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Dörfer ohne Schulen

11. August 2010

Das portugiesische Erziehungsministerium schließt ab nächstem Schuljahr mehr als 900 Dorfschulen mit weniger als 21 Schülern. Kritiker fürchten, dass so die Landflucht in der Provinz noch weiter beschleunigt wird.

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Die Dorfschule von Alcanadas in Mittelportugal (Foto: Jochen Faget)
Dörfer verlieren ihre SchulenBild: DW

Die Kirchenglocke schlägt fünf, die größte Hitze ist vorbei und auf dem Dorfplatz von Alcanadas geht es rund. Zumindest für die örtlichen Verhältnisse. Albino da Silva steht vor seiner Haustür. Im Café gegenüber kauft Susana Cruz ein Eis für ihren Sohn David.

Gewerkschafter Manuel Lopes vor dem geschlossenen Tor der Schule von Alcanadas (Foto: Jochen Faget)
Dieses Tor bleibt dichtBild: DW

In dem 100-Seelen-Dorf reden alle nur von einem: "Ich verstehe einfach nicht, warum sie unsere Kinder jetzt in den Nachbarort in die Schule bringen wollen", schimpft Vater Albino Silva. "Es war doch alles gut so, wie es war."

Eben nicht, findet das portugiesische Erziehungsministerium. Das hat beschlossen, dass Dorfschulen mit weniger als 21 Schülern schließen müssen. In Alcanadas, irgendwo im Gebirge zwischen der mittelportugiesischen Stadt Batalha und dem Wallfahrtsort Fátima, waren es nur noch 13 Schulkinder.

Ein Protestplakat an der Schule (Foto: Jochen Faget)
'Diese Schule wird uns fehlen' - Protesttransparent der LehrergewerkschaftBild: DW

Darum muss Albino Silvas Sohn Diogo im nächsten Schuljahr mit dem Bus fast zehn Kilometer in die vierte Klasse fahren, obwohl die Schule von Alcanadas noch vor kurzem modernisiert und ausgebaut wurde. Das empört Albino Silva: "Da hat die Gemeinde viel Geld ausgegeben und die Schule wunderschön umgebaut. Und jetzt soll sie schließen! Ich bin dagegen, aber was kann ich schon tun?"

Schließungen fördern Landflucht

Über 900 Dorfschulen werden in Portugal ab dem kommendem Herbst geschlossen bleiben, vor allem in den von galoppierender Landflucht heimgesuchten Regionen des Hinterlandes.

Dies geschieht aus pädagogischen Gründen, versichert das Ministerium. Doch der für den Schulbereich zuständige Kreisverordnete Fernando Parreira aus dem mittelportugiesischen Pombal vermutet finanzielle Ursachen: "Dem Ministerium geht es doch nur ums Geld. Je mehr Schulen schließen, desto weniger Lehrer müssen eingestellt werden."

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In seinem Landkreis, der im armen, ländlichen Raum liegt, haben in den vergangenen 15 Jahren schon 50 Grundschulen geschlossen, erklärt der Kreisverordnete. Jetzt könnte es 13 weitere treffen, mit weitreichenden sozialen Konsequenzen, wie Manuel Lopes von der zuständigen Lehrergewerkschaft erklärt: "Vor noch kurzer Zeit hat sich das Leben in diesen abgeschiedenen Dörfern um die Kirche, das Gesundheitszentrum und um die Schule gedreht. Die Gesundheitszentren wurden längst geschlossen, sogar die Post. Wenn jetzt auch noch die Schulen dicht machen, wandern alle jungen Ehepaare, die können, in die Ballungszentren ab."

Keine Alternativen

Die Landflucht im Landesinneren werde durch das staatlich verordnete Schulsterben beschleunigt, fürchtet auch der Kreisverordnete Parreira. Obendrein bringe die Schließung kleiner Schulen den Grundschülern oft keine Vorteile. Denn moderne, größere Schulen würden in seinem Landkreis erst in den nächsten Jahren gebaut werden: "In manchen Fällen müssen die Kinder jetzt über zehn Kilometer fahren. In Schulen, die manchmal schlechter sind, als die in ihrem Dorf. Das ist doch Unsinn."

Der Kommunalpolitiker Fernando Parreira an seinem Schreibtisch (Foto: Jochen Faget)
Der Kommunalpolitiker Fernando Parreira sagt, das Erziehungsministerium wolle nur Geld sparenBild: DW

Kein Wunder, dass im Dörfchen Alcanadas schlechte Stimmung herrscht. Während Sohn David vor dem Café vergnügt sein Eis schleckt, macht Mutter Susana ihrem Ärger Luft: "Jetzt müssen wir die Kinder in eine weit entfernte Schule bringen, das ist schlecht und unpraktisch. Vor allem, weil die noch gar nicht fertig ist und die Kinder in Fertigbau-Containern unterrichtet werden."

Von den anderen Unannehmlichkeiten ganz zu schweigen: Susana arbeitet in einem anderen Dorf. Wenn Sohn David nicht stundenlang mit dem Schulbus fahren soll, dann ist sie täglich über 40 Kilometer mit dem Auto unterwegs. Bisher waren es nur zehn. Und was aus der schmucken, erst vor zwei Jahren modernisierten Schule in Alcanadas wird, weiß natürlich auch niemand.

Autor: Jochen Faget
Redaktion: Fabian Schmidt