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Börsen-Euphorie trotz Krise

Jörn Bender, dpa28. September 2012

Billiges Zentralbankgeld und historisch niedrige Zinsen für Anleihen bringen Anleger in Nöte - kein Wunder, dass die Deutschen in solchen Zeiten die Aktie wieder entdecken. Doch wie solide ist die Rallye?

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Ein Börsenmakler sitzt vor Computermonitoren und ballt euphorisch eine Faust (Foto: picture alliance)
Symbolbild Börse Börsianer Broker Aktien Börsenmakler DaxBild: picture-alliance/picture alliance / Bildagentur-online

Das Kursfeuerwerk an den Börsen lässt die Krise fast vergessen. Der Höhenflug des Dax scheint ungebrochen, Optimisten trauen dem wichtigsten deutschen Börsenbarometer inzwischen sogar einen Sprung über die 8000er-Marke zu. Auf der Suche nach lukrativen Anlagen in Zeiten historisch niedriger Sparzinsen investieren selbst die eher börsenscheuen Deutschen wieder vermehrt am Aktienmarkt. Viele Unternehmen indes halten sich mit dem Sprung aufs Parkett - noch - zurück.

"Ein wesentlicher Treiber an den Kapitalmärkten ist die weltweit expansive Geldpolitik der Notenbanken", erläutert Getrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Mit seinem Versprechen, den Euro um jeden Preis zu retten, löste EZB-Präsident Mario Draghi eine Rallye an den Börsen aus. Die jüngste Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten wie Spanien und Italien zu kaufen, sorgte für weitere Kurssprünge.

Seit Jahresbeginn legte der Deutsche Aktienindex (Dax) um gut 20 Prozent zu. Noch 2011 hatten Anleger an den Börsen viel Geld verloren, eine rasche Trendwende hielten viele Beobachter in einem von Schuldenkrise und Sorge um den Euro bestimmten Umfeld nicht für möglich.

Bester Start aller Zeiten

Doch dann legte der Dax den besten Jahresstart seit seiner Geburtsstunde 1988 hin. Auch zwischenzeitliche Einbrüche - Sorgen um Griechenland und andere Euro-Krisenstaaten drückten den Dax zwischen April und Juni bis auf ein Jahrestief von 5914 Punkten - brachten ihn nicht von seinem Aufwärtstrend ab.

Von der Hausse lassen sich auch Anleger locken, die seit dem Börsencrash 2001 eigentlich einen großen Bogen um Aktien machen. Im ersten Halbjahr 2012 steckten dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) zufolge im Schnitt 10,2 Millionen Anleger Geld in Aktien und/oder Aktienfonds. Das waren 1,9 Millionen mehr als im Vorjahreszeitraum und 1,5 Millionen mehr als Ende 2011. Ein stärkeres Plus gab es nur im Jahr 2000, als die vermeintliche Volksaktie Telekom die Massen lockte.

Sich über Aktien an Unternehmen zu beteiligten und nicht nur von Kurssprüngen, sondern eventuell zusätzlich von Dividenden zu profitieren, scheint lukrativ - in Zeiten, in denen klassische Sparprodukte kaum Zinsen abwerfen. Helaba-Ökonomin Traud spricht von einer "Flucht in Sachwerte" und betont: "Deutsche Aktien sind auf dem aktuellen Niveau immer noch günstig."

Aktien schlagen Anleihen

Selbst professionelle Investoren stürzte der stetige Rückgang der Renditen in "Anlagenöte", wie es die Privatbank Ellwanger & Geiger mit Blick auf den Staatsanleihenmarkt formuliert. Der Fondsanbieter Union Investment rechnet vor: "Allein die durchschnittliche Dividendenrendite aller 30 Dax-Unternehmen liegt fast durchweg deutlich oberhalb der Rendite für zehnjährige Bundesanleihen."

Trotz des Aufwärtstrends an den Börsen rund um den Globus wagten nach Erkenntnissen von Ernst & Young im dritten Quartal 2012 so wenige Unternehmen den Schritt aufs Parkett wie zuletzt im dritten Quartal 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Von Juli bis Ende September gab es demnach weltweit 165 Börsengänge, ein Jahr zuvor waren es noch 248. Besonders deutlich war der Rückgang in Europa, wo die Zahl der Börsengänge binnen Jahresfrist von 69 auf 23 zurückging.

Ernst & Young-Fachmann Martin Steinbach sieht jedoch Chancen auf Besserung: "Die Schuldenkrise in Europa ist zwar nicht gelöst, aber das Vertrauen der Investoren, dass es zu einer nachhaltigen Lösung kommt, ist inzwischen wieder gestiegen." Das Umfeld für Börsengänge (IPO/Initial Public Offering) habe sich in den vergangenen Wochen verbessert: "Viele Unternehmen haben IPO-Pläne in der Schublade und stehen nach wie vor in den Startlöchern", erklärt Steinbach.

Luft nach oben

In Deutschland hatte kürzlich der Versicherer Talanx, der Mutterkonzern von Hannover Rück, seine kurz zuvor aufgegebenen Börsenpläne wieder aus der Schublade geholt. Nun stellt der drittgrößte deutsche Versicherer in Aussicht: Schon am 2. Oktober sollen die Aktien erstmals an der Frankfurter Börse gehandelt werden.

Im Durchschnitt sehen Experten den Leitindex am Silvesterabend bei 7411 Punkten. Auf Jahressicht ergäbe sich mit einem Anstieg um fast 26 Prozent das stärkste Abschneiden seit 2005. Optimisten trauen dem wichtigsten deutschen Börsenbarometer bei 8100 Punkten gar ein 37-prozentiges Kursplus und damit das beste Jahr seit 1999 zu. Zum Rekordhoch von 8152 Punkten würde dann nicht mehr viel fehlen.