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Politik

Aussöhnung mit Deutschland steht auf der Kippe

31. Mai 2021

Lange haben Deutschland und Namibia über ein Aussöhnungsabkommen verhandelt. Nun haben Vertreter betroffener Bevölkerungsgruppen das Abkommen jedoch abgelehnt. Muss neu verhandelt werden?

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Deutschland | Namibia | Aussöhnungsabkommen | Proteste in Windhoek
Proteste in Namibias Hauptstadt Windhuk gegen den mit Deutschland geplanten VertragBild: Sonja Smith/AP Photo/picture alliance

Ein Verband von Häuptlingen der Volksgruppen der Herero und Nama hat das von Deutschland vorgeschlagene Abkommen abgelehnt, in dem die Bundesregierung die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht vor mehr als 100 Jahren im heutigen Namibia als Völkermord anerkennt. Die Häuptlinge fordern, dass die Unterzeichnungszeremonie zwischen Deutschland und Namibia verschoben wird.

"Schockierend" und "beleidigend"

Die von der Bundesregierung angebotenen Unterstützungszahlungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre seien "eine schockierende Offenbarung", "inakzeptabel" und ein "Affront gegen unsere Existenz", erklärten Vertreter des von der namibischen Regierung anerkannten Rates der Häuptlinge in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung. Der "beleidigende Betrag" werde abgelehnt.

Zwar begrüße der Rat die Anerkennung des Völkermords durch die Bundesregierung, das Schuldeingeständnis für die mehr als 100 Jahre zurückliegenden Gräueltaten und die geplante Bitte um Vergebung. Die Reparationsfrage müsse jedoch neu verhandelt werden, hieß es.

Nach fast sechs Jahren der Verhandlungen hatten sich die deutsche und die namibische Regierung vergangene Woche auf ein Abkommen zur Aussöhnung geeinigt. Der Rat der Häuptlinge erklärte nun aber, er sei nicht rechtzeitig in die Verhandlungen eingebunden worden, um die betroffenen Volksgruppen zu konsultieren. Die Ovaherero Traditional Authority, eine weitere Herero-Gruppe, hatte das Abkommen vergangene Woche bereits als PR-Coup Deutschlands und Betrug der namibischen Regierung bezeichnet.

Namibias Regierung ist verwundert

Die namibische Regierung zeigte sich über die Stellungnahme des Rates der Häuptlinge überrascht und sprach von einem schwerwiegenden Rückschritt. Der Rat sei in den gesamten Verhandlungsprozess involviert gewesen, sagte der Sonderbeauftragte und Verhandlungsführer der namibischen Regierung, Zed Ngavirue, der Deutschen Presse-Agentur.

Ruprecht Polenz Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde
Der deutsche Verhandlungsführer Polenz ist verwundert über die Kritik der Herero und HamaBild: Imago/O. Haist

Ähnlich äußerte sich der Namibia-Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Ruprecht Polenz (CDU). "Es haben bei jeder Verhandlungsrunde Vertreter der Herero und Nama mit am Tisch gesessen", sagte Polenz. Die Kritik komme vor allem von jenen, "die gerne am Tisch gesessen hätten, wo die namibische Regierung aber anders entschieden und andere Herero und Nama an den Tisch gesetzt habe", sagte Polenz. "Sowas kommt vor." Die Zahl der unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der Volksgruppen sei eben sehr groß.

Wie es nun weitergeht, ist noch unklar. Namibias Verhandlungsführer Ngavirue sagte, das Parlament sei bis zum 8. Juni in einer Sitzungspause; danach werde der Premierminister einen Bericht vorlegen. Man müsse die Verhandlungen nun neu bewerten. "Ich denke, Deutschland war sich der Tatsache bewusst, dass es in diesem Land Spaltungen gibt ... Wir alle müssen beurteilen, inwieweit (die Stellungnahme des Rats der Häuptlinge) ernsthaft in Betracht gezogen werden muss", gab sich Ngavirue vorsichtig.

Aufstände brutal niedergeschlagen

Die Bundesregierung hatte bei den Verhandlungen immer wieder betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gebe. Die 1,1 Milliarden Euro seien als politisch-moralische Verpflichtung zu verstehen.

Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 kam es zu einem Massenmord, der als erster Genozid im 20. Jahrhundert gilt. Historiker schätzen,dass 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama getötet wurden. Seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt dafür den Begriff Völkermord in seinem allgemeinen Sprachgebrauch. Jetzt werden die Gräueltaten auch offiziell als Völkermord bezeichnet.

haz/uh (dpa, afp)