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Besorgnis erregende Lage in Äthiopien

Maja Dreyer 9. Juni 2005

Mit ihrem harten Durchgreifen gegen Demonstranten hat die äthiopische Regierung Hoffnungen auf eine Demokratisierung im Land wieder zunichte gemacht. Die vorläufige Bilanz: Über 20 Tote und viele Verletzte.

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Proteste in Addis AbebaBild: AP

Es ist still am Donnerstag in den Straßen von Addis Abeba. Die Geschäfte sind geschlossen, und die blauen Taxis, die sonst jeden Tag die Straßen der Hauptstadt verstopfen, sind nicht zu sehen. Statt dessen prägen Polizei und Armeetruppen das Stadtbild - einen Tag nach dem schlimmsten Blutbad, das Äthiopien in den vergangenen vier Jahren gesehen hat. 22 Tote haben die Ärzte in den Krankenhäusern am Mittwoch gezählt, dazu kommen viele Patienten mit Schussverletzungen. Denn die äthiopische Polizei ging mit aller Härte gegen die Demonstranten vor, mit Genehmigung der Regierungsspitze.

Äthopien Unruhen Geschlossene Geschäfte in Addis Abeba
Bild: AP

500 Festnahmen in drei Tagen

Vorsorglich hatte Premierminister Meles Zenawi bereits direkt nach den Wahlen vor knapp vier Wochen ein landesweites Demonstrationsverbot verhängt. Während der Proteste in den vergangenen drei Tagen wurden 500 Studenten festgenommen. Am Mittwoch schließlich hat die Regierung sieben Journalisten wegen ihrer kritischen Berichterstattung für die Amharisch-Programme der Auslandssender "Deutsche Welle" und "Voice of America" die Arbeitserlaubnis entzogen.

Dass Zenawi gerade bei diesen Journalisten ansetzt, kommt nicht von ungefähr, denn die restlichen Radioprogramme in der Landessprache sind unter staatlicher Kontrolle. Das wissen auch die Äthiopier. "Die internationalen Medien werden normalerweise von den Äthiopiern als die zuverlässigste Informationsquelle gesehen, vor allem die Medien, die wie 'Voice of America' oder die 'Deutsche Welle' in Amharisch senden", berichtet Leonard Vincent von der Organisation "Reporter ohne Grenzen". "Das, was in den letzten Tagen passiert ist, sehr sehr Besorgnis erregend, denn die Äthiopier selbst haben das Gefühl, nun keine zuverlässigen Informationen mehr zu bekommen. Sie haben nur noch die äthiopischen Journalisten, die sich praktisch selbst zensieren."

Äthopien Unruhen Demonstranten in der Nähe von Addis Abeba
Bild: AP

Deutsche-Welle-Programm bevorzugt

Besuchern in der Hauptstadt fällt auf, dass die Taxifahrer extra Kurzwellenradios in ihren Autos installiert haben, um das Programm der internationalen Sender empfangen zu können, darunter auch das einstündige Amharisch-Programm der "Deutschen Welle".

Die wahren Sündenböcke für den bedrohten Frieden sieht die Regierung Zenawis allerdings in den Reihen der Opposition. Sie habe die Demonstranten zu Plünderungen und Übergriffen auf die Polizei angestachelt. Die Oppositionsparteien, allen voran das Bündnis für Einheit und Demokratie, kurz CUD, wehrt allerdings jeden Vorwurf ab.

Wer ist Schuld?

Dass die Opposition an den Aufständen der letzten Tage wahrscheinlich unschuldig ist, bestätigte auch ein Mitarbeiter einer deutschen Organisation, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen zurzeit nicht veröffentlicht wissen möchte. Statt dessen habe die Regierung mit ihrer eigenen Voreiligkeit den Wut des Volkes auf sich gezogen.

Kern des Konflikts ist das Wahlergebnis. Bereits einen Tag nach den Wahlen, als erst ein Drittel der Stimmen ausgezählt war, beanspruchte Premier Meles Zenawi den Sieg für sich und seine Revolutionspartei. Dabei gingen die bis dahin ausgezählten Wahlkreise in der Hauptstadt fast sämtlich an die Opposition. Zenawi hat damit jede weitere Veröffentlichung von Ergebnissen den Boden der Glaubwürdigkeit entrissen. Mittlerweile gibt es zwar ein vorläufigen Ergebnis, das der Regierung eine komfortable Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Parlamentssitze zuspricht. Dagegen hat die Opposition ihre vormals zwölf Sitze unerwartet auf mehr als 150 ausbauen können.

Unruhen in Äthiopien
Bild: AP

Das Volk geht auf die Straße

Die Oppositionsparteien beanspruchen allerdings mindestens 150 weitere Mandate für sich und haben Beschwerde bei der amtlichen Wahlbehörde eingelegt. Bis die Vorwürfe wegen Wahlbetrugs untersucht sind, wird die Bekanntgabe des endgültigen Ergebnisses immer weiter aufgeschoben - und das Volk geht auf die Straße.

Dabei sah es vor wenigen Monaten noch so aus, als sei Äthiopien nach seiner langen Tradition autokratischer Regime vom Kaiserreich bis zur Diktatur endlich auf dem Weg in eine friedliche Demokratie. Zum ersten Mal waren ausländische Wahlbeobachter zugelassen, die Opposition bekam Sendeplätze in den staatlichen Medien und öffentliche Kundgebungen aller Parteien waren an der Tagesordnung. Trotz einiger Unregelmäßigkeiten waren die internationalen Beobachter mit dem Verlauf der Wahlen zufrieden.

Hunger war wahlentscheidend

Aber nicht die Parteiprogramme waren bei dieser Wahl entscheidend, sondern der Hunger. Äthiopien gehört zu den drei ärmsten Staaten Afrikas. Bilder von Dürrekatastrophen oder abgemagerten Kindern und Frauen sind die üblichen Botschaften, die aus dem Land am Horn von Afrika in die Welt hinausgehen. Die meisten Äthiopier erhoffen sich mit der Oppositionspartei ein besseres Leben. So versprach die CUD unter anderem, das Land wieder zu privatisieren, und macht damit den Bauer Hoffnung auf eine eigene Scholle.

Die internationale Gemeinschaft kann nicht an einem instabilen Äthiopien interessiert sein. Als Regionalmacht zwischen den Krisenherden von Somalia und Sudan gelegen spielt das Land eine wichtige Rolle. Premier Zenawi ist außerdem Mitglied der britischen Afrika-Kommission, die sich für besseres Regieren und die Wahrung der Menschenrechte in Afrika einsetzt. Nun kann er in seinem eigenen Land beweisen, wie ernst er es damit meint.