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Auf die Finger geschaut

Gabriel Gonzalez7. Dezember 2002

Auf ihre alten Tage mutieren die Einstürzenden Neubauten, Deutschlands bekannteste Vorzeige-Avantgardisten, zu Webpionieren. Sie lassen sich ihr neues Album komplett von Internetnutzern finanzieren.

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Neue Wege im Musikvertrieb:<br> Einstürzende NeubautenBild: Einstürzende Neubauten

"Solange sich das Publikum nicht störend bemerkbar macht, ist es mir eigentlich egal." Diesen etwas überheblich klingenden Satz, soll einmal Blixa Bargeld, Sänger und Mastermind der Einstürzenden Neubauten, ausgesprochen haben. Mittlerweile scheint er seine Meinung gründlich geändert zu haben.

Das kommende Album soll nämlich allein durch die Hilfe der Fans und Freunde der Band finanziert werden. Für die einmalige Zahlung von wahlweise 35 Dollar oder 35 Euro, dürfen sie pünktlich zum 23. Geburtstag der Neubauten, am 1. April 2003, das fertige Werk als CD in den Händen halten.

Für das Geld bekommt der Unterstützer aber nicht nur ein Exklusiv-Album der Einstürzenden Neubauten, sondern auch die Möglichkeit den Musikern während der Produktion live via Internet über die Schulter zu schauen. Dazu wurden im Studio überall Webcams installiert, die mehrmals im Monat die Probe-Sessions ins Netz überträgt.

Das Publikum stört nicht

Das zahlende Publikum kann sich dann "bemerkbar" machen und das Gehörte und Gesehene kommentieren. Obwohl die meisten Unterstützer bislang aus den USA kommen, beteiligen sich inzwischen auch Fans aus Argentinien, Ungarn, der Türkei und sogar Grönland an dem Projekt. Einer hat sogar die Webseite ins Japanische übersetzt, erzählt Blixa Bargeld: "Das ganze Projekt nimmt sehr interessante Formen an, die ich überhaupt nicht vorhersehen konnte. Es entwickelt sich eine Art Gemeinschaft unter den Unterstützern."

Abgesehen von dem hohen Grad an Interaktivität, stellt das Internet-Projekt der Einstürzenden Neubauten auch eine Herausforderung an die Musikindustrie dar, die es bis heute nicht geschafft hat, gangbare Wege des Musikvertriebs im Internet zu realisieren. Sollten in Zukunft auch andere Bands ihre Webseite als globale Vertriebsplattform begreifen, die ihnen künstlerische und wirtschaftliche Unabhängigkeit garantiert, dürften die traditionellen Plattenmultis bald recht alt aussehen.

Neben dem Vertrieb ist für Blixa Bargeld auch das enge Verhältnis von Künstler und Fan wichtig: "Was wir den Unterstützern bieten ist vor allem Intimität, etwas was die Musikindustrie gar nicht bieten kann."

Gelungenes Projekt

Die Einstürzenden Neubauten schätzen, dass sie mindestens 1500 Unterstützer brauchen um genug Geld für die Produktion zu haben. Offensichtlich ist ihr Internet-Projekt von Erfolg gekrönt, denn der auf der Webseite eingerichtete Counter vermerkt derzeit: "250 supporters needed."

Unkonventiellen Ideen stand die Berliner Band schon immer aufgeschlossen gegenüber: Seit ihrer Gründung im Jahre 1980 revolutionierte sie die typischen Formen der Rockmusik und malträtierte mit ihrem avantgardistischen Lärm-Pop die Gehörgänge der bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft. Zu ihrem bevorzugten Instrumentarium zählen Bohrgeräte, Metallschneider, Zirkelsägen und sogar Flugzeugturbinen. Zwar haben sie den Bereich der akustischen Subversion schon seit langem verlassen, um als Stammgäste im deutschen Feuilleton zu landen, für Überraschungen sind sie aber offensichtlich immer noch gut.

Nach dem sie mit so manchen Hörgewohnheiten gebrochen haben, steht es den Einstürzenden Neubauten gut zu Gesicht, erfolgreich mit den einstürzenden Gewohnheiten des Musikvertriebs im Internet aufzuräumen.