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ESMT Management-Symposium 2010

18. Juni 2010

Am Anfang standen faule Immobilienkredite, dann brachen Banken zusammen und Währungen taumelten. Die Weltfinanzkrise hat ökonomische Grundwahrheiten zerstört –und eine Frage wiederbelebt: wie viel Staat brauchen wir?

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ESMT Konferenz Berlin 2010 Quelle: ESMT
Top-Manager auf der Suche nach der richtigen BalanceBild: ESMT

Ist der Staat doch der bessere Manager? Noch Mitte der 2000er wäre in weiten Teilen der Wirtschaft diese Frage mit einem Lächeln quittiert und natürlich mit einem Nein beantwortet worden. Ein Lächeln, dass Demut gewichen zu sein scheint. Zumindest, wer Michael Diekmanns Thesen auf dem ESMT-Management-Symposium in Berlin (16./17. Juni 2010) Glauben schenkt. "Die Welt hat sich verändert seit 2008", sagt der Vorstandsvorsitzende des deutschen Versicherungs-Riesen Allianz ernst. Die Balance zwischen Staat und Wirtschaft habe sich nachhaltig verschoben. "Was zuvor erprobt und für wahr gehalten wurde, hat sich ins Gegenteil verkehrt, alte Spielregeln werden in Zukunft so nicht mehr reichen."

Staat und Wirtschaft müssen neue Spielregeln aushandeln

ESMT Konferenz Berlin 2010 Quelle: ESMT
Management-Treff in Berlin Mitte: hier regierte einst die PlanwirtschaftBild: ESMT

Welche neuen Spielregeln es aber braucht, das wurde hitzig debattiert. Unter dem Motto "People, Planet, Profit – Creating a Sustainable Future" trafen Management-Studenten auf Vorstände von multinationalen Konzernen, Wissenschaftler trafen auf Praktiker. Jean-Louis Beffa, Vorstand des französischen Saint-Gobain-Konzerns, der zu den Praktikern zählt, sieht den Staat vor allem in einem Bereich ganz besonders in der Pflicht: "Die größten Probleme sind ja durch unsere Freunde von den Finanzmärkten verursacht worden", kritisiert der Franzose unverblümt die Bank- und Versicherungsbranche. Dass der jüngste Aufschwung der Realwirtschaft in Gefahr ist, durch eine erneute Krise des Finanzsystems abgewürgt zu werden, verleitet den eher schüchternen Manager zu deutlichen Worten an die Adresse nationaler und europäischer Gesetzgeber: "Reparieren sie dieses Finanzsystem und wir machen unsere Arbeit."

Welche Arbeit das sein könnte, das beschrieb der Vorstand des deutschen Siemens AG Konzerns, Peter Löscher. Der Staat könne durch gezielte Innovationsimpulse den Rahmen für Forschung und Entwicklung setzen. Löscher, der überzeugt ist von der Vorreiterrolle europäischer Großkonzerne auf dem Feld von "Clean-Tech"-Umweltechnologien, nannte hier vor allem die jüngst verabschiedete Elektromobilitätsstrategie Deutschlands als ein gelungenes Beispiel. Bis 2010 will der deutsche Staat dadurch mindestens eine Million Elektroautos auf die Straße bringen. Mit so einem politischen Rahmen könne man dann die technischen, grünen Innovationen getrost der Wirtschaft überlassen, versprach der Siemens-Chef: "Die europäische Industrie hat einen Marktanteil bei grünen Technologien von rund 45 Prozent", sagt der Chef eines Unternehmens, das für sich selbst in Anspruch nimmt, 100.000 Mitarbeiter in diesem zukunftsträchtigen Unternehmenssegment zu beschäftigen. "Und ich bin überzeugt, dass wir auf der Basis unserer Innovationskraft weiterhin hier eine führende Rolle spielen werden", sagt Peter Löscher.

Gestalten oder Verwalten – was kann der Staat?

ESMT Konferenz Berlin 2010 Quelle: ESMT
Der Siemens-Chef zeigte stolz, dass selbst die USA sein grünes Unternehmen lobenBild: ESMT

Lufthansa-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Mayrhuber sieht den gegenwärtig "starken Staat" dagegen auf Irrwegen. Der Fokus auf Rettungsschirme für Banken, Währungen und den Endverbraucher habe vergessen lassen, dass die Hauptaufgabe des Staates eine ganz andere sei: nämlich gute Standortbedingungen zu schaffen. Der Luftfahrt-Manager zeigte sich bei dieser Kritik sichtlich verschnupft, schließlich musste seine Branche in Deutschland jüngst eine neue CO2-Luftverkehrssteuer schlucken, als Teil des nationalen Sparpakets. Zusätzliche Kosten für die Industrie: rund eine Milliarde Euro pro Jahr, die der österreichische Manager gerne anders angelegt hätte: "Mir ist nicht klar, wie eine Steuer den CO2-Ausstoß der Luftfahrtindustrie reduzieren soll", bremst Mayrhuber die Politik aus. "Im Gegenteil, wenn sie immer neue finanzielle Lasten auf die Industrie abwälzen, dann verhindern sie damit Investitionen in neue Ausrüstung und neue Technologien." Während also das Eigeninteresse, Kerosin und damit Kosten zu sparen, das CO2-Problem von ganz alleine löse, sei an anderer Stelle der Staat viel mehr gefordert, sagt Mayrhuber: "Wenn ich die EU-Staaten als Ganzes anschaue, dann können wir uns nicht 55 verschiedene Flugsicherheitsbehörden leisten, die nicht kooperieren und nur Verzögerungen verursachen."

Der Punkt, an dem der Staat sich aus der Wirtschaft zurückzieht

Platon und Aristoteles Quelle: Raffaello Sanzio, Raphael (1509-1511), Musee du Vatican. ©Electa/Leemage
Sie waren die ersten, die nach der Rolle des Staates gefragt haben: die griechischen Philosphen Platon und Aristoteles.Bild: picture-alliance/maxppp

Lars-Hendrik Röller, Präsident der European School of Management and Technology (ESMT) und Gastgeber der Konferenz, zeichnet ein ausgewogeneres Bild von der Rolle des Staates. Bei Bildung, Infrastrukturprojekten und in den sozialen Sicherungssystemen dürfe es gerne mehr Staat sein. Doch sobald unternehmerische Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt werde, bitte weniger, sagt Lars-Hendrik Röller: "Für die nächste Manager-Generation wird es wichtig sein, dass der Staat sich wieder auf seine Grundthemen zurückzieht." Politik und Staat zusammen müssten also nach dem richtigen Punkt suchen, wann Konjunkturpakete und Rettungsschirme wieder eingestellt werden müssten, sagt der Ökonom. Es beginnt die Suche nach der Exit-Strategie: "Wann ist also die optimale Zeit, wenn sich der Staat wieder herausnimmt aus der Wirtschaft."

Wie viel Staat hätten wir denn nun gern? Auch das Management-Symposium in Berlin konnte darauf keine endgültige Antwort geben. Das wäre aber auch ein wenig zu viel verlangt, denn über die Rolle des Staates streiten sich Politische Philosophen schließlich bereits seit der griechischen Antike. Mit immer wieder erstaunlich unterschiedlichen Antworten.

Autor: Richard A. Fuchs

Redaktion: Rolf Wenkel