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Rollstuhltanzen

9. November 2010

Quickstep kann man auch tanzen, ohne die Füße zu benutzen. Das beweist Andrea Borrmann. Sie ist seit fünfeinhalb Jahren an Multipler Sklerose erkrankt und startete kürzlich bei der WM im Rollstuhltanzen.

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Die Deutschen Meister Andrea Borrmann und Erik Machens üben Tänzer-Posen
Andrea Borrmann und Erik Machens beim TanzenBild: DW/Döing

Langsamer Walzer, Tango, Slowfox, Wiener Walzer, Quickstep, Samba, Cha-Cha-Cha, Paso doble, Rumba, Jive – Ob im Rollstuhl oder zu Fuß, die Tänze bleiben die gleichen.

Andrea Borrmann und Erik Machens rollen in einer kleinen Sporthalle in Osnabrück elegant mit erhabenen Gesten zum Wiener Walzer, schütteln ihre Oberkörper zum Quickstep und kippeln, sodass die vorderen beiden Rollen ihrer Rollstühle in der Luft baumeln.

Andrea Borrmann hat schon als kleines Kind gerne getanzt. Im Rollstuhl wollte sie weitertanzen. Als sie das einem Bekannten erzählte, reagierte dieser skeptisch. "Tanzen? Wieso? Es gibt doch Rollstuhlbasketball, das kannst du doch machen, hat der gesagt. Und da dachte ich dann: Das ist überhaupt nicht das gleiche. Das wollte ich nicht ", sagt Andrea Borrmann.

Eine rasante Tanz-Karriere

Beim Tanzen im Rollstuhl stehen die Fahrer oft nur auf 2 Rädern
Kippelig - getanzt wird oft nur auf zwei RädernBild: DW/Döing

Seit einem Jahr erst tanzt die 34-jährige Lehrerin im Leistungs-Sport. Dass es dazu kam, war eher ein Zufall: Der Bundestrainer für Rollstuhltanz entdeckte Andrea Borrmann und den seit seiner Geburt gelähmten Erik Machens bei einem Tanz-Workshop und holte sie in die Nationalmannschaft. Und dann ging alles Schlag auf Schlag: Die beiden rollten die gesamte Tanzsport-Szene von hinten auf; gewannen sogar die Deutsche Meisterschaft in den Kategorien Standard und Latein. Bei der Weltmeisterschaft in Hannover holten sie den vierten Platz in beiden Klassen. Dass sie es so weit schaffen, hätte Andrea Borrmann nie für möglich gehalten: "Wenn man anfängt darüber nachzudenken, dann denkt man: das kann doch nicht sein."

Das Tanzen ist zu einem wichtigen Teil in ihrem Leben geworden. "Wenn ich nachts mal aufwache und nicht mehr schlafen kann, dann gehe ich im Kopf die Choreografien durch bis ich wieder einschlafe. Und ich sage dann auch manchmal: du bestellst dir keinen Fahrdienst, du fährst da so mit dem Rollstuhl hin, dann habe ich gleich meinen Ausdauersport hinter mir."

Jeder Rollstuhlfahrer kann tanzen

Andrea Borrmann ist 34 Jahre und Lehrerin an einer Förderschule
Andrea Borrmann tanzt für ihr Leben gernBild: DW/Döing

Für Andrea Borrman ist das Tanzen im Rollstuhl ganz natürlich. Das heißt jedoch nicht, dass es für sie einfach wäre, tanzen zu gehen: "Ich habe zwar direkt bei mir um die Ecke eine Disko, aber dort gibt es eine Stufe zum Kassenbereich. Auch müsste ich fünf, sechs, sieben Stufen hinauf zu den Toiletten. Wenn man die Leute dort anspricht, helfen die einem, das ist kein Problem, aber das ist einfach nicht meine Vorstellung von einem Disko-Besuch." Wenn die Tanzfläche stimme, könne theoretisch aber jeder Rollstuhlfahrer tanzen, erklärt Andrea Borrmann. Sogar diejenigen, die in einem elektrischen Rollstuhl sitzen: "Also wer wirklich Spaß am Tanzen hat, der soll sich bloß nicht davon abbringen lassen, weil er im Rolli sitzt. Wenn ich mich noch so wenig bewegen kann, kann ich trotzdem tanzen."

Hamlet fährt mit

Damit sie den Rollstuhl auf dem Parkett auch gut mit der Hüfte bewegen kann, benutzt Andrea Borrmann Bücher. Und so findet auch Shakespeares Hamlet den Weg auf die Tanzfläche. Der steckt dann nämlich, eingepackt in einen unauffällig schwarzen Socken, zwischen Oberschenkel und Sitzschale. So liegt der Rollstuhl dann enger an und Andrea Borrmann und Erik Machens können in präzisen Kurven zum nächsten Wettkampf fahren.

Autorin: Laura Döing

Redaktion: Arnulf Boettcher