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Bürokraten fürchten die Bücher

Christoph Burgmer © qantara.de11. Februar 2005

In Kabul ist der Weg eines Buches zum Leser so verschlungen wie die Gänge in Kafkas Roman "Das Schloss". Denn im heutigen Afghanistan haben es Verleger und Buchhändler mit vielen bürokratischen Hindernissen zu tun.

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In Kabul müssen Buchhändler erfinderisch seinBild: AP

Mitten im "Shahr-e nou"-Viertel, der "Neustadt", liegt der Platz Charahi Sedarat. An seinem südlichen Ende steht ein zweistöckiges Gebäude, es wirkt unscheinbar und verblichen. "Shah M Book Co" steht in verblassten Lettern auf der gelben Häuserwand - der Buchladen von Mohammad Schah. Das Schaufenster ist immer noch zugeklebt wie zu Zeiten der Taliban. Auch die Eingangstüre aus Glas lässt den freien Blick ins Innere nicht zu.

Hundert Käufer reichen für einen Bestseller

Seit den Zeiten des gesellschaftlichen Aufbruchs und der Öffnung Afghanistans in den 1970er Jahren hat der Buchhändler sein Geschäft niemals über einen längeren Zeitraum geschlossen. Hier konnte man zu allen Zeiten Bücher finden. Ob Literatur oder Sachbuch, Touristen- oder Museumsführer, ob Kinder- oder Lehrbuch. Heute sind 100 verkaufte Exemplare, wie die Memoiren eines Vizeministers, schon ein kleiner Bestseller.

Der Buchladen wirkt eng. In einem fensterlosen, rechteckigen Raum sind auf Tischen Fachliteratur für Elektronik und Computertechnik sowie Persisch-Englische Lehrbücher ausgelegt. Und im Zwischenlager, nicht größer als eine Abstellkammer, türmen sich mannshoch auf einem einfachen Holztisch Bücher aus vergangen Jahrzehnten in Russisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Persisch, Dari, Pashtu und zahlreichen weiteren Sprachen auf.

Der Krieg hat die Tradition ausgelöscht

Aber der Buchladen ist mehr als nur ein einfacher Verkaufsraum. Er ist vor allem ein Ort, an dem das Wissen um eine jahrhundertealte, persisch geprägte Gelehrtenkultur gepflegt wird. Hier erzählt man die Geschichte vom langen afghanischen Krieg als Verlust einer kulturellen Tradition.

"Die Afghanen sind von ihren Erinnerungen abgeschnitten, ihr kollektives Gedächtnis ist ausgelöscht worden", sagt Mohammad Schah. "Auch die neuen Machthaber schicken zum Spionieren wieder Geheimdienstler in meinen Buchladen."

"Kinderbücher sind zu gefährlich"

Schah berichtet auch von alltäglichen Problemen. So hat er während der Buchmesse 2004 in Bombay englischsprachige Kinderbücher gekauft. Sie können jedoch den Zoll nicht passieren.

"Alle Bücher, die aus dem Ausland kommen, muss man nicht nur dem Zoll, sondern auch dem Bildungsministerium vorlegen", erzählt Schahs Sohn Iraj (21), der gerade von besagtem Ministerium zurückkommt. "Können Sie sich vorstellen, dass die afghanische Bürokratie die Einfuhr von Kinderbüchern mit dem Argument verhindert, sie seien zu gefährlich für die Kinder?"

Drei Wochen Schikane

Mohammad Schah berichtet, als erstes habe sich der Mann vom Zoll selbst bedient: "Er fand die Bücher sehr schön und versicherte mir, dass sie seinen Kindern bestimmt gefallen würden."

Schah fuhr ins Ministerium. Aber dort war niemand. Am folgenden Tag fand er einige junge Angestellte, die angeregt miteinander lachten, telefonierten und plauderten. "Sie forderten mich auf, die Bücher dort zu lassen. Ich solle morgen oder vielleicht übermorgen noch einmal wiederkommen." Das sei aber auch schon drei Wochen her.

Neues Preissystem soll Hoffnung retten

Mohammad Schah hat eine eigene Strategie entwickelt, sich gegen solche Schikanen zur Wehr zu setzen: ein eigenes Preissystem. Ausländer zahlen grundsätzlich den höchsten Preis. Auch Afghanen, von denen der Buchhändler meint, dass sie reich seien, müssen mehr bezahlen. Damit sorgen sie dafür, dass der Buchladen weiter existieren kann.

"Afghanen, die lesen wollen, die sich bilden wollen, muss man doch unterstützen, da ist mir jedes Mittel recht", sagt Mohammed Schah. "Denn Bildung ist doch unsere einzige Hoffnung auf eine bessere Zukunft."