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Barroso in der Zwickmühle

Bernd Riegert, Brüssel24. Oktober 2004

Der designierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso lässt es auf eine Machtprobe mit dem Europaparlament ankommen, einem Gremium, das seine Befugnisse bei Personalentscheidungen auch ausschöpfen will.

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Bernd Riegert

Der neue EU-Kommissionspräsident José Barroso spielt mit hohem Einsatz. Sein Manöver, sich kommende Woche dem Votum des EU-Parlaments zu stellen, ohne auf Forderungen der Fraktionen einzugehen, ist riskant. Er könnte der erste Kommissionspräsident der Geschichte werden, dessen Mannschaft das Parlament das Vertrauen nicht ausspricht. Alles läuft auf eine Machtprobe zwischen dem Chef der Exekutive und der Legislative hinaus, noch bevor die neue Kommission überhaupt ihr Amt angetreten hat.

Barroso steckt in einer Zwickmühle. Gibt er dem Parlament nach und opfert den umstrittenen konservativen Kommissar Rocco Buttiglione, dann wird als schwacher Präsident abgestempelt. Außerdem sind ihm die Hände gebunden, denn solange Buttiglione, der Homosexuelle für Sünder hält und Frauen hauptsächlich die Mutterrolle zubilligt, nicht freiwillig geht oder von der italienischen Regierung abgezogen wird, muss er ihn in der Kommission unterbringen. Denn die Mitgliedsländer entsenden die Kommissare, nur das Ressort darf der Präsident bestimmen. Ließe Barroso Buttiglione fallen, wäre das auch ein Signal für viele katholisch geprägte Länder wie Italien, Polen, Spanien oder Portugal, dass ein aufrecht konservativer Katholik wie Buttiglione nicht ungestraft seine persönlichen Überzeugungen äußern darf, die er klar von seinem politischen Handeln abgegrenzt hat.

Bleibt José Barroso auf Konfrontationskurs, droht ihm und seinen 24 Bewerbern eine empfindliche Niederlage, die dazu führen könnte, dass der ehemalige Ministerpräsident Portugals, selbst nur zweite Wahl für das Amt in Brüssel, aufgibt. Das könnte zu einer Krise in der EU führen, vor der Barroso die Parlamentarier gewarnt hat. Aber ist diese düstere Drohung mit einer Krise berechtigt? Die Ablehnung einer Regierung durch ein Parlament ist in einer Demokratie eigentlich keine krisenhafte Situation, sondern ein normaler Vorgang.

Ungewohnt ist nur, dass das Europaparlament seine Rechte noch nie so ausgereizt hat wie bei dieser Kommissionsbesetzung. Die Europaparlamentarier sind sehr selbstbewusst geworden. Wenn sie schon in der normalen Gesetzgebung der EU oft den Kürzeren ziehen, wollen sie die Macht, die sie bei Personalentscheidungen haben, jetzt auch auskosten. Die Befugnisse gehen über das Maß hinaus, das in Deutschland bei Regierungsbildungen dem Bundestag zusteht. Das deutsche Parlament wählt nur den Regierungschef, den Kanzler. Der wiederum bestellt seine Minister, die vom Parlament nicht bestätigt werden müssen.

Beim Streit zwischen Parlament und künftiger Kommission geht es nur vordergründig um die unglücklichen Äußerungen von Rocco Buttiglione zu Homosexuellen, zur Ehe, zur Familie und zum Asylrecht, die dieser inzwischen schriftlich bedauert. Es hat den Anschein, dass die Parlamentarier nur auf einen Anlass gewartet haben, um ihre Kräfte mit den anderen Institutionen zu messen. José Barroso ist zwar von einer relativ breiten Mehrheit im Juli im Parlament bestätigt worden, aber die Sozialisten und die Grünen haben ihn schon damals abgelehnt. Es geht auch um Parteipolitik, denn Barroso ist der Kandidat der konservativen Staats- und Regierungschefs. Seine Kommission besteht hauptsächlich aus Konservativen und Liberalen.

Ein Gutes hat die Zuspitzung auf jeden Fall. Europa wird vielleicht für den ein oder anderen wahlmüden Europäer durch den Showdown interessanter. Denn Dramen lassen sich besser verkaufen als Routinesitzungen des Europaparlaments.