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Kommunen holen Energieversorgung zurück

25. Juli 2011

Sieben Kommunen am Bodensee haben sich aufgemacht, einen Energiegiganten das Fürchten zu lehren. Heraus kam das Regionalwerk Bodensee, das erste Stadtwerk für eine Region.

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Service-Mobil des Regionalwerks Bodensee unterwegs (Foto: Regionalwerk Bodensee)
Ein Service-Mobil des 37-Mitarbeiter-BetriebsBild: Regionalwerk Bodensee
Berater Hans-Peter Staudenmayer berät Kunden des Regionalwerks (Foto: Regionalwerk Bodensee)
Bürger unter Strom: Beratung im Bürgerbüro des kommunalen EnergieversorgersBild: Regionalwerk Bodensee

Beim kleinen Energieversorger Regionalwerk Bodensee wird der direkte Draht zum Bürger groß geschrieben. Statt Callcentern gibt es hier Bürgerbüros, statt Hotlines nur bekannte Gesichter. "Jetzt gehört das Unternehmen den Gemeinden", verspricht der junge Geschäftsführer Enno Steffens. Für Kunden sei es daher viel leichter, sich direkt beim Geschäftsführer oder dem Bereichsleiter zu beschweren, wenn sie Probleme haben, sagt Steffens. Der 37-jährige Ingenieur sitzt in der Zentrale des Regionalwerks am Ortsrand der 20.000-Einwohner-Stadt Tettnang.

Das Büro des gebürtigen Bremers, der sein Amt vor gut einem Jahr angetreten hat, ist in einem bescheidenen Zweckbau ohne Glamour untergebracht. Trotzdem spricht der Hobby-Segler von der wasserreichen Urlaubsregion im Süden in höchsten Tönen. "Wir sind hier zuhause", fasst er das Alleinstellungsmerkmal des kommunalen Energieversorgers gegenüber der früheren Tochtergesellschaft des Energiekonzerns EnBW zusammen. Die betrieb die Stromnetze der Region in den letzten Jahrzehnten. "Früher sprach man von Versorgungsfällen in der Energiewirtschaft, heute von Kunden, und bei uns sprechen wir teilweise sogar von Mitgliedern", beschreibt Steffens den Sinnenswandel vom alten zum neuen Stromnetzbetreiber.

Wie das Netz zum Bürger kam

Einer, der diesen Sinneswandel vorangetrieben hat, ist Bürgermeister Bruno Walter. Er arbeitet im Alten Schloss, dem mittelalterlichen Rathaus Tettnangs in der Innenstadt. "Die Energieversorgung selbst in die Hände zu nehmen und den Mehrwert in der Region zu behalten", mit dieser Idee habe man 2006 einen Prozess losgetreten, der 2008 in der Gründung des Regionalwerks und später im Rückkauf der Stromnetze mündete, sagt der Bürgermeister.

Der Endvierziger trägt Anzug und ein offenes, lila-weiß kariertes Hemd. Er hat Verwaltung studiert und wirkt doch eher wie ein sympathischer Jungmanager. Von Beginn an faszinierte ihn die Idee interkommunaler Zusammenarbeit, auch wenn sie für ihn persönlich viel Arbeit bedeutete. Neben seinem Bürgermeisteramt ist er jetzt Aufsichtsratsvorsitzender des kommunalen Energieversorgers. "Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Kommunen stärker gefragt und gefordert sind, um Einfluss auf die Energieversorgung zu haben und Themen wie erneuerbare Energien direkter angehen zu können", nennt Walter seine Beweggründe.

Im Tandem: Bürgermeister Bruno Walter aus Tettnang (links) und Geschäftsführer Enno Steffens (Foto: Richard Fuchs)
Im Tandem: Bürgermeister Bruno Walter aus Tettnang (links) und Geschäftsführer Enno SteffensBild: DW/Richard A Fuchs

Über Jahrzehnte war es meist nur eine Formalie. Wenn in Kommunen darüber entschieden wurde, wer in Zukunft das lokale Strom- und Gasnetz betreiben darf, dann bekam meist der alte Versorger den Zuschlag. Am Bodensee dagegen ging man andere Wege: Dort wurde der Großkonzern ersetzt. Im Juli 2008 gründeten Eriskirch, Kressbronn, Langenargen, Meckenbeuren, Neukirch, Oberteuringen und Tettnang ein interkommunales Stadtwerk. 52 Prozent des Unternehmens gehören jetzt sieben Kommunen, der Rest anderen Stadtwerken aus der Region.

Neben Gestaltungsspielräumen und Unabhängigkeit gebe die Rekommunalisierung den Gemeinden vor allem eines zurück - sichere Einnahmequellen, sagt Walter unumwunden, denn wer das Strom- und Gasnetz betreibe, der könne staatlich garantierte Netznutzungsgebühren verlangen. Und das verspreche derzeit zwischen sechs und acht Prozent Rendite, rechnen Bürgermeister und Geschäftsführer vor. "Sie haben dort eine sichere Einnahme", sagt Enno Steffens. "Da gilt es eben, effizient den Betrieb aufzustellen und die Netze zu bewirtschaften."

Wertschöpfung für die Region

Die sieben Bürgermeister freut's, denn die Wertschöpfung durch Netznutzungsgebühren, Steuereinnahmen und Arbeitsplätze bleibt in der Region. Und wenn die Gewinne hier blieben, könnten damit auch allgemeine Ausgaben wie Kindertagesstätten bezuschusst werden. So habe die gesamte Region etwas davon, sagt der Bürgermeister. Und macht ein Ausrufezeichen hinter diesen Satz, denn zuvor landete dieses Geld bei der Stromnetz-Tochtergesellschaft des Großkonzerns und deren Aktionären. Ein besonders großes Herz für das Netz der Bodensee-Region zeigte der Großkonzern nie, fügt Geschäftsführer Enno Steffens hinzu. Steffens ist jetzt der Herr von 1100 Kilometer Stromleitungen, 2300 Strommasten und rund 400 Trafostationen, die das Regionalwerk vom alten Versorger übernahm.

Umspannstation im Stromnetz vom Regionalwerk Bodensee (Foto: Regionalwerk Bodensee)
Das Regional-Netz: 1100 Kilometer Leitungen, 2300 Strommasten und 400 TrafostationenBild: Regionalwerk Bodensee

Mit 37 Mitarbeitern organisiert er den Betrieb der Leitungen sowie den Verkauf von Strom und Gas. Viel Arbeit liegt vor ihm, denn das gekaufte Stromnetz ist in Teilen marode und reparaturanfällig. "Der große Konzern war weit weg, wenig erreichbar und man spürte sicherlich, was wir heute wissen, dass zunehmend weniger in dieses Netz investiert und dass die Wartung etwas vernachlässigt wurde." Deshalb will Steffens jetzt Zug um Zug ins Stromnetz investieren. Mit über zwei Millionen Euro pro Jahr sollen Kabel- und Freileitungen ausgebessert, Trafostationen und Umspannwerke modernisiert werden.

Zoff um die Leitungen

Geschäftsführer Regionalwerk Bodensee Enno Steffens (Foto: Richard Fuchs)
Muss standhaft bleiben: Geschäftsführer Steffens streitet mit dem alten Besitzer der NetzeBild: DW/Richard A Fuchs

Lange gab es Zoff zwischen altem und neuem Stromnetzbetreiber. Erst ein halbes Jahr später als geplant gingen die Stromleitungen endgültig in den Besitz des Regionalwerks über - und zwar erst, nachdem der oberste Schiedsrichter Bundesnetzagentur zwischen den Streithähnen vermittelt hatte. Steffens sagt, das habe dem Jungunternehmen bis zu drei Millionen Euro Umsatzeinbußen beschert. Und trotzdem habe man im vergangenen Jahr bereits einen bescheidenen Gewinn erzielt. Wohl auch, weil sich inzwischen 13.000 Strom- und Gaskunden mit dem Slogan des Regionalwerks identifizieren: "Unsere Energie vor Ort". Das sind rund ein Drittel aller Haushalte im Netzgebiet.

Enno Steffens wird aber noch mehr Bürger brauchen, um die nächste Hürde zu nehmen. Denn nach dem Stromnetz soll jetzt noch die Stromproduktion in Bürgerhand. Bislang kauft das Unternehmen seinen Strom an der Strombörse zu.

Zusammen mit anderen Stadtwerken will der Geschäftsführer in Erneuerbare Energien investieren. Gemeinsame Windparks sollen entstehen - und zwar nicht irgendwo, sondern in der Region. "Unser Ziel ist es, die Bürger mit einzubeziehen, um zum einen eine Beteiligung sicherzustellen, aber auch um die Akzeptanz für die Erneuerbaren Energien in der Region zu fördern", sagt Steffens. Nur wer beteiligt sei und selber davon profitiere, der akzeptiere auch ein Windkraftwerk in seiner Umgebung - eine Erkenntnis, die hier praktisch umgesetzt werden soll.

Kleinere Beteiligungen an Fotovoltaikanlagen hat der kommunale Versorger schon heute. Zudem wurde vor zwei Jahren eine Energiegenossenschaft gegründet, eine Art Fonds, durch den sich Bürger finanziell an gemeinsamen Solaranlagen beteiligen können.

Zurück zur Kommune?

Energieversorgung in öffentlicher Hand: das "Alte Schloss" dient als Rathaus der Stadt Tettnang (Foto: Richard Fuchs)
Energieversorgung in öffentlicher Hand: Das "Alte Schloss" dient als Rathaus der Stadt TettnangBild: DW/Richard A. Fuchs

Rund 800 Stadtwerke gibt es in Deutschland insgesamt, an vielen halten die vier großen deutschen Energiekonzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW Anteile. Am Bodensee entschied man sich dagegen für die vollständige Unabhängigkeit, was dem kleinen Unternehmen viele Rechtsstreitereien mit dem alten Platzhirsch EnBW bescherte. Doch die Vorbildwirkung des Regionalwerks Bodensee sei immens, sagt der Bürgermeister. "Die großen Energieversorger befürchten, Marktanteile in nicht unerheblichem Maße zu verlieren, wenn ein solches Beispiel Schule macht."

Und alle Anzeichen sprechen dafür, dass es Schule macht: 1800 Einzelverträge haben Kommunen im Südwesten für die Bewirtschaftung ihrer Strom- und Gasnetze abgeschlossen. Bis 2013 werden nach Angaben der Regierungspartei Die Grünen rund 400 Verträge neu ausgehandelt. Dass jetzt selbst die Landeshauptstadt Stuttgart ein eigenständiges Stadtwerk gründen will, lässt beim Energiegroßkonzern EnBW die Alarmglocken läuten.

Beim Regionalwerk Bodensee dagegen regiert die Zuversicht. Die Zeit des Pilotprojekts sei vorbei, sagt Geschäftsführer Steffens selbstbewusst. Und bei Bürgermeister Bruno Walter im Rathaus weckt das Modellprojekt sogar Lust auf mehr. "Man spürt, dass die Bürgermeister und die Gemeinderäte inzwischen nicht nur beim Thema Energieversorgung gemeinsam ticken, sondern auch andere Themen bewusst und gemeinsam angehen." Am Ende könnte am Bodensee also wieder mehr in Bürgerhand landen als nur die eigene Energieversorgung.

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Andreas Becker