolitiker würden geringer, wenn die bisherigen Eliten nur auf ihren Ämtern rotierten, meinte Mikhail Winogradow von der unabhängigen russischen Stiftung "Petersburger Politik". "Diese Entscheidung entspricht zwar dem Buchstaben, aber nicht dem Geist der russischen Verfassung", sagte er.

Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow (Foto: DW)
Der Oppositionspolitiker Boris NemzowBild: DW/A.Khan

Boris Nemzow, einer der "Parnas-Parteichefs", glaubt, ein System, das nicht die demokratische Ablösung, sondern faktisch nur die Übergabe der politischen Macht beinhalte, werde die Menschen in Russland zum Widerstand antreiben. "Der Auslöser von Bürgerprotesten und möglichen revolutionären Ereignissen wird Putin selbst sein", sagte der Oppositionspolitiker.

Experten sind da skeptischer. Das Tandem "Putin-Medwedew" werde auch nach der Neuaufstellung die Wirtschaftskrise nicht bewältigen, sagte der Experte Leonid Radsikhowski. Aber das werde nicht zu einer Revolution oder einem Aufstand führen. "Es gibt in Russland derzeit weder Parteien, noch gesellschaftliche Kräfte und Einstellungen, die einen solchen Aufruhr auslösen könnten", lautet seine Diagnose.

Autor: Egor Winogradow, Moskau/ Xenia Polska
Redaktion: Bernd Johann, Reinhard Kleber