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"Beobachtungsphase" für Eurotunnel

2. August 2006

Der Verkehr im Eurotunnel kann weiter fließen: Das Handelsgericht in Paris hat der hoch verschuldeten Betreibergesellschaft des britisch-französischen Eurotunnels Gläubigerschutz gewährt.

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Bild: AP

Das Gericht entschied am Mittwoch (2.8.) erwartungsgemäß, das entsprechende Verfahren auf den Weg zu bringen. Eurotunnel will sein Konsolidierungsprogramm fortsetzen, ohne die Forderungen der Gläubiger fürchten zu müssen. Eine Insolvenz des mit mehr als neun Milliarden Euro verschuldeten Unternehmens ist damit zunächst vom Tisch.

"Unvernünftige" Forderungen der Deutschen Bank

Durch den Gerichtsbeschluss muss Eurotunnel ab sofort weder Schulden zurückzahlen noch Zinsen zahlen. Der Betrieb des Tunnels zwischen dem britischen Folkestone und dem französischen Coquelles läuft dagegen normal weiter. Das Gericht legte für die Verhandlungen mit den Gläubigern eine sechsmonatige "Beobachtungsphase" fest. Dabei können die Gläubiger in den kommenden zwei Monaten zunächst ihre Forderungen geltend machen. Buchstäblich bis zur letzten Minute hatten Unternehmensführung und ein Teil der Gläubiger versucht, einen Kompromiss zu finden. Eurotunnel-Chef Jacques Gounon hatte nochmals klargemacht, dass eine Sanierung der Gesellschaft unabdingbar sei. Der Gläubigerschutz sei die "letzte Etappe" auf dem Weg zu Abkommen zwischen beiden Parteien.

Im Zusammenhang mit dem Antrag auf Gläubigerschutz hatte Gounon zuvor gesagt, er verstehe nicht, warum Gläubiger wie die Deutsche Bank ihre "unvernünftigen" Forderungen angesichts der Verantwortung gegenüber den 2300 Beschäftigten und den 800.000 Aktionären aufrechterhalten konnten.

Leichter Zuwachs

Im Mai hatten sich Gläubiger zum Verzicht von 54 Prozent ihrer Außenstände in Höhe von mehr als neun Milliarden Euro aus der Bauzeit des Tunnels bereit erklärt. Im ersten Halbjahr 2006 hatte Eurotunnel seinen Umsatz leicht verbessert. Der Umsatzerlös stieg um zwei Prozent auf 399 Millionen Euro. Dies sei aber allein auf die höheren Fahrpreise zurückzuführen. Der Transport von Lastwagen sei um acht Prozent zurückgegangen. Zudem seien sieben Prozent weniger Personenwagen und 17 Prozent weniger Autobusse durch den Kanaltunnel transportiert worden.

Der 50 Kilometer lange Eurotunnel unter dem Ärmelkanal war am 6. Mai 1994 eröffnet worden. Die gleichnamige Betreibergesellschaft hat von den Regierungen in London und Paris eine Konzession bis zum Jahr 2086, um den Tunnel zu nutzen. Er besteht aus zwei Röhren für Eisenbahnzüge, die bis zu hundert Meter unter der Meeresoberfläche verlaufen. Eine dritte dient zur Versorgung und als Rettungsschacht. 25 Eurotunnel-Shuttle-Züge Eurotunnel brachten 2005 zwei Millionen Autos, 1,3 Millionen Lkw und 77.000 Autobusse mitsamt Insassen durch den Tunnel. Mit dem Hochgeschwindigkeitszug Eurostar fuhren außerdem 7,5 Millionen Bahn-Passagiere zwischen Paris und London unter dem Kanal durch. Mit 2600 Beschäftigten lag der Umsatz von Eurotunnel 2005 bei 793 Millionen Euro.

Überzogene Erwartungen

Die Eurotunnel-Betreibergesellschaft litt von Anfang an unter viel zu hohen Nutzerprognosen und der erdrückenden Zinslast durch die Milliardenschulden. Hinzu kam die Konkurrenz durch Billigflieger. Die Verbindlichkeiten kann Eurotunnel ohne eine Vereinbarung mit den Gläubigern nicht mehr bedienen. Die Schulden stammen größtenteils noch aus der Zeit des Baus, der überwiegend privat finanziert wurde. Dazu ging Eurotunnel 1987 an die Börse. Auch hunderttausende Kleinanleger investierten damals in das Jahrhundertprojekt, dessen Kosten dann von Jahr zu Jahr aber immer weiter stiegen. (chr)