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Bilanz

13. Juli 2010

Seit zehn Jahren ist in Syrien Baschar al-Assad an der Macht. Ursprünglich wollte er Augenarzt werden, doch der Tod seines Bruders zwang ihn in das Amt. Mit ihm kam die wirtschaftliche, aber nicht die politische Öffnung.

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Der Personenkult um Baschar al-Assad in einem Süßigkeitenladen in der Neustadt von Damaskus, Foto: Kristin Hellberg
Der Personenkult um Baschar al-Assad ist in Syrien allgegenwärtigBild: DW

Kürzlich, nach einem Vortrag über die wachsende Rolle privater Banken in Syrien kam aus dem Publikum eine unbequeme Frage an den Wirtschaftswissenschaftler Mohammed Ayman al-Maidani: Er möge doch seine kurze Bemerkung über Korruption im privaten und öffentlichen Sektor des Landes näher ausführen. "Wenn ich darauf antworte, kann ich die Nacht vielleicht nicht zu Hause verbringen", witzelte er in Anspielung auf die Möglichkeit, verhaftet zu werden. Nervöses Lachen quittierte seinen Scherz.

Großformatiges Plakat in der Altstadt von Damaskus, das mit Hafes al-Assad für die Wiederwahl von dessen Sohn Bashar wirbt, Foto: Kristin Hellberg
Aus dem Schatten seines Vaters getreten: Bashar al- AssadBild: DW

Die Episode zeigt, wie viel und wie wenig sich in Syrien unter Präsident Baschar al-Assad in den letzten Jahren geändert hat. Ganz allmählich hat er der Wirtschaft die sozialistischen Fesseln gelockert, die ihm sein Vater und Vorgänger Hafes al-Assad hinterlassen hatte. Er ließ ausländische Banken ins Land, öffnete die Tore weit für Importe, genehmigte private Hochschulen und stärkte die Privatwirtschaft.

Doch der frühere Augenarzt, der im Sommer vor zehn Jahren an die Macht kam, hat seinen liberalen Wirtschaftskurs nicht mit entsprechenden politischen Reformen gekoppelt. Tatsächlich überwachen seine mächtigen Sicherheitsdienste noch immer mit Argusaugen jegliche Kritik. Seine Regierung stützt sich weniger als die seines Vaters auf antiisraelische Töne und arabischen Nationalismus, sondern mehr auf das Versprechen von Stabilität, Modernisierung, wirtschaftlicher Öffnung und einem Ende der internationalen Isolation.

Kaufrausch in Damaskus

Nach zehn Jahren ist unter Assad in Damaskus der Wohlstand eingekehrt. Neureiche und Geschäftsleute leben ihren Kaufrausch aus. Im Basar in der Altstadt schieben sich die Touristen. Hotels sind voll belegt. In den angesagten Restaurants ist eine Tischreservierung immer ratsam. Im Stau auf den Straßen sieht man die neuesten Automodelle aus Europa und Japan, und es gibt immer mehr Edelboutiquen mit Designermode.

Im Jahr 2007 präsentiert Syriens Präsident Baschar al-Assad das erste in Syrien produzierte Auto, Foto: ap
Wirtschaftsstandort Syrien: das erste syrische Auto im Jahr 2007Bild: AP

Wirtschaftliche Öffnung bei Verweigerung demokratischer Freiheiten ist ein gängiges Regierungsmodell der arabischen Welt. Ägypten, Jordanien und Tunesien waren Pioniere. Aber das bleibt nicht ohne Risiken. In der Vorstellung der Menschen sind nach freier Marktwirtschaft oft politische Reformen der nächste logische Schritt. Zudem warnen manche syrische Ökonomen, dass die Veränderungen die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft haben und das Volk beginnen könnte zu murren.


Das Heft in der Hand

"Die eigentliche Herausforderung ist es, von einer sozialistischen auf eine freie Marktwirtschaft umzuschalten, ohne die Armut zu vergrößern", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Dschihad Jasigi. "Doch die Regierung hat das nicht so gut hinbekommen, wie es hätte sein sollen." Reformen seien unabdingbar, um die Korruption im aufgeblähten öffentlichen Sektor auszurotten und die Justiz im Umgang mit Handelssachen effizienter zu machen, wenn es die Regierung mit der Wirtschaftsförderung ernst meine.


Immerhin war Assad stark genug, ein paar schwierige Jahre zu überstehen, als Syrien 2005 seine Truppen aus dem Libanon abziehen musste und international isoliert war. Erst allmählich kommt sein Land aus der Isolation. "Seine Machtbasis zu konsolidieren, war ein schwieriger Prozess, aber heute hat er unbestreitbar das Heft in der Hand", urteilt Bilal Saab, Nahostexperte an der Universität Maryland.

Modernisierer mit attraktiver Frau

Die syrische First Lady Asmaa, Foto: dpa
Frauenzeitschriften wählen sie zur bestgekleideten Dame der internationalen Politik, die Syrer verehren sie als 'zweite Lady Diana': First Lady Asmaa gibt Syrien ein neues GesichtBild: picture-alliance/ dpa


Assads Image als Modernisierer und nicht zuletzt die Attraktivität und Gewandtheit seiner Frau Asmaa haben seine Beliebtheit unter den 20 Millionen Einwohnern Syriens gefördert. Zugleich haben seine Familie und seine Vertrauten die Streitkräfte, die Sicherheitsorgane und Geheimdienste fest im Griff. Sie und eine Clique von Unternehmern, die ihren Aufstieg dem Regime verdanken, kontrollieren die größten und lukrativsten Geschäftszweige wie den Mobilfunk. Sie besitzen alle möglichen Konzessionen - angefangen bei Autos bis hin zu Computern.

Anders als sein Vater lässt Assad politische Gegner nicht zu Tausenden ins Gefängnis werfen oder ganze Wohnviertel dem Erdboden gleichmachen. Dennoch ist er Kritikern gegenüber, von einer kurzen Phase der Duldsamkeit nach dem Amtsantritt im Jahr 2000 abgesehen, nicht weniger unnachgiebig.

Kritik nur im Flüsterton

Ein Beispiel dafür ist Haitham al-Maleh. Der prominente Reformer steht zurzeit unter der Anklage der "Verbreitung von Falschinformationen, die die Moral der Nation schwächen könnten", vor einem Militärgericht. Sein Vergehen: Er hatte in einem Fernsehinterview und in Online-Beiträgen Verhaftungen und Notstandsgesetze kritisiert. Vergebens bat der 79-Jährige, der an Diabetes und Arthritis leidet, während des Prozesses von der Haft verschont zu werden. Mit dem gleichen Vorwurf wurde kürzlich auch der prominente Menschenrechtsanwalt Muhannad al-Hasni zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Dabei habe der 44-Jährige nichts anderes getan, als Missbräuche anzuprangern und die Menschenrechte derjenigen zu verteidigen, die unter der Willkür der syrischen Behörden gelitten hätten, so ein Sprecher der Organisation amnesty international.

Die gefürchteten Sicherheitsorgane haben ein Auge auf jedermann und beobachten auch das Internet genau. Über Politik zu reden, sagen viele Syrer, geht trotzdem nur im Flüsterton, genau wie unter dem alten Assad.


Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Diana Hodali