Qualifizierte Bewerber dringend gesucht
1. August 2018Martin Palacz seufzt. Und das liegt nicht nur an der sommerlichen Hitze, die auch den Kölner Norden in diesen Tagen erfasst hat. Palacz ist Personalleiter bei Hottgenroth Software, einem Unternehmen, das unter anderem ein Programm zur energetischen Gebäudeplanung entwickelt hat. Mitte der Neunziger Jahre wurde das Unternehmen gegründet, seitdem prosperiert es, hat rund 200 Mitarbeiter und inzwischen Standorte in Nord- und Ostdeutschland sowie in Österreich.
Trotz dieser Erfolgsbilanz hat Personalleiter Palacz ein Problem. Es fehlt an gutem Nachwuchs: "Die Anzahl der Bewerber an sich ist relativ hoch, leider müssen wir feststellen, dass die Ausbildungsreife bei vielen Schulabgängern nicht gegeben ist. Es fehlt teilweise an den absoluten Basics, ganz normalen Tugenden. Dazu gehören für mich gutes Benehmen, gutes Auftreten, nicht nur Forderungen stellen, sondern vielleicht auch mal hinten anstehen zu können." Palacz hält ernüchtert fest: "Das ist bei vielen Jugendlichen heute nicht mehr gegeben."
Bundesweit zu wenig qualifizierte Azubis
Die Erfahrungen, die Palacz macht, sind keine Ausnahme. Traditionell beginnt das Ausbildungsjahr in Deutschland Anfang August. Die Wirtschaft boomt, die Nachfrage nach qualifizierten Azubis steigt kontinuierlich. Wie groß die Schwierigkeiten von Unternehmen in diesen Tagen sind, Ausbildungsplätze zu besetzen, macht eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) von Mitte Juli deutlich: In jedem dritten Betrieb bleiben Ausbildungsplätze unbesetzt.
Fast jede zehnte Firma, deutschlandweit rund 17.000 Unternehmen, bekommt überhaupt keine Bewerbung mehr. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Steigerung von rund zehn Prozent. Besonders das Hotel- und Gaststättengewerbe ist betroffen, aber auch in vielen Handwerksberufen, etwa im Lebensmittelhandwerk und im Lebensmittelverkauf, also in Fleischereien und Bäckereien, in der Orthopädie- und Rehatechnik oder im boomenden Baugewerbe suchen viele Firmen qualifizierte Lehrlinge.
Der Trend geht weg von Ausbildungsberufen
Nur ein paar Kilometer vom Firmengelände von Hottgenroth Software entfernt, in Sichtweite zum Dom, hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) ihren Sitz in der Kölner Innenstadt. Christopher Meier ist der Geschäftsführer der Aus- und Weiterbildung. Einen Grund für die unzureichenden Bewerberzahlen in Ausbildungsberufen sieht er im Trend, einen möglichst hohen Schulabschluss zu erreichen: "In Köln machen beispielsweise zwei Drittel aller SchülerInnen Abitur. Damit ist oftmals ein Automatismus verbunden, mit dem Abitur in der Tasche studieren zu müssen."
Viele Schulabsolventen mit Abitur streben in Richtung Universität bzw. Hochschule. Der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen und Studium ist seit Jahren ungebrochen. "Die Duale Ausbildung ist leider aktuell nicht auf Platz Eins der Schulabsolventen. Damit wird die Zahl der BewerberInnen natürlich geringer", bedauert Meier.
Auch viele Jugendliche gehen leer aus
Dass die Sichtweise der Unternehmen nur eine Seite der Medaille ist, macht ein Blick auf die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) deutlich: So ist in den vergangenen Jahren auch die Anzahl der jungen Menschen, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgegangen sind, kontinuierlich gestiegen. Alleine in den vergangenen acht Jahren hat sich ihre Zahl verdoppelt. Gingen im Zeitraum 2010/2011 noch rund 11.000 Bewerber leer aus, stieg deren Zahl im Zeitraum 2016/17 auf knapp 24.000 Menschen an. Besonders betroffen sind Büro- und Verwaltungsberufe, der Bereich Kfz-Technik oder die Medizinische Fachassistenz.
Auf der einen Seite Unternehmen, die händeringend nach Azubis suchen, auf der anderen Seite Jugendliche, die keine Stelle finden: Wie kommt es zu dieser Diskrepanz? Christoph Meier von der IHK-Köln hat im DW-Interview eine einfache Erklärung: "Knapp die Hälfte der jungen Schulabgänger interessiert sich für Ausbildungsberufe und strebt dann auch gerne zu großen, bekannten Unternehmen. Kleine und mittelständische Unternehmen sind bei jungen Schulabgängern eher unbekannt beziehungsweise eher unattraktiv."
Betriebe müssen offener werden
Bei der Suche nach einer Lösung sieht Christoph Meier auch die Schulen im Land gefordert: "Vor allem Gymnasien müssen erkennen, dass deren Auftrag nicht nur die Vorbereitung auf das Studium sein kann. Die Gleichwertigkeit der akademischen und beruflichen Bildung ist noch nicht in allen Köpfen verankert." Er räumt allerdings ein: "Natürlich müssen beide Seiten flexibler werden. Der Bewerber muss sich für Alternativen öffnen, sei es fachlich oder regional. Aber auch die Betriebe müssen offener werden, was beispielsweise Noten und Schulabschlüsse angeht."
Bei Hottgenroth Software, im Industriegebiet im Kölner Norden, stoßen Meiers Vorschläge auf offene Ohren. Martin Palacz betont die enge Zusammenarbeit mit der IHK und den Schulen. Das Unternehmen schalte Anzeigen in Ausbildungszeitschriften und Schülerzeitungen und präsentiere sich auf Ausbildungsmessen. Das Ergebnis, sagt der Personalleiter, sei in vielen Fällen allerdings ernüchternd: "Teilweise kommen die Bewerber in zerrissenen Jeans oder T-Shirt, weil sie es nicht für wichtig erachten, vernünftig gekleidet zu kommen. Es muss keiner mit einem Anzug kommen, aber eine vernünftige Jeanshose und ein Hemd würden mir schon genügen. Trotz technischer Hilfsmittel wie der Autokorrektur bei Word bekommen wir selten Bewerbungen, die fehlerfrei sind."
25 Auszubildende, sagt Palacz, habe das Unternehmen derzeit. Das sei nicht immer gelungen. Aufgrund der Vielzahl ungenügender Bewerbungen sei es in den vergangenen Jahren schon vorgekommen, dass einige Ausbildungsplätze schlicht nicht hätten besetzt werden können.