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Musik

Beethovens Social Network

Marita Berg4. September 2012

Als Beethoven 1818 ertaubte, nutzte er kleine Notizbücher, um mit seiner Umwelt zu kommunizieren. Die 139 erhaltenen Konversationshefte gelten heute als bedeutende kulturgeschichtliche Zeugnisse.

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Beethovens Konversationsheft D 10 vom Februar 1823. Foto: picture-alliance/akg-images
Bild: picture-alliance/akg-images

Beethovens Freund Gerhard von Breuning schrieb in seinen Erinnerungen, dass stets ein "Korrespondenzheft samt Bleistift" bereit lag, in das Besucher ihre Gesprächsbeiträge notierten, während Beethoven meist mündlich antwortete.

Beethoven nutzte die Hefte jedoch auch, um musikalische Einfälle zu skizzieren oder wichtige Gedanken festzuhalten. So erlauben die Konversationshefte nicht nur Einsicht in seine Kompositionswerkstatt, sondern durch sie kann man auch den Menschen hautnah erleben - für den Beethovenforscher Emil Platen ein Schatz von unermesslichem Wert: "Die Hefte sind ungeheuer wichtig für die Beethoven-Biographie", betonte er im Gespräch mit der DW. "Mit ihrer Hilfe kann man ab 1818 bis zu seinem Tod einen genauen Einblick in seine ganz persönlichen Verhältnisse gewinnen."

Austern und die Missa Solemnis

Beethoven ddp images/AP Photo)
Notierte seine Gedanken über Musik, Essen und Dienstboten: BeethovenBild: AP

Banales Alltagsgeschehen wird in den Heften ebenso thematisiert wie musikalisch Bedeutendes. "Häufig geht's da nur ums Essen oder um Probleme mit den Dienstboten und später um Krankheit und Therapieversuche", erzählte Emil Platen. "Dann aber auch um das aktuelle kulturelle und gesellschaftliche Geschehen in Wien."

So finden sich etwa auf zwei einander gegenüberliegenden Seiten eines Konversationshefts eine Rechnung über Wein, Kalbfleisch ("Kälbernes") und Austern und eine Skizze zu "Et vitam venturi saeculi" aus dem Credo der Missa Solemnis.

Anton Schindlers Schindluder

Der Dokumentationswert der Hefte galt lange Zeit als bedenklich, denn nach Beethovens Tod gelangten sie (vermutlich unrechtmäßig) in den Besitz von Anton Schindler, Beethovens Sekretär der letzten Jahre und erstem Biographen.

Anton Felix Schindler Quelle: Wikipedia. Beschreibung Español: Fotografía de Anton Felix Schindler. Foto de Anton Schindler, muerto en 1864 Lizenz Dies ist eine originalgetreue fotografische Reproduktion eines zweidimensionalen Kunstwerks. Das Kunstwerk an sich ist aus dem folgenden Grund gemeinfrei: Public domain Diese Bild- oder Mediendatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Beethovens Sekretär Anton Felix Schindler

In Vorbereitung seiner Beethoven-Biographie instrumentalisierte Schindler die Hefte dann für seine Zwecke und betrieb regelrecht "Schindluder": Viele Hefte vernichtete er; in andere fügte er frei erfundene Gespräche mit Beethoven ein, um als derjenige angesehen zu werden, dem Beethoven alle Wünsche im Hinblick auf Aufführungspraxis und Tempi seiner Werke anvertraute.

Schon die Zeitgenossen verdächtigten Schindler der Fälschung, aber erst im 20. Jahrhundert konnte detektivischer Spürsinn viele Unwahrheiten entlarven.

Stenogramme aus Beethovens Leben

Unter den Besuchern, die sich in die Hefte eingetragen haben, finden sich Beethovens Freunde, sein Bruder Johann und sein Neffe Karl, aber auch so berühmte Zeitgenossen wie der Dichter Franz Grillparzer, die Komponisten Carl Czerny und Gioachino Rossini, auch das damals erst elfjährige Klavier-Wunderkind Franz Liszt.

Da Beethoven seine Fragen oder Antworten meist mündlich formulierte, lesen sich die Hefte wie die Niederschrift von Telefongesprächen, in denen die Reaktionen des Gesprächspartners am anderen Ende der Leitung, in diesem Falle Beethoven, nicht protokolliert sind. Über seine Äußerungen kann man dann nur spekulieren.

In den Heften spiegelt sich auch Beethovens Belesenheit wider. Immer wieder werden literarische Vorlieben thematisiert, von antiken Autoren wie Homer, Plutarch und Platon bis hin zu Shakespeare, Rousseau, Goethe, Klopstock, Lessing und Schiller. Im Konversationsheft vom 1. Februar 1820 - mitten in der Arbeit an der Missa Solemnis - "postet" er einen Satz aus der "Kritik der praktischen Vernunft" des deutschen Philosophen Immanuel Kant. Für Beethoven, der von den Idealen der Aufklärung beeinflusst war, wurde dieser Satz zum Lebens- und Kompositionsmotto: "Das moralische Gesetz in uns, und der gestirnte Himmel über uns - Kant!!!"

Metternichs Polizeistaat

Fürst von Metternich (Photo:Rischgitz/Getty Images)
Der Fürst von Metternich wurde im Wirtshaus beschimpftBild: Getty Images

Viele Notizen entstanden in Beethovens hochpolitischem Freundeskreis. Im Wirtshaus beim Heurigen wurde das Tagesgeschehen diskutiert, vor allem die Folgen des Wiener Kongress. Unter der Diktatur Metternichs, der einen Polizeistaat errichtet hatte, leistete jeder fünfte Wiener Bürger als "Geheimpolizist" Spitzeldienste. Als Beethoven einmal etwas offensichtlich Kritisches sagen wollte, wurde er sofort durch einen Eintrag im Konversationsheft gewarnt: "Ein andersmal – gegenwärtig ist der Spion Haensl hier." In solchen Fällen griff Beethoven dann ebenfalls zum Bleistift.

"Ich bin ein Künstler"

Über weite Strecken geht es in den Konversationsheften um Beethovens Werke. Hier zeigt sich Beethoven vor allem als selbstbewusster Künstler. Über die Missa Solemnis schrieb er: "Es ist ein Werk der Ewigkeit." Als ein Besucher im Winter 1822/23 die Meinung äußerte, ein Künstler solle dem Geiste seiner Zeit nachgeben, antwortete Beethoven, dass er das niemals tun werde: "Sonst ist es mit aller Originalität aus. Ich kann meine Werke nicht nach der Mode meißeln und zuschneiden, wie sie's haben wollen; das Neue und Originelle gebiert sich selbst, ohne dass man daran denkt."

Das undatierte Archivbild zeigt das 1819 entstandene Gemälde von Josef Stieker mit einem Porträt von Ludwig van Beethoven beim Komponieren der Messe "Missa solemnis Foto: "picture-alliance/dpa
Beethoven beim KomponierenBild: picture-alliance/dpa

Ähnlich hatte er sich bereits im März 1820 geäußert: "Die Welt ist ein König, und sie will geschmeichelt werden – doch wahre Kunst ist eigensinnig, lässt sich nicht in schmeichelnde Formen zwängen."

Als man ihm berichtete, dass das Publikum auf eines seiner späten Streichquartette (vermutlich op. 130) mit Unverständnis reagiert hatte, postete Beethoven kurz angebunden: "Wird ihnen schon einmal gefallen. Ich weiß, ich bin ein Künstler."