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Belgien: Europas größtes Schiffshebewerk

Clarisse Serígnant (Oktober 2007)

Die französischsprachige Wallonie in Belgien gehörte zu den ersten Regionen Europas, die im 19. Jahrhundert industrialisiert wurden. Noch heute zeugen im westbelgischen Strépy riesige Schiffshebewerke von diesen Zeiten.

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Die alte Schleuse von Bracquegnies in Belgien
Fast ein hundert Jahre alt und immer noch aktiv!Bild: Jean-Michel Bos

Die Sonne glitzert auf der Wasseroberfläche des schnurgeraden breiten Kanals, der durch die grünen Wiesen von Strépy führt. Über dem Wasser erhebt sich eine meterhohe Stahlkonstruktion: ein Schiffshebewerk aus dem 19. Jahrhundert. Davor steht Meo Rizieri, der regelmäßig Besucher über die historische Anlage führt. Die Belgier seien sehr stolz auf ihre Hebewerke, sagt er. Dabei hätten seine Landsleute die Idee damals eigentlich bei den Briten abgeschaut. Die belgischen Ingenieure seien nach England gefahren und hätten dort die englischen Schiffshebewerke entdeckt.

"Das fanden sie genial!", erklärt Rizieri, "also haben sie beschlossen, hier auf dem Kanal vier Schiffshebewerke nach englischer Bauart zu errichten. Das Hebewerk Nr. 1 von La Louvière, das hier flussaufwärts liegt, wurde sehr schnell fertig gestellt und schon am 4. Juni 1888 von König Leopold II. eingeweiht. Übrigens ist 1917, unter der Besatzung Deutschlands, der erste Lastkahn durch den zentralen Kanal gefahren."

Zeugen des letzten Jahrhunderts

Die neue Schleuse von Strépy-Thieu
Die neue Schleuse von Strépy-ThieuBild: Jean-Michel Bos

Er blieb nicht der einzige Lastkahn, wie Meo Rizieri weiter erzählt. Unzählige Schiffe hätten seit 1917 die belgischen Hebewerke passiert. Verändert hätten diese sich in den Jahrzehnten allerdings kaum. Alles, was man jetzt sehen könne, sei komplett von damals so erhalten geblieben. Man hätte in all den Jahren leicht auf elektrische Anlagen umstellen können, aber das habe man nicht getan.

Wie vor über hundert Jahren werden die Hebewerke immer noch mit Wasserkraft betrieben. Die Schiffe fahren dafür in einen mächtigen, mit Wasser gefüllten Behälter. Soll das Schiff nach oben gehievt werden, wird ein zweiter Behälter so lange mit Wasser aufgefüllt, bis er schwerer ist als der erste, nach unten drückt und dabei einen Hebemechanismus in Gang setzt. Auf diese Weise konnten die Schiffe in Strépy schon vor 100 Jahren 17 Höhenmeter überwinden, ganz ohne elektrischen Antrieb.

Alt neben neu

Die neue Schleuse von Strépy-Thieu
Bild: Jean-Michel Bos

Weltweit gibt es insgesamt acht solcher Schiffshebewerke, aber nur diese vier bei Strépy in Wallonien sind noch original erhalten. 1998 wurde die gesamte Anlage deshalb zum Weltkulturerbe erklärt. Für die heutigen Lastschiffe sind sie allerdings nicht mehr geeignet. Inzwischen fahren nur noch Ausflugsboote hindurch.

Ein paar Kilometer weiter gibt es einen neuen Kanal. Hier wurde 2002 ein modernes Hebewerk errichtet. Die riesige Anlage ersetzt heute alleine die Arbeit aller vier alten Hebewerke zusammen. Vincent Despiegeleer ist Industrieingenieur in Strépy und kennt sich mit der Anlage gut aus: "Das Gebäude ist über 100 Meter hoch, und außerdem sehr breit, weil die Schiffe ja sehr groß sind, die hier transportiert werden. Das ist einzigartig in der Welt, wegen seiner Größe und im Hinblick auf den Höhenunterschied. Das sind 73,15 Meter!"

Ein Vorbild für die ganze Welt

Strépy-Thieu Bracquegnies auf der Landkarte
Bild: AP GraphicsBank/DW

Die Anlage wird elektronisch betrieben und funktioniert ähnlich wie ein Personenaufzug. Eine technische Hochleistung, die viele Neugierige anzieht. Laut Despiegeleer kommen viele Besucher hierher, teilweise sogar aus fernen Ländern, wie China. Aber auch die französischen Kollegen, die ebenfalls an Kanälen arbeiten, kämen hierher, um von dem Schiffshebewerk zu lernen. "Ich denke, unsere Anlage dient weltweit als Vorbild und wird hoffentlich auch anderen Ländern helfen, derartig imposante Technologien zu entwickeln", sagt Despiegeleer.

Wenige Minuten dauert es nur, bis ein Schiff in Strépy die 73 Meter Höhenunterschied überwunden hat. Pro Tag passieren etwa 20 Schiffe die Anlage. Auf einem davon fährt Albert Rochez. Er steht auf dem Deck seines Lastkahns und wartet darauf, dass sich die Tore zum Hebewerk öffnen. "Ich komme sechs Mal im Monat hier vorbei", erzählt er, "da die ganze Prozedur nur sieben Minuten dauert, gewinne ich letztendlich Zeit. Aber auch die Navigation ist hier anders. Man kann nirgendwo anstoßen, weil das Boot mit Gewichten befestigt und gut vertäut wird. Ich muss schon sagen, das ist einmalig, einmalig in Europa!"