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Gefühl des Aufbruchs

Nina Werkhäuser30. April 2013

Selten waren die Grünen so optimistisch wie auf ihrem Wahlparteitag in Berlin. Sie wollen endlich raus aus der Opposition und die schwarz-gelbe Bundesregierung ablösen. Aber mit welcher Strategie?

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Auf dem Bundesparteitag Bündnis 90/Die Grünen in Berlin: Eine gelbe Blume, dahinter klatschende Delegierte. Foto: Reuters
Bild: Reuters

"Gesammelte Luftblasen" seien die Wahlversprechen der CDU, eine "Wundertüte voller Nieten". Parteichefin Claudia Roth war in Hochform, als sie auf dem Parteitag den Startschuss für den grünen Bundestagswahlkampf gab. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei zuerst für die Atomkraft gewesen, dann dagegen, einst habe sie den Klimaschutz gefördert und bremse ihn jetzt. Dafür übernehme sie, die "Teflon-Kanzlerin", aber keine Verantwortung. Die Delegierten sprangen auf und jubelten, als Roth die Ablösung der konservativ-liberalen Bundesregierung zum obersten Wahlziel erklärte: "Die nächste Bundesregierung wird rot-grün."

Aber welche Themen sind stark genug, um die populäre Bundeskanzlerin aus dem Kanzleramt zu vertreiben? Darauf angesprochen, zögern viele Grüne einen Moment. Mit gut 150 Seiten ist das Wahlprogramm dick und umfassend. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen sich die einstige Öko-Partei vorrangig auf den Schutz der Umwelt konzentrierte.

Ein Mangel an Gerechtigkeit

Heute treibt die Grünen neben der Energiewende vor allem das Thema "soziale Gerechtigkeit" um. Viele Leute, das erleben sie bei ihrer Arbeit an der Basis, fühlten sich "abgehängt": Niedrige Löhne, von denen es sich kaum leben lässt, geschlossene Schwimmbäder in verarmten Kommunen, Rentner, die in Suppenküchen für eine warme Mahlzeit anstehen.

An diesem Punkt habe die schwarz-gelbe Bundesregierung versagt - so sehen es die Grünen. Wenn dann noch Wohlhabende ihr Vermögen an der Steuer vorbei auf Auslandskonten bugsieren, dann sei das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft empflindlich gestört.

"Im sozialen Bereich müsste einiges umgekrempelt werden", fordert der Delegierte Alexander Maul aus Saarlouis im Gespräch mit der DW. Als Beispiel nennt er die vielen unsicheren Jobs. "Sich darauf auszuruhen, dass alles rosig und Deutschland der Motor in Europa sei, das ist eine Lüge", so Maul. Wer sich Deutschlands Infrastruktur, die Straßen und Schienen genauer ansehe, der wisse, dass viel Geld investiert werden müsse. "Aber das verschweigt die Kanzlerin der Bevölkerung."

Für Jutta Bruns, die in der Nähe von Frankfurt am Main für den Bundestag kandidiert, gehört zur Gerechtigkeit auch die Gleichberechtigung der Frauen: "Ich halte das für ein ganz wichtiges Thema. Mit diesem alten Frauenbild haben wir keine Chance für eine gute Zukunft." Die Grünen, die alle Posten mit gleich vielen Männern und Frauen besetzen, treten in ihrem Wahlprogramm konsequent für die Gleichberechtigung ein. Dass Frauen in Deutschland heute deutlich weniger verdienen als Männer, ist ihnen ein Dorn im Auge. Viel Spott erntete auf dem Parteitag der Kurs der Bundeskanzlerin, Frauen erst ab dem Jahr 2020 mit einer Quote zu mehr Posten in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen zu verhelfen. Auch auf diesem Feld wollen die Grünen die jetzige Regierung im Wahlkampf angreifen.

Zur SPD ein 'Ja' mit Einschränkungen

Kontrovers diskutiert wurde in den Gängen neben der Parteitagshalle der demonstrative Schulterschluss mit den Sozialdemokraten, der nun auch im Wahlprogramm festgehalten ist. Das bedeute "keinen Wahlkampf im Windschatten der SPD", sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, aber die Wähler sollten wissen, dass die Grünen ein Regierungsbündnis mit der SPD anstrebten. Eine Diskussion über etwaige Gemeinsamkeiten mit der CDU hat die Parteiführung gar nicht erst aufkommen lassen, weil sie eine solche für schädlich hält.

Für seine Gastrede bekam SPD-Chef Sigmar Gabriel auf dem Parteitag freundlichen Applaus und wurde von den grünen Spitzenpolitikern geherzt wie ein alter Freund. Nicht alle Delegierten halten es aber für nötig, dass der Wahlkampf einen so demonstrativen rot-grünen Anstrich bekommt. Der bayerische Grüne Johann Mayer hätte einen eigenständigen Wahlkampf der Grünen besser gefunden - "und hinterher schauen wir, was wir machen können." Das richte sich nicht gegen die SPD, sagt er. Es behage ihm nur nicht, dass die Grünen "von einer anderen Partei vereinnahmt werden".

Grüne Delegierte stimmen auf dem Wahlparteitag ab. Foto: Reuters
Die Grünen wollen eine gerechtere GesellschaftBild: Reuters



"Es gibt immer eine Chance"

"Die SPD muss noch eine Schippe drauflegen", sagen die Grünen. Ihnen ist nicht entgangen, dass der Kanzlerkandidat der SPD im Wahlkampf bisher eher glücklos agierte. "Es ist kein Geheimnis, dass Peer Steinbrück im letzten halben Jahr Talent bewiesen hat, kein Fettnäpfchen auszulassen", resümiert der Grüne Alexander Maul. Aber das sei das "Problem der SPD". Insgesamt findet er die rot-grüne Partnerschaft wegen der inhaltlichen Übereinstimmungen in Ordnung. Für einen Wahlsieg gebe es immer eine realistische Chance.

Dass die Sozialdemokraten in den Umfragen momentan nicht sehr gut dastehen, schmälert die Zuversicht der Grünen nicht. "Wenn die Sozialdemokraten wieder mehr auf die kleinen Leute zugehen, auf ihre ursprüngliche Klientel, und die motivieren können, dann bin ich guter Dinge", sagt der Grüne Robert Klein aus Hamburg-Harburg. Angesichts der ausgezeichneten Umfragewerte für die Grünen fügt er lächelnd hinzu: "Und wenn es nicht für Rot-Grün reicht, dann muss es halt für Grün-Rot reichen."

SPD-Chef Sigmar Gabriel hält eine Rede auf dem Wahlparteitag der Grünen, im Hintergrund die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir. Foto: Reuters
SPD-Chef Sigmar Gabriel bekennt sich auf dem Grünen-Parteitag zu einem gemeinsamen RegierungsbündnisBild: Reuters