Bayern anno dazumal
Wie hat es in einem bayrischen Dorf im 18. Jahrhundert ausgesehen? In einem Freilichtmuseum in Oberbayern kann man das erfahren. Der frühere Olympiasieger Markus Wasmeier hat dort ein Dorf detailgetreu errichtet.
Wer das Gelände am Rande der Gemeinde Schliersee betritt, fühlt sich um Jahrhunderte zurückversetzt. Auf 60.000 Quadratmetern stehen zwölf historische Gebäude aus der bayerischen Region. Insgesamt sind vier Bauernhöfe mit ihren jeweiligen Haupt- und Nebengebäuden aufgebaut. Die Idee zu diesem Freilichtmuseum hatte Markus Wasmeier. Museumsführerin Angelika erklärt im ihr eigenen bairischen Dialekt, was den Sportler dazu bewogen hat, wie er auf die Idee gekommen ist:
„Sie kennen den Markus Wasmeier? Er ist in Neuhaus geboren, vorn am Ort, wo der Parkplatz is, wohnt da aua [auch] mit seiner Familie in am alten Bauernhof, der woanders abbaut worden ist und bei ihm dahoam wieder aufgebaut [worden ist]. Und so is er auf die Idee kumma [gekommen], nachdem er ja sehr heimatverbunden ist, dass er so a [ein] Museum gründen kann.“
Markus Wasmeier liebt Oberbayern, wo er geboren wurde und immer noch lebt. Er ist sehr heimatverbunden. Wasmeier wohnt mit seiner Familie selbst in einem historischen Bauernhof, der früher mal an anderer Stelle stand. Der Hof wurde dort ab- und in dem Ort Neuhaus wieder aufgebaut, oder wie Angelika im bairischen Dialekt sagt: abbaut. Markus Wasmeier hätte den Aufbau des Museums aber nicht alleine realisieren können:
„Das ganze Projekt wäre nicht möglich gewesen, wenn net do mein Name dahinter steht. Und da öffnet’s halt bei vielen Firmen natürlich die Tore, Partnerschaften einzugehen, um so was überhaupt gemeinnützig aufzubauen. Das muss man sich mal vorstellen. Also es san viele Millionen da herin, was ma mit Spenden eingetragen hab’n.“
Wasmeier profitierte von seiner Bekanntheit. Der Weltmeister, mehrfache Weltcup-Gewinner und zweimalige Olympiasieger im alpinen Skifahren „hat einen Namen“. Deshalb stand sein Name hinter dem Projekt und öffnete ihm auch Tore wie ein Schlüssel eine geschlossene Tür. Der Sportler fand Firmen, die für den Aufbau des Freilichtmuseums Geld spendeten, weil sie ein Projekt unterstützen wollten, das einen Nutzen für alle Menschen hatte, das gemeinnützig war. Und es sind mehrere Millionen Euro, die in den Aufbau des Heimatmuseums geflossen sind, die da drin sind – oder wie Wasmeier im bairischen Dialekt sagt – da herin san. Außerdem wurden unzählige Arbeitsstunden damit verbracht, jedes Detail der jahrhundertealten Bauernhäuser in Bildern und Zeichnungen festzuhalten. Jeder Balken, jeder einzelne Stein wurde nummeriert. Wasmeier baute persönlich die schweren Holzbalken ab und sorgte dafür, dass sie in seinem Heimatort neu zusammengesetzt wurden. Denn schließlich ist er vom Fach:
„Mein alter Beruf ist Restaurator und Lüftlmaler. Das Skifahren hat mich halt a bisserl gebremst bei diesem Job. Man muss sich ja vorstellen: als Sportler ist man 300 Tage im Jahr unterwegs. Ich wollte mit meinem Vater zusammen den Betrieb führen. Und nachdem, das du in anderen Ländern mitbekommst, dass das kulturelle Erbe, mehr gepflegt wird wie bei uns, hab i mir gedacht, das kann nit sein, dass diese, ja Denkmäler, diese Bauernhöfe, die aus ‘m teilweise 13. Jahrhundert stammen, einfach verfallen und für immer verschwinden.“
Markus Wasmeier hat Lüftlmaler gelernt. „Lüftlmalerei“ ist die typisch alpenländische Malerei auf Hausfassaden. Die reicht von oft sehr verschnörkelten, mit vielen runden Linien versehenen Umrahmungen von Fenstern bis hin zu Darstellungen von Heiligen. Seine Sportlerkarriere ließ Markus Wasmeier aber wenig Zeit für seinen Beruf. Bei Aufenthalten im Ausland stellte er jedoch etwas fest, er bekam etwas mit. Dort legte man mehr Wert auf den Erhalt von Gebäuden und anderem schützenswerten Kulturgut aus früheren Zeiten, dem kulturellen Erbe, als in seiner Heimat. Außerdem gab es noch einen anderen Grund für Wasmeier, die Sache anzupacken, sie in die Tat umzusetzen:
„In München hat es eine Umfrage gegeben, wie die Kuh aussieht, und da haben 60 Prozent der Kinder ‚lila‘ gesagt Und das war eigentlich der Hauptgrund, wo i dann gesogt: ‚So und jetzt pack’ ich es an‘.“
Bayrische Kinder wussten nicht, wie eine natürliche Kuh aussieht. Sie kannten nur die Kuh aus einer bekannten Schokoladenwerbung eines internationalen Nahrungsmittelkonzerns. Sie dachten, dass alle Kühe wie die in der Werbung lila sind. In dem Dorfkomplex laufen überall Tiere frei umher, denn hier werden vom Aussterben bedrohte Haustierrassen wie das Bergschaf, das Wollschwein, Gänse, Hühner und Kühe gehalten. In dem Freilichtmuseum wurde beim Bau Wert darauf gelegt, die Häuser originalgetreu wieder aufzubauen, damit die Besucher sich ein Bild davon machen können, wie die Menschen damals gelebt haben. Auffällig bei den Gebäuden sind die kleinen Fenster, was aber damals einen Sinn hatte: Zum einen sollte im Winter so wenig Kälte wie möglich ins Haus dringen, zum anderen waren Glasfenster Luxus, da auf Glas eine Steuer bezahlt werden musste. Und noch etwas fällt auf: Auf einigen Balken finden sich Malereien, geschwungene „S“, die das Auf und Ab des Lebens darstellen sollten. Heilkunst und Aberglaube spielten zur damaligen Zeit eine große Rolle:
„Jetzt, wenn S’ amal da nauf schau’n aufs Dach, da is a blauer Deckel droben. Genau, da is a Hauswurz drin. Des hat man früher verwendet, wenn man sich brennt hat oder g’schnitten, wenn man Hautprobleme gehabt hat oder gegen Ohrenweh. Aber do am Doach droben, da dient das als Blitzableiter. Also, das is so a alter Aberglaube, aber i mein’, schaden konn es ja neda. Glaube versetzt Berge, gell.“
Die Stein- und Alpenpflanze Hauswurz wurde zum Heilen von Wunden, Hautausschlag oder Ohrenschmerzen benutzt. Dem Aberglauben nach sollte sie auch Blitze vom Haus fernhalten. Eigentlich ist das ja unmöglich. Angelika zitiert dabei aber einen Bibelspruch: Glaube versetzt Berge, das heißt, wenn man fest an etwas glaubt und darauf vertraut, geschieht es. Und wie wohnte man? Das sehen die Besucher im Lukashof. Hier muss man wegen der geringen Deckenhöhe den Kopf einziehen. Im eigentlichen Schlafzimmer steht noch ein nur ein Meter siebzig langes und schmales Bett, in dem sich bei Kälte die ganze Familie zusammenrollte. Als Matratze verwendete man Säcke aus Stroh; Bettdecken bestanden damals schon aus Enten- und Gänsefederdaunen. Auch bei den Schlafgewohnheiten spielte, so Angelika, der Aberglaube wieder eine Rolle:
„Die hab’n si net flach ins Bett g’legt, weil die vor ‘m Tod furchtbar Angst gehabt hab’n. Die Toten hat ma flach liegend auf ’m Brett ’naus’tragen. Und drum hab’n si die Leut’ ins Bett ‘nei gesetzt und so hab’n die halb sitzend g’schlaf’n.“
Die Menschen damals schliefen in sitzender Stellung, weil sie Angst hatten zu sterben, wenn sie sich hineinlegten, flach ins Bett legten. Unangenehm war der Aufenthalt in der Küche. Hier wurde ständig auf der offenen Feuerstelle geheizt. Durch den Rauch litten die Hausbewohner häufig an Augenentzündungen. Schon damals gab es allerdings Brandmelder: Die Bauern hielten sich einen Kanarienvogel, der rechtzeitig vor einem Feuer warnen sollte. Für das Raumklima auch nicht gut war, dass bei Kälte die Hühner in einem Käfig in der Wohnstube untergebracht wurden. Markus Wasmeier liegt mit seinem „Freilichtmuseum Schliersee“ eines ganz besonders am Herzen:
„Wie Bayern verkauft wird draußen in Amerika, Australien, Neuseeland, wie auch immer, wenn ma jetzt ganz weit weg geh’n. Also, da war i echt schockiert, weil Bayern hat ja a ganz andre Geschichte als wie das Oktoberfest und dieses Folkloristische. Und jeder, der von Ausland kommt, egal woher, der will ja die echte bayerische Geschichte erfahren. Und die ist einfach sehr, sehr alt. Das is jetzt nicht mit Gewalt bayerisch gemacht, sondern das is so.“
Für Wasmaier stand fest: Er wollte den Besuchern aus dem Ausland, vor allem aus Übersee, zeigen, dass Bayern nicht nur aus Oktoberfest, Bier, Lederhose und Dirndl besteht, aus Folkloristischem. Es gefiel ihm nicht, dass Bayern so im Ausland verkauft wird. Aber er wollte auch nicht etwas auf die Beine stellen, was so aussah, als ob es bayrisch wäre, was mit Gewalt auf bayrisch gemacht ist. Sein Heimatmuseum sollte authentisch sein. Dieses Konzept ist seit 2007 erfolgreich. Jährlich kommen 100.000 Besucher.