Austernzucht auf Sylt
Die meisten Austern kommen aus Frankreich. Doch auch in Deutschland gibt es mittlerweile einen Ort, wo Austern gezüchtet werden: vor der Küste der Insel Sylt. Die „Sylter Royal“ gilt auch im Ausland als Delikatesse.
Schon im Römischen Reich galt die zur Familie der Muscheln gehörende Auster als Delikatesse – wahrscheinlich nicht nur wegen ihrer wertvollen Nährstoffe. Ihr wird nämlich nachgesagt, die Manneskraft zu steigern, ein Aphrodisiakum zu sein. Der Name „Auster“ leitet sich ab vom griechischen Wort „ostrakon“, der Bezeichnung für die Schale unter anderem eines Weichtieres. Traditionell stammen die essbaren Meerestiere aus Frankreich. Allerdings gibt es auch in Deutschland eine Region, die für ihre qualitativ hochwertige Auster bekannt ist, sagt Bine Pöhner von Deutschlands einziger Austernfarm:
„Wir sind hier in der Blidselbucht zwischen Kampen und List an der Ostküste von der Insel Sylt. Und vor uns liegen die Austernbänke auf circa 30 Hektar Fläche, die wir vom Land Schleswig-Holstein pachten.“
Hoch oben im Norden Deutschlands, in der Blidselbucht vor Sylt, werden seit 1986 die bis zu 15 Zentimeter großen Muscheln der Sorte „Sylter Royal“ zu kommerziellen Zwecken gezüchtet. In einem Gebiet von drei Quadratkilometern finden sich die Austernbänke, eine Ansammlung der Meeresfrüchte. Das Gebiet im Wattenmeer der Nordsee hat das Unternehmen „Dittmeyers’s Austern-Compagnie“ vom Bundesland Schleswig-Holstein gepachtet; es zahlt also Geld dafür, dass es die Fläche nutzen darf. Nicht umsonst hat man sich für die Blidselbucht entschieden, sagt Bine Pöhner:
„Die Auster ist immer nur so gut wie das Gewässer, in dem sie lebt. Und deswegen ganz klar, der Standort Sylt, weil hier eine hervorragende Wasserqualität vorherrscht, vergleichbar mit einer Trinkwasserqualität.“
Das Meerwasser vor Sylt ist nicht nur so sauber, dass man es auch trinken könnte. Es ist auch ziemlich salzhaltig und enthält viele für die Auster wichtige Nährstoffe, erklärt Bine Pöhner:
„Die Auster filtert bis zu zwanzig Liter gutes Wasser in der Stunde, und aus diesem Wasser sammelt sie sich eben kleine Mikroorganismen, Plankton, und verwandelt dieses in für uns so lebenswichtige Mineralien und Vitamine.“
Bis zu 90 Gramm wiegen die „Sylter Royal“. Sie enthalten viele Mineralien wie Eisen, Jod, Kalzium und Magnesium. Pro Jahr setzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zu achtzig Tonnen Jungaustern zum Wachstum vor Sylt aus, sie werden zu Zuchtzwecken ins Wasser gebracht.
Bis sie ausgewachsen sind und verkauft werden können, dauert es etwa drei bis vier Jahre. Wer bei Flut am Ufer steht und nach den Austernbänken Ausschau hält, sieht nichts. Erst bei Ebbe, wenn sich das Wasser zurückzieht, werden verschiedene Eisengestänge sichtbar, die aus dem Wasser herausragen. Bine Pöhner erklärt, was es damit auf sich hat:
„Wir haben verschiedene Austernbänke hier vor uns liegen, und da haben wir ein sogenanntes Nord- und ein Südfeld eingeteilt. Und die Poches, das sind diese Kunststoffsäcke, wo die Austern sich drin befinden, sind ja mit farbigen Sticks verschlossen, und das ist für uns intern ein Kennzeichen, welcher Jahrgang wo liegt.“
Auf sogenannten „Tischen“ liegen die Austern in durchlässigen, engmaschigen, also eng verwobenen, Netzen. In der Fachsprache heißen diese Netze „Poches“, französisch für „Taschen“. Verschlossen werden sie mit einem Stick, einer Art Klammer. Sie sind fest an den Eisengestängen verschnürt, damit sie nicht von der Strömung weggetragen werden. Damit die Austern nicht zu früh geerntet werden, werden die Säcke farblich markiert. Pro Jahr werden etwas mehr als eine Million der Krustentiere geerntet.
Etwa im November werden die Austern in Tanks auf die Insel gebracht, wo sie bis März bleiben. Denn bei strengem Frost würden sie sonst von Eisschollen, großen Eisblöcken, im Wattenmeer erdrückt. Ungefähr 30.000 Austern finden in einem Tank Platz. Dort werden sie über eine eigens gebaute Leitung mit dem Wasser der Nordsee versorgt. In den meterlangen Becken machen die Austern laut Bine Pöhner regelmäßig vor ihrer letzten Reise Zwischenstation, ehe sie auf den Tellern in verschiedenen Restaurants der Republik landen:
„Wir können nicht am selben Tag ernten und Austern verkaufen, weil die, wenn sie aus dem Wattenmeer kommen, einmal in unserer ‚Waschmaschine‘ unter Hochdruck von Schwebeteilchen und Kleinstlebewesen befreit werden. Und dann packen wir sie gerne noch über Nacht in eins der Becken, damit sie sich noch mal ausfiltern können.“
So, wie sie aus dem Meer kommen, können die Austern nicht verkauft werden. Sie werden erst mal in einer Waschanlage von außen gereinigt. So müssen Schlick, feinkörniger Schlamm, und andere Stoffe, die die Größe eines Staubkornes haben, sogenannte Schwebeteilchen, aber auch kleine Seetiere, die an der Schale haften, mit einem kräftigen Wasserstrahl entfernt werden. Anschließend müssen sie ein paar Stunden „ausfiltern“, noch ein paar Nährstoffe aufnehmen.
Die Pflege der „Sylter Royal“ ist aufwendig. Dazu gehört, dass sie auf den Austernbänken regelmäßig gewendet und von Algenbewuchs befreit werden. Das hat natürlich seinen Preis. Vor Ort zahlen Abnehmer pro Stück im Schnitt 1,30 Euro. Im Restaurant kostet sie wegen der Transportkosten noch mehr. Vor der Auslieferung wird – das ist gesetzlich vorgeschrieben – noch die Qualität überprüft. Da hilft, so Bine Pöhner, nur das geschulte Gehör eines Experten beim obligatorischen Klopftest:
„Wir nehmen zwei Austern und klopfen die aufeinander, und Sie hören, es klingt wie ein Stein. Also, klingt ganz gut. Die beiden sind also intakt, die kann ich verpacken.“
Sind die Austern der „Sylter Royal“ intakt, nicht beschädigt, werden sie an Delikatessengeschäfte und Restaurants nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland verschickt. Wer mag, kann sie aber auch direkt vor Ort in der „Sylter Royal Austernstube“ essen. Sprachlich genauer wäre es zu sagen: Sie wird stilvoll „geschlürft“. Das Fleisch wird geräuschvoll direkt in den Mund gesogen – mit oder ohne das salzige Meerwasser.