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Bürgerwissenschaften: Die unterschätzte Disziplin

Kai Steinecke
7. November 2018

Vögel zählen, Luftverschmutzung messen oder den Himmel beobachten. Für Laien kein Thema – mit etwas Einarbeitung jedenfalls. Aber was kann "Citizen Science" leisten, wenn es wissenschaftlich kompliziert wird?

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Insektenzählung im Regierungsviertel
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

CRISPR/Cas9 ist eine molukularbiologische Genschere, die vieles kann. Sie soll etwa in Zukunft helfen, Erbkrankheiten noch vor der Geburt zu heilen. Mit ihr lassen sich die dafür verantwortlichen DNA-Stränge heraustrennen und unschädlich machen – so die Theorie.

Doch die Expertenwelt streitet über die Effektivität der Methode und die sogenannten "Off-Target-Effekte" – wenn die Schere dann doch am falschen Ende herumschnippelt. Erst im Juli wurde bekannt, dass die Methode zahlreiche ungewollte Mutationen hervorruft.

Und dann stellen sich auch noch viele ethische Grundfragen: Ist es erlaubt an Embryonen herumzuexperimentieren, die dann nach 14 Tagen sterben? In Deutschland bislang nicht. Die USA und China erlauben hingegen den Eingriff ins menschliche Erbgut, um Krankheiten zu heilen. Selbst für Fachleute ist es ein schwieriges Terrain, sowohl professionell als auch ethisch. 

Nicht-Wissenschaftler beteiligen

Portrait von Dr. Ralf Grötker
Dr. Ralf Grötker ist Ideengeber des Projekts.Bild: Alena Schmick

Klingt nach dem perfekten Zeitpunkt, um 26 Laien ihre Einschätzungen zu dem Thema abgeben zu lassen! Dr. Ralf Grötker hat solch ein Projekt zusammen mit dem Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)  ins Leben gerufen.

"Selbstverständlich hätten wir auch Experten oder Forscher dazu befragen können, aber die wollen entweder eine Meinung oder ihre eigene Forschung verkaufen", sagt Grötker der DW. "Da haben wir uns gedacht: Warum das Ganze nicht mal mit Laien ausprobieren."

Das ist ein neues Level der Bürgerforschung und -beteiligung. Zumindest im experimentellen Rahmen. Über mehrere Monate beschäftigten sich die zufällig ausgewählten Teilnehmer mit dem Thema der "Genschere" und beurteilten später beispielsweise, wie hoch die Chancen der Behandlungsmethode sind, tatsächlich Erbkrankheiten zu heilen.

Portrait von Arlett Rumpff
Teilnehmerin Arlett Rumpff hatte zunächst großen Respekt vor dem Thema.Bild: Alena Schmick

"Wir hatten am Anfang alle riesige Fragezeichen in den Augen", sagte Arlett Rumpff, Teilnehmerin des Projekts. "Man dachte wirklich: Ist es eigentlich schlimm, wenn wir alle gar keine Ahnung haben? Die Antwort ist: Nein! Wir haben uns dann das Thema gemeinsam erarbeitet. Das war der schönste Teil."

Der Anspruch der Bürgerforschung

Mit dem Pilotprojekt reiht sich Ideengeber Grötker in die Tradition der Bürgerforschung und -beteiligung ein. "Bürgerforschung hat und hatte schon immer ein unglaublich großes Potential", sagt David Ziegler vom Museum für Naturkunde in Berlin. "Leider wird es von der institutionalisierten Wissenschaft noch viel zu oft ignoriert."

Im Oktober 2017 stellte ein Verein von privaten Insektenforschern fest, dass in Deutschland die Insektenmasse um 75 Prozent zurückgegangen war.In der deutschen Wissenschaft fand die Entdeckung aber erst Anklang, nachdem niederländische Forscher sie in einen Fachmagazin erwähnten und die New York Times einen Artikel veröffentlichte. Vorher wurden die Bürgerforscher nur belächelt.

Tote Honigbienen
Bürger sammeln Daten zum Insektensterben schon lange. Bei vielen anderen Themen sträuben sich Wissenschaftler bislang noch gegen Laien-Beteiligung.Bild: Getty Images/AFP/F. Perry

Die Zukunft des Bürger-Orakels

"Natürlich sind wir mit 26 Leuten nicht repräsentativ. Da brauchen wir Keinem was vorzumachen. Darum ging es aber auch gar nicht", sagt Grötke. Einer der größten Gewinne des Experiments seien neu entdeckte Argumentationsketten, die in der Expertendebatte noch gar nicht aufgetaucht seien.

Demnach hätten die Teilnehmer eine befürchtete Spaltung der Gesellschaft, die mit dem Verändern von Genen einhergehen könnte, als gar nicht so gravierend erachtet. Fähigkeiten wie Intelligenz seien ohnehin nicht gleich in gesellschaftlichen Erfolg ummünzbar. Die Macher überraschte auch, dass sich am Ende ein Großteil der Teilnehmer dafür aussprach, die Grundlagenforschung an Embryonen in Deutschland zuzulassen. 

"Am Ende wollen wir eine gute Ergänzung zu Expertengutachten liefern und der Politik auch aufzeigen, was die Meinungen ihrer Wähler zu einem komplexen Thema sind."

Anklang in der Politik zu finden ist das eine, aber am Karlsruher Institut für Technologie bewertet man jetzt auch, ob das Konzept überhaupt funktioniert hat. Wenn dem so ist, steht der Beteiligung von Laien auch im größeren Rahmen nichts mehr im Wege.