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Asiatische Landarbeiter in Portugal

Jochen Faget Lissabon
8. Juni 2021

Portugals Landwirtschaft braucht billige Arbeitskräfte. Die holt sie sich auch aus Asien, oft über kriminelle Schlepper. Viele Migranten leben unter menschenunwürdigen Bedingungen.

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Portugal Arbeitssklaven | Ranjan Dahl
Bild: Jochen Faget/DW

Sie sehen aus wie Kettensträflinge im Arbeitslager, wenn sie frühmorgens bei dem mittelportugiesischen Städtchen Almeirim auf die Felder, zu den Gewächshäusern und in die Weinpflanzungen ziehen - Arbeitsmigranten aus Asien, denen der Vorarbeiter ihr Tagwerk zuteilt.

Inder beschneiden Reben, Thailänder pflücken Himbeeren, die auch nach Deutschland exportiert werden, Nepalesen ernten Brokkoli für Großbritannien, Pakistani ernten Süßkartoffeln für Frankreich. Mehr als 3.000 sollen es nur in dieser Region sein, in ganz Portugal wohl weit über 30.000, schätzen Bürgerrechtsorganisationen.

Die meisten von ihnen warten noch auf ihre portugiesischen Papiere, sind halblegal im Land. Sie leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, arbeiten oft mehr als zehn Stunden am Tag und werden von zweifelhaften Zeitarbeitsfirmen, die sie an Landwirtschaftsbetriebe vermitteln, brutal ausgebeutet.

Portugal Arbeitssklaven | Landwirtschaft in Mittelportugal
Felder bei Torres Vedras in Mittelportugal. Seitdem die Landwirtschaft hier wieder blüht, kommen viele Arbeiter aus AsienBild: Jochen Faget/DW

"Hierher sind die Asiaten seit 2018 gekommen", erinnert sich die Sozialarbeiterin Cátia Sequeira von der Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Proabraçar, die sich in Almeirim um die Migranten kümmert, ihnen bei der Legalisierung hilft.

Vorher hatte die Aussicht auf Arbeit die Asiaten vor allem in Portugals Süden gelockt, in die Region Alentejo, wo vor allem der Beerenanbau boomte. Heute sind sie überall - je erfolgreicher Portugal Landwirtschaftsprodukte exportierte, desto mehr suchten die Unternehmen nach billigen Arbeitskräften. Die Zahl der Illegalen, so die Sozialarbeiterin Sequeira, sei immer größer geworden.

Schleppermafias

Aktiv wurden die portugiesischen Behörden jedoch erst im vergangenen Jahr, als die Covid-Pandemie ausbrach. Um der Lage Herr zu werden, sollten alle legalisiert werden, die drei Monate bezahlte Arbeit und Sozialabgaben nachweisen konnten.

Gelöst sei das Problem damit jedoch nicht: Die portugiesische Fremdenpolizei brauche Monate, oft bis zu einem Jahr für Prüfung der Anträge, so Sequeira. Die Antragsteller lebten teils in Wohncontainern oder zusammengepfercht in halbverfallenen Häusern und seien - vor allem aus Unkenntnis - noch immer von mafiösen Arbeitsvermittlern abhängig.

Portugal Arbeitssklaven | Cátia Sequeria und Lydia Lopes in Almeirim
Sozialarbeiterin Cátia Sequeria (rechts) und ihre Kollegin helfen asiatischen Arbeitern in Almeirim Bild: Jochen Faget/DW

"Einerseits war die Pandemie ein Segen, weil sie Legalisierungen möglich gemacht hat", sagt die Sozialarbeiterin. "Andererseits spielen sich noch immer menschliche Dramen ab."

Arjun Joshy, 31 Jahre aus dem südindischen Kerala, kann ein Lied davon singen: Der studierte Autoingenieur ist im Juli 2019 nach Portugal gekommen, zunächst mit einem Touristenvisum, weil er Europa bereisen wollte. Schon am Lissabonner Flughafen geriet er in die Fänge eines Arbeitsvermittlers, zahlte ihm 1350 Euro, für die er Arbeit und Papiere bekommen sollte.

Nach ein paar Monaten gab er das Beerenpflücken im Süden auf; er verdiente wenig mehr als 200 Euro im Monat und mit den Papieren ging nichts voran: "Ich wurde krank, doch es stellte sich heraus, dass ich nicht bei der Gesundheitsbehörde gemeldet war. Für die Behandlung musste ich 800 Euro aus meiner eigenen Tasche bezahlen."

Arbeitssklaven

Also suchte Joshy sich Arbeit bei einem Chinaladen, arbeitete als Fahrer. "Dann kam Covid und ich saß sieben Monate verzweifelt und arbeitslos zuhause", erzählt der junge Mann, der in dieser Zeit von seinen Ersparnissen lebte. Bis ein Portugiese ihm half, sich anzumelden und die nötigen Dokumente beizubringen. "Das alles hat nur rund 100 Euro gekostet", freut sich Joshy, der sich inzwischen sogar eine kleine Autowerkstatt aufgebaut hat.

Portugal Arbeitssklaven | Arjun Joshy
Arjuna Joshy hat sich inzwischen eine kleine Autowerkstatt aufgebautBild: Jochen Faget/DW

Später möchte er wieder in seinem wahren Beruf arbeiten, er träumt davon ein Startup-Unternehmen im Bereich der Hybridmotoren aufzubauen: "In ein paar Jahren, wenn ich genug gespart habe und endlich alle Dokumente anerkannt und in Ordnung sind."

Die meisten Immigranten haben weniger Glück: Offiziell arbeiten sie für den staatlich garantierten Mindestlohn von rund 600 Euro, müssen ihrem Arbeitgeber jedoch Unterkunft, Transport zum Arbeitsplatz und sogar das Essen bezahlen. Pro Arbeitstag blieben ihnen da oft nur zehn Euro oder weniger, berichtet Arjun Joshy.

Viele seiner Landsleute hätten der Schleppermafia mehr als 10.000 Euro bezahlt, um sich den Traum vom besseren Leben in Portugal zu erfüllen. Die hätten, auch wenn sie ihre Anwesenheit jetzt legalisieren könnten, wegen der hohen Schulden kaum eine Chance, dem Teufelskreis zu entkommen: "Ihr Traum ist zu einem Alptraum geworden."

Flucht vor Arbeitslosigkeit

Der Erfolg der portugiesischen Landwirtschaft der jüngsten Jahre ist zu ihrem Fluch geworden: Weil das Land immer mehr Beeren und Gemüse exportiert, braucht es immer mehr möglichst billige Arbeitskräfte. "Portugiesen wollen diese Arbeit aber nicht mehr machen", klagt der Landwirt Vitor Jorge. Darum musste auch er für seinen 40-Hektar-Betrieb bei der mittelportugiesischen Stadt Torres Vedras Asiaten anstellen.

Portugal Arbeitssklaven | Landwirt Vitor Jorge
Vitor Jorge hat alte Wirtschaftsräume zu Wohnungen für seine Arbeiter umgebautBild: Jochen Faget/DW

Zurzeit ernten dort sieben Nepalesen Brokkoli, die im Ausland gutes Geld bringen. "Bei mir ist alles legal", versichert der Bauer. "Die Arbeiter bekommen den Mindestlohn, sind alle angemeldet." Für ihre Unterkunft, die er kostenlos stellt, hat Jorge sogar alte Wirtschaftsgebäude seines Hofes umgebaut zu spartanischen Zimmern mit Etagenbetten und einer Gemeinschaftsküche.

Ganz legal ist das allerdings nicht – die 'Wohnungen' sind nicht als solche zertifiziert, wie sie es eigentlich sein müssten. "Was soll ich machen", fragt Vitor Jorge. "Portugiesen kann das Arbeitsamt mir nicht besorgen und die Wohnungsbauvorschriften sind viel zu bürokratisch und auf einem alten Hof nicht zu erfüllen."

Ranjan Dahal (Artikelbild oben) ist das egal. Der Nepalese schneidet Brokkoli auf dem Feld von Vitor Jorge, hat vor drei Tagen dort angefangen: "Ich bin seit einem Jahr in Portugal und froh, diesen Job gefunden zu haben."

Vorher hat er für eine der berüchtigten Zeitarbeitsagenturen gearbeitet, im Süden Himbeeren gepflückt. "Ich musste mir ein kleines Haus mit 15 anderen teilen, immer wieder gab es Probleme, auch mit dem Lohn."

In Nepal gebe es kaum Arbeit, er sei nach Portugal gekommen, weil er seine Familie zuhause unterstützen müsse. Und statt auf dem Boden schläft der 29jährige Mann jetzt wenigstens in einem der spartanischen Etagenbetten auf dem Hof von Vitor Jorge.