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Abschussbefehle verweigern

18. September 2007

Darf ein Flugzeug, das wie bei den Anschlägen vom 11. September für Terrorakte entführt wird, abgeschossen werden, um Schlimmeres zu verhindern? Der Bundeswehrverband sagt nein und ruft zur Befehlsverweigerung auf.

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Oberst Berhnhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, Foto: AP
Aufruf zur BefehlsverweigerungBild: AP

Der Bundeswehrverband hat Kampfjet-Piloten zur Befehlsverweigerung aufgerufen, falls sie von Verteidigungsminister Franz Josef Jung den Befehl bekämen, eine für Terroranschläge entführte Passagiermaschinen abzuschießen. "Solange die Rechtslage nicht geklärt ist, können wir auf der Basis keinen Befehl ausführen", sagte der Verbandsvorsitzende Bernhard Gertz am Dienstag (18.09.2007) in einem Fernsehinterview. "Wer ein Passagierflugzeug abschießt, wäre ganz schnell auf der Anklagebank. Hier wäre der Straftatbestand des Totschlags erfüllt", sagte er, Artikel 11 II des Soldatengesetzes verbiete es außerdem, Befehle auszuführen, die ein Verbrechen beinhalteten.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung, Foto: AP
Will im Notfall den Abschußbefehl geben: Verteidigungsminister JungBild: picture-alliance/dpa

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung hatte zuvor erklärt, dass er ein für einen Terroranschlag entführtes Passagierflugzeug notfalls auch ohne gesetzliche Grundlage abschießen lassen wolle, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies für unzulässig erklärt hat. Jung beruft sich auf einen übergesetzlichen Notstand. Offenbar will er sich nicht mit der höchstrichterlichen Feststellung begnügen, dass auch für einen mutmaßlichen Terrorangriff benutzte Flugzeuge nur dann abgeschossen werden dürfen, wenn keine Passagiere beziehungsweise nur die Terroristen selbst an Bord sind. Die Koalition ringt seit Monaten um eine gemeinsame Linie in dieser Frage.

Klares "Jein"

Im Februar 2006 hatte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes unter Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier festgestellt, dass der Artikel im Luftsicherheitsgesetz, der den Abschuss von Terroristen entführter Passagiermaschinen zulässt, mit mehreren Artikeln des Grundgesetzes unvereinbar und die Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand nicht mehr möglich sei.

Damit habe das Verfassungsgericht nach Meinung des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes Gertz "messerscharf" gesagt, dass nicht Leben gegen Leben abgewogen werden dürfe. Piloten machten sich strafbar, wenn sie einen vom Recht nicht gedeckten Befehl zum Abschuss eines Flugzeuges ausführten. Er rate daher jedem Piloten, einen solchen Befehl nicht zu befolgen. Ein Sprecher des Verteidigungsministerium vertrat dagegen die Ansicht, Bundeswehrpiloten dürften einen solchen Abschussbefehl nicht verweigern.

Notstand als Schlupfloch?

Zu den möglichen gesetzlichen Schlupflöchern, die jetzt gesucht werden, um das an sich klare Nein zu dem Gesetzespassus doch noch zu umgehen, gilt unter anderem folgender Satz: "Sie sind als Streitkräfteeinsätze nichtkriegerischer Art mit dem Recht auf Leben und der Verpflichtung des Staates zur Achtung und zum Schutz der menschlichen Würde nicht zu vereinbaren." Führende Unionspolitiker, aber auch einzelne der SPD, hatten sich daher schon unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf die Möglichkeit berufen, einen derartigen Terroranschlag als kriegerischen Angriff einzustufen und dann doch dem Urteil zuwider handeln zu können. Schließlich hatte die NATO auch den Bündnisfall ausgerufen, nachdem Terroristen am 11. September 2001 gekaperte Flugzeuge ins World Trade Center und das Pentagon stürzen ließen. Ob aber wirklich eine Flugzeugentführung mit dem mutmaßlichen Ziel eines Terroranschlags ad hoc als Kriegshandlung eingestuft werden kann, gilt als fraglich.

Eine Lufthansa Boeing 747 am Frankfurter Flufghafen, Foto: AP
Darf eine solche Maschine im Terrorfall abgeschossen werden?Bild: AP

Breite Kritik

Das Echo in der Politik auf diese Auseinandersetzung ist groß: Die Opposition, aber auch der Koalitionspartner SPD sprachen von einem Aufruf zum Verfassungsbruch. Die Grünen verlangten den Rücktritt des Ministers. Jung erwecke den Eindruck, als sei ihm das Urteil und die Konsequenzen für die Soldaten gleichgültig, empörte sich auch Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil forderte den Minister auf, zu einer seriösen Politik zurückzukehren. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Olaf Scholz, kündigte das klare Nein der SPD an, wenn die Diskussion jetzt aufgebrochen werde, um über "einen Umweg" die Zustimmung zu einem Einsatz der Bundeswehr im Innern zu bekommen.

Rückendeckung erhielt der CDU-Politiker von Innenminister Wolfgang Schäuble, der allerdings selbst wegen seiner Warnung vor einem Terroranschlag mit nuklearem Material unter Beschuss steht. Jung habe "völlig zu Recht" darauf hingewiesen, dass bei der Gefahr eines Anschlags mit einem Passagierflugzeug der übergesetzliche Notstand eintreten könnte, sagte sein Sprecher. Der CDU-Verteidigungsexperte Jürgen Herrmann fügte hinzu: "Wir können doch nicht zusehen, wie ein Flugzeug in ein Stadion mit 70.000 Menschen rast". (ina)