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Politik

Auf dem Rücken der Bestie nach Norden

Andréane Williams tön
30. Juli 2018

Bis zu eine Million Migranten aus Mittelamerika versucht in jedem Jahr auf dem Güterzug "Die Bestie" Mexiko in Richtung USA zu durchqueren. DW-Reporterin Andréane Williams ist auf der riskanten Route mitgereist.

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Migranten auf Güterzug "La Bestia" Richtung USA
Bild: DW/A. Williams

Nun sitzen sie an den Gleisen und warten. Warten geduldig auf "La Bestia", die Bestie. Drei Tage hatten Luisa Marina und ihre elfjährige Tochter Angie gebraucht, um von Honduras bis hierher ins südmexikanische Palenque zu kommen. Die letzten beiden Nächte haben sie auf der Straße geschlafen.

"Ich habe Angst, diesen Zug zu besteigen. Zu viele schlimme Geschichten habe ich darüber gehört", sagt Luisa, während sie an den Gleisen steht. Neben ihr stehen einige Dutzend weiterer Migranten, die wie sie auf den Zug warten: die "Bestie" oder auch den "Zug des Todes". Gemeint sind damit die Güterzüge, die Mexiko von der Grenze zu Guatemala Richtung Norden, Richtung USA durchqueren - und mit ihnen jährlich bis zu eine Million Migranten aus Zentralamerika. Sie setzen dabei ihr Leben aufs Spiel.

Schwerste Verletzungen und Todesfälle

Die Güterzüge versprechen eine schnelle und billige Möglichkeit, nach Norden zu kommen. Das Risiko dabei: ausgeraubt, vergewaltigt oder ermordet zu werden. Immer wieder überfallen örtliche Gangs und Verbrecherkartelle Flüchtlinge und rauben ihre Habseligkeiten und das bisschen Geld, das sie dabeihaben.

Migranten auf Güterzug "La Bestia" Richtung USA
Migranten studieren vor ihrer Fahrt auf der "Bestie" die Route von vom Süden Mexikos bis zur NordgrenzeBild: DW/A. Williams

Es ist halb vier morgens, als der Zug unerwartet eintrifft. Luisa Marina und ihre Tochter haben an den Gleisen geschlafen Das Quietschen der Räder riss sie aus dem Schlaf. Luisa Marina greift den kleinen Rucksack, ihr einziges Gepäckstück. Schnell rennt sie mit ihrer Tochter zur Bestie. 

Gefahr von Entgleisungen 

"Ich bin so froh, dass wir nicht auf dem Dach sitzen müssen", sagt Marina und hilft ihrer Tochter, auf den schmalen Steg zwischen zwei Waggons zu klettern. Wer auf dem Dach sitzen muss, hat keine Möglichkeit, sich festzuhalten. Viele sind schon heruntergestürzt. Immer wieder kommt es zu schwersten Verletzungen und sogar Todesfällen.

"Diese Züge sind nicht dafür gedacht, bestiegen zu werden. Oft fallen Migranten herunter und kommen dabei ums Leben. Manchmal betätigen sie beim Hinaufklettern versehentlich die Bremsen. Das kann dazu führen, dass der Zug entgleist", erklärt Octavio, der für die Instandhaltung der Züge zuständig ist. Erneut wirft er einen Blick auf die Bremsen.

Derweil stehen Marina und ein Dutzend weiterer Migranten auf den schmalen Trittbrettern zwischen den Waggons und warten angespannt auf die Abfahrt des Zuges. "Ich habe gehört, dass sie in den USA gerade Familien trennen und Eltern abschieben", sagt Marina besorgt. Niemals aber werde sie ohne ihre Tochter gehen.

"Es ist wie Bullenreiten" 

Es ist heiß und stickig, Mit ohrenbetäubendem Lärm krachen die Kupplungen des Zuges ineinander. Als die Sonne aufgeht, kämpfen viele Migranten gegen Ohnmacht an. Andere nutzen das Morgenlicht, um auf das Zugdach zu klettern und dösen dort ein wenig.

Migranten auf Güterzug "La Bestia" Richtung USA
Aufsatteln. Ein Migrant vergleicht die gefährliche Reise auf dem Güterzug in einer Art Galgenhumor mit Bullenreiten Bild: DW/A. Williams

"Wir nennen ihn die Bestie, weil er so gefährlich ist. Das ist wie Bullenreiten", sagt Jorge Cruz, während er auf dem Zugdach sitzt. Der Zwanzigjährige aus Honduras hat im US-Bundesstaat Maryland gelebt. Doch vor einem Monat wurde er abgeschoben. Nun versucht er, zurückzukommen. "Ich habe ein ruhiges Leben geführt. Aber die Einwanderungsbehörde hat mich geschnappt und mein Asylgesuch wurde abgelehnt", sagt Jorge, während er gefährlich überstehenden Ästen ausweicht.

Als der Zug unerwartet abbremst, klettern einige Migranten herunter und suchen im angrenzenden Wald nach Mangos. Die meisten haben nicht genügend Vorräte für die ganze Fahrt dabei.

"Auf dem Zug gibt es nichts zu essen. Geld, um etwas zu kaufen, haben wir nicht. Um zu überleben, müssen wir also unterwegs Früchte sammeln", sagt Angel, der sich mit seiner Schwägerin und deren vierjähriger Tochter auf den Weg nach Norden gemacht hat.

Migranten auf Güterzug "La Bestia" Richtung USA
Wer Glück hat, kann sich während der Fahrt mit der "Bestie" immerhin festhalten Bild: DW/A. Williams

Eine Gruppe junger Männer, die am Bahndamm gewartet hatte, nutzt den Halt des Zuges, um aufzusteigen. Einem von ihnen fehlt ein Bein. "Das Bein habe ich letztes Jahr verloren, als ich vom Zug gesprungen bin. Ich wollte vor einer mexikanischen Grenzpatrouille flüchten", sagt der Honduraner.

Nöte einer Mutter 

Auf dem Fuß ihrer Mutter sitzend, isst Angie langsam eine Mango. Sie und ihre Mutter reisen ohne jedes Geld. "Drei Tage sind wir gelaufen, um hierherzukommen. Mal haben wir etwas zu essen gefunden, mal nicht. " sagt Marina und ergänzt: "Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, aber wir mussten Toilettenwasser trinken."

Seit zehn Stunden sind die beiden nun auf dem Zug - ohne zu wissen, wie weit es noch ist, bis zum nächsten Halt: Chontalpa. Rund 1.500 Kilometer entfernt vom nächsten US-Grenzposten. "Mütter denken ausschließlich an ihre Kinder. Wir wollen, dass ihnen nichts Schlimmes widerfährt. Deshalb nehmen wir sie mit. Wir können sie nicht zuhause leiden lassen", sagt Marina.