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Religionsorscher suchen "deutschen Islam"

Matthias von Hein2. Mai 2016

Der Islam ist vielseitiger als viele denken. In ihm steckt Potenzial zu einer inhaltlichen Erneuerung innerhalb unserer freiheitlichen Ordnung. Ergebnisse einer Tagung zur Frage: "Welcher Islam gehört zu Deutschland?"

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Tag der offenen Moschee
Bild: picture-alliance/dpa

Ein altes Gebäude, eingerüstet und im Prozess der Renovierung. Geradezu sinnbildlich spiegelt der Ort der Konferenz ihren Gegenstand wider. "Welcher Islam gehört zu Deutschland?" hatte das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam, FFGI, auf der Einladung zu seiner Tagung Ende April gefragt. Bei der Veranstaltung selbst wehte ein Hauch von Reformation durch die Räume des Historischen Museums in Frankfurt. Die herausragenden Vertreter eines aufgeklärten, modernen Islam hatte FFGI Leiterin Susanne Schröter versammelt. Dass der Islam zu Deutschland gehört, so wie es der frühere Bundespräsident Christian Wulff 2010 in einer Rede festgestellt hat, steht Schröter dabei außer Frage. Sie selbst hielt ein Plädoyer für einen "deutschen Islam": Für sie ist das ein "offener Islam, der sich nicht abgrenzt gegen die Mehrheitsgesellschaft". Schröter wünscht sich Muslime, die durchaus ihren speziellen Weg zu Gott suchen, finden und praktizieren, "die aber nicht vorhaben, islamisches Recht durchzusetzen, sondern mit unserem Rechtsstaat absolut einverstanden sind."

Susanne Schröter Leiterin Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Foto: Privat/Schröter dpa
FFGI Leiterin Susanne SchröterBild: picture-alliance/dpa/FFGI

Die aufgeklärten Muslime fallen nicht auf

Es seien schon sehr viele Leute an diesem weltoffenen, kritischen und rationalen Islam interessiert, betonte der islamische Theologe Erdal Toprakyaran aus Tübingen gegenüber der DW. Allerdings fielen die nicht weiter auf. Toprakyaran wie auch die Theologin Hamideh Mohagheghi aus Paderborn oder der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, Mouhanad Khorchide ließen in ihren Beiträgen einen kritische, rationale und aufgeklärte Tradition im Islam lebendig werden. Allerdings gesteht Toprakyaran zu, dass diese "Traditionen in Vergessenheit geraten sind und überlagert wurden durch andere, unkritische Traditionen".

Gegen die wandte sich auch Bassam Tibi aus Göttingen. Der in Syrien geborene Politikwissenschaftler gilt als Urheber des Begriffs "Euro-Islam". Der würde zwischen Politik und Religion trennen und Toleranz gegenüber allen Menschen zeigen. Tibi vertritt auch gegenüber der DW die Meinung, "dass der Islam durch Reformen eine europäische Form annehmen kann. So dass die circa 30 Millionen Muslime in Europa europäische Bürger werden." Zugleich warnt Tibi angesichts der in den vergangenen eineinhalb Jahren nach Deutschland gekommenen etwa 1, 6 Millionen Muslimen vor Parallelgesellschaften: "Islamistische Organisationen versuchen vor allem die Jugendlichen zu erobern und sie in ihren Netzwerken zu organisieren. Der deutsche Staat tut nichts dagegen und sagt: Wir sind weltanschaulich neutral." Der Göttinger Politologe beklagt vor allem das Fehlen einer Eingliederungsstrategie: "Es gibt eine humanitäre Politik, für die man Deutschland dankbar sein muss. Aber eine Strategie - außer der körperlichen Unterbringung in Flüchtlingsheimen und ein bisschen Kleingeld, Alimente - eine Strategie zur Eingliederung dieser Menschen gibt es nicht."

Professor Bassam Tibi, Uni Göttingen. Foto: Mathias von Hein
Bassam Tibi erfand den Begriff "Euro-Islam"Bild: DW/M. von Hein

Abfall vom Islam wird akzeptiert

In Frankfurt trat auch Aiman Mazyek auf. Als Vorsitzender des Zentralrats der Muslime spricht er immerhin für 32 islamische Gemeinschaften in Deutschland – auch wenn hier nur zehn bis zwanzig Prozent der Muslime in Verbänden organisiert sind. Konferenzorganisatorin Schröter fragte Mazyek, ob zum Grundrecht der Religionsfreiheit für ihn und seine Organisation auch die Freiheit von der Religion gehöre - also "die Freiheit eines Muslims, seinen Glauben auch aufgeben zu können". Der Zentralratschef antwortet mit "Ja", Mazyek verweist auf eine Charta, in der sein Verband sich schon vor 14 Jahren von der Position abgewandt habe, die Abkehr vom Islam sei eine Art Hochverrat.

Susanne Schröter sieht angesichts der Radikalisierung von muslimischen jugendlichen Milieus die Zeit davon laufen, bis ein aufgeklärterer Islam in den Gemeinden eine Breitenwirkung entfaltet. Sie wünscht sich sehr schnell Programme, um einen liberalen Islam in den Moscheen und in unserer Gesellschaft zu verankern.