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Politik

"Bei Sami A. wurde rote Linie überschritten"

17. Juli 2018

In den Streit um den abgeschobenen Gefährder Sami A. hat sich nun auch der Deutsche Anwaltverein eingeschaltet. Geltendes Recht dürfe nicht von der Sicherheitslage abhängen, sagt Vereinspräsident Ulrich Schellenberg.

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Symbolbild BAMF
Bild: Getty Images/S. Gallup

Deutsche Welle: Herr Schellenberg, der Tunesier Sami A. hat seine Abschiebung eine Entführung genannt. Hat er Recht? 

Ulrich Schellenberg: Ich kann nachvollziehen, was er meint, aber es ist noch zu früh für eine solche Bewertung. Wir müssen auf jeden Fall noch einmal sehr klar schauen, warum das Gericht nicht vorab darüber informiert wurde, dass dieser Flug unmittelbar in den frühen Morgenstunden des 13. Juli anstand. Da liegt der Hase im Pfeffer. Warum hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zwar gesagt, dass der Flug am 12. Juli storniert ist, aber nicht gesagt, dass es einen Tag später einen weiteren Flug gibt? 

Hat die Behörde damit das Recht gebeugt, wie es der Grünen-Chef Robert Habeck behauptet? 

Im Moment ist es sehr schwierig, den Sachverhalt wirklich abschließend zu bewerten. Auch wir Juristen sind gut beraten, dies nicht in dieser frühen Phase zu tun. Eines ist aber auch ganz sicher: alles, was wir bislang wissen, lässt unsere Alarmanlagen sehr laut klingeln. Es ist aus unserer Sicht, zumindest nach dem, was wir jetzt wissen, eine rote Linie überschritten worden. 

Welche rote Linie? 

Die Verwaltung ist in der Bundesrepublik, man ist fast versucht zu sagen zum Glück, an Recht und Gesetz gebunden. Und ob die Verwaltung diese Vorgaben einhält, das entscheiden Gerichte. Wenn also eine Entscheidung gerichtlich überprüft wird, ist es absolut zwingend, dass eine Verwaltung wartet, bis diese Entscheidung vorliegt. Ich darf als Verwaltung keine Fakten schaffen, wenn ich weiß, dass ein gerichtliches Verfahren zu diesem Thema läuft. 

Ulrich Schellenberg - Präsident des Deutschen Anwaltvereins
"Künftig kann kein Gericht mehr Angaben deutscher Behörden trauen" - der Jurist Ulrich SchellenbergBild: S. Serkis

Was vermuten Sie, warum das nicht passiert ist? 

Das kann eine Panne gewesen sein, die nicht vorkommen darf. Es kann auch sein, dass der eine etwas wusste, was der andere nicht wusste. Es kann aber auch sein, dass jemand etwas gar nicht wissen wollte, was er eigentlich wusste. Um alle Zweifel auszuräumen, muss der Fall Sami A. vom BAMF lückenlos dokumentiert und aufgeklärt werden. Also: Wann wusste wer im BAMF über den Flug am 13. Juli Bescheid? Und noch wichtiger: Warum ist darüber das Gericht nicht informiert worden? 

Was wissen wir von der tunesischen Justiz, wie sie den Fall handhaben will? 

Die tunesische Justiz hat jetzt einfach die Gunst der Stunde genutzt und Sami A. sofort in Haft genommen. Und auch da muss ich sagen: der Flieger hätte zurückfliegen müssen, nach all dem, was wir jetzt wissen. Es war noch eine Stunde Zeit, in der man hätte umdrehen können. Aber trotz des zugestellten Bescheides in Tunesien zu landen und Sami A. den tunesischen Behörden auszuliefern, ist schon eine ganz besondere Qualität. Vergessen wir nicht, dass das Verwaltungsgericht vor Folter in Tunesien gewarnt hat. Es steht also die ganz konkrete Gefahr im Raum, dass ihm Folter droht und das ist unter keinem denkbaren Umstand zu vertreten. 

Auch wenn es sich bei Herrn Sami A. um einen Gefährder handelt, oder er zumindest als ein solcher eingestuft ist? 

Das ist eindeutig eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Und Sami A. war ja in der Nacht sogar noch im Abschiebegefängnis, dass heißt, man hätte durchaus noch zwei oder drei Tage warten können, bis die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen tatsächlich zugestellt ist. Für mich wirft dieser Fall noch sehr viele Fragen auf, die dringend geklärt werden müssen. Ich habe die große Befürchtung, dass sich hier zwischen Behörden und Gerichten eine Vertrauenskrise anbahnt. 

Screenshot | Sami A. - mutmaßlicher Leibwächter Osama bin Ladens
Der mutmaßliche Leibwächter Osama Bin Ladens, Sami A., erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutschen BehördenBild: Youtube/spiegeltv

Das Flüchtlingsministerium Nordrhein-Westfalen will gegen den Rückholbeschluss beim Oberverwaltungsgericht Münster Widerspruch einlegen. Wie groß bewerten Sie die Chancen auf Erfolg? 

Das ist für mich jetzt ganz schwer zu beurteilen, aber eines ist ganz klar: Eine Verwaltung darf nicht während eines laufenden Verfahrens eine eigene Entscheidung treffen. Selbst wenn jetzt in zweiter Instanz anders entschieden werden würde, kann man nicht einfach sagen: 'Na gut, Strich drunter, das ist ja nochmal gut gegangen!‘ Nein, man muss eindeutig klären, weshalb es passieren konnte, dass im laufenden Verfahren durch das BAMF eine annähernd nicht mehr unumkehrbare Entscheidung getroffen wurde und damit eine offene Missachtung des Gerichts vorliegt. 

Herr Schellenberg, was bleibt Ihrer Meinung nach am Ende vom Fall Sami A.? 

Bei mir und auch beim Deutschen Anwaltsverein verbleibt zunächst einmal eine ganz tiefe Irritation. Wir stellen fest, dass es beim BAMF und in den Bereichen Flüchtlinge und Migration einen derartig überbordenden politischen Druck gibt, dass wichtige Grundprinzipien unseres Rechtsstaates nicht mehr die gleiche Selbstverständlichkeit genießen wie bislang. Wir haben es gehört, als der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, die Anwälte beschimpft hat und sagte, sie würden gegen den gesellschaftlichen Frieden arbeiten, wenn sie Asylsuchende vor Gericht vertreten. Wir haben das im Masterplan von Innenminister Seehofer gelesen, in dem gesagt wurde, man müsse überlegen, ob man Asylsuchende schon zurückführen kann, bevor die Rechtsmittelfrist überhaupt abgelaufen ist. Und wir sehen jetzt in diesen ganz konkreten Fall Sami A., in dem sehenden Auges eine Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet wurde, sondern man lieber schneller sein wollte als das Gericht, um damit unumkehrbare Fakten zu schaffen. Geltendes Recht darf nicht von der Sicherheitsfrage abhängen.

Ulrich Schellenberg ist Rechtsanwalt in Berlin und Präsident des Deutschen Anwaltvereins.

Das Interview führte Oliver Pieper.

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur