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Berlusconi rudert zurück

13. April 2006

Noch immer will Berlusconi seine Wahlniederlage nicht anerkennen und fordert die Überprüfung von einer Million Stimmen. Vom Vorwurf des Betrugs nahm er Abstand.

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Schlechter Verlierer?Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Zwei Tage nach der Wahl fordert der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Überprüfung von 1,1 Millionen Stimmzetteln der Parlamentswahlen. Es handele sich um ungültige oder nicht eindeutige Stimmen. Protokolle aus 60.000 Wahllokalen sollten genauestens untersucht werden.

Für Berlusconi ist dies die letzte Hoffnung, doch noch im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit zu erringen: Er bekam nach der bisherigen Auszählung in der Kammer nur rund 25.000 Stimmen weniger als sein Herausforderer Romano Prodi.

"Unregelmäßigkeiten"

Zugleich versuchte sich Berlusconi am Donnerstag (13.4.2006) aber von seinem tags zuvor erhobenen Vorwurf des Wahlbetrugs zu distanzieren. Berlusconi hatte bei einem Treffen mit Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi seine Vorwürfe erneuert und von "vielen Betrugsfällen" gesprochen. Einer Sprecher Berlusconis meinte am Donnerstag: "Wir sprechen nicht von Wahlbetrug". Vielmehr gehe es um "Unregelmäßigkeiten".

Nach dem vorläufigen Wahlergebnis des Innenministeriums hat Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis die Wahlen knapp verloren. Die Mitte-Links-Allianz von Oppositionschef Romano Prodi erreichte demnach eine Mehrheit in beiden Kammern. Prodi wies die Vorwürfe Berlusconis empört zurück und sagte: "Wir haben gewonnen und Berlusconi muss nach Hause gehen."

Jahresrückblick April 2006 Wahl Italien Endergebnis Prodi gewinnt in beiden Kammern
Prodi während des WahlkampfesBild: picture-alliance/dpa

Nach Angaben des Innenministeriums kommt Prodis Mitte-Links-Allianz auf 348 von 630 Sitzen im Abgeordnetenhaus, Berlusconis Mitte-Rechts-Lager auf 281 Mandate. Im Senat habe Prodi 158 Sitze gewonnen, Berlusconi 156. Zwar seien noch nicht alle Stimmen von Auslandsitalienern ausgezählt, an dem Ergebnis könnten die fehlenden Stimmen aber nichts mehr ändern, sagte ein Ministeriumssprecher.

Unterdessen trafen erste Glückwünsche bei Prodi ein: Unter anderem gratulierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sowie der designierte SPD-Vorsitzende Kurt Beck. Bundeskanzlerin Angela Merkel drückte die Hoffnung auf eine baldige "stabile und handlungsfähige" neue Regierung in Rom aus. Sie vermied aber, Prodi ausdrücklich als Wahlsieger zu bezeichnen.

Prodi schließt Große Koalition aus

Prodi zeigte sich zuversichtlich, eine vergleichsweise stabile Regierung bilden zu können. "Wir haben eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat erzielt, die es uns erlaubt, mit unserer Koalition fünf Jahre lang zu regieren", sagte er.

Berlusconi hatte zuvor eine Große Koalition nicht ausgeschlossen. "Wir sollten Deutschland als Beispiel nehmen, um die Kräfte zu vereinen", sagte er. Prodi lehnt dagegen eine Große Koalition klar ab. "Unsere Koalition wird regieren", bekräftigte Prodi. Experten in Rom halten eine Große Koalition in Rom für sehr unwahrscheinlich, vor allem wegen der tiefen politischen Differenzen zwischen beiden Lagern.

In Rom hieß es, die Gespräche zur Regierungsbildung könnten erst nach der Wahl eines neuen Staatspräsidenten am 13. Mai beginnen. Der Nachfolger von Staatschef Ciampi werde den Wahlsieger beauftragen, das 61. Nachkriegskabinett zu bilden. Anschließend muss sich der Regierungschef in beiden Parlamentskammern einer Vertrauensabstimmung stellen.

Berlusconi als schlechter Verlierer

Berlusconis Weigerung, seine Niederlage anzuerkennen, stößt zunehmend auf Kritik. In der italienischen Presse erntete Berlusconi wenig Verständnis für seinen Coup. "Vergesst die Neuauszählung und konzentriert euch
auf die wahren Probleme", forderte "Il Messagero" am Mittwoch. Der Mailänder "Corriere della Sera" mahnte die Politiker beider Seiten zu verantwortlichem Verhalten: Berlusconis Koalition müsse ihren Protest in den Schranken der "institutionellen Korrektheit" halten, schrieb die Zeitung.

In Deutschland hat der SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen die Bundesregierung und die Unionsfraktion aufgefordert, sich deutlich von Ministerpräsident Silvio Berlusconi zu distanzieren. "Jemand, der sich am Ende seiner Amtszeit so selbst entlarvt, darf auch in der europäischen Parteienlandschaft nicht unterstützt werden", sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur. Es sei ein ernst zu nehmender Vorgang, dass ein europäischer Staatschef sich weigere, Abschied zu nehmen, obwohl er wisse, dass er verloren habe, sagte Weisskirchen. Berlusconi habe einen Schatten auf Italien geworfen. "Je schneller dieser Schatten verschwindet, umso besser für die Entwicklung Italiens und Europas." (stl/sams)