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Armenien, Aserbaidschan, Georgien

25. November 2003

Demokratische Entwicklung im Südkaukasus wird durch innen- und außenpolitische Faktoren erschwert - Georgien nach Schewardnadse als neuer Hoffnungsträger

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Bonn, 24.11.2003, DW-radio / Ukrainisch, Ute Schaeffer

Überlegt und verantwortungsvoll habe der georgische Präsident Schewardnadse gehandelt, als er sich zum Rücktritt entschloss, so die Reaktion westlicher Staaten. Bundesaußenminister Joschka Fischer begrüßte die Entscheidung Schewardnadses: Der georgische Präsident habe - Zitat - 'mit diesem richtigen und verantwortungsvollen Schritt das Land vor weiterer Spaltung bewahrt', erklärte Fischer.

Schewardnadse beugte sich dem Druck der Straße und der politischen Opposition im Land. Der Weg für Neuwahlen ist frei. Ein erstaunlich friedlicher Übergang ist in Georgien geglückt - doch wie sieht es in den Nachbarstaaten aus? Ute Schaeffer berichtet.

Die samtene Revolution in Georgien ist ruhig und ohne Gewalt verlaufen. Die Ereignisse hätten auch einen anderen Lauf nehmen können. Noch zu Beginn der neunziger Jahre befand sich das Land im Bürgerkrieg, Staatschef Schewardnadse überlebte zwei Mordanschläge im Jahr 1995 und 1998. Zwei Sezessionskriege - in Südossetien und in der unmittelbar am Schwarzen Meer gelegenen abtrünnigen Region Abchasien - erschütterten das Land und schwelen nach wie vor.

Mit dem Rücktritt von Schewardnadse sind noch lange nicht alle Probleme in Georgien gelöst. Von politischer Stabilität ist das Land immer noch weit entfernt. Korruption und Vetternwirtschaft sind weit verbreitet. Die Armut der Bevölkerung ist immens. Die Wirtschaft liegt am Boden, das Vertrauen in die politische Klasse ist gleich Null. Georgien ist in dieser Hinsicht beispielhaft für die Länder im südlichen Kaukasus, die nicht nur aufgrund ihrer geostrategischen Lage, sondern auch hinsichtlich ihrer Defizite in Sachen Demokratie-Entwicklung miteinander vergleichbar sind.

In allen drei Staaten im Südkaukasus haben in diesem Jahr Wahlen stattgefunden: Präsidentschaftswahlen im Mai in Armenien, im Oktober in Aserbaidschan sowie die Parlamentswahl von Anfang November in Georgien. Und alle diese Urnengänge haben die schweren politischen Defizite in der Region offengelegt. Die OSZE stellte nach dem Ende der Parlamentswahl in Georgien fest, die Unregelmäßigkeiten - Zitat – "spiegeln das Fehlen eines politischen Willens und der administrativen Kapazitäten, um demokratische und faire Wahlen durchzuführen, wider" - Zitat Ende. Und weiter: Der Verlauf der Wahl sei nicht geeignet - Zitat - "die Glaubwürdigkeit in die demokratischen Prozesse zu stärken".

Diese Glaubwürdigkeit erreichten auch die Wahlen in den Nachbarstaaten nicht - weder in Armenien, wo Präsident Robert Kotscharjan nach einem zweifelhaften Wahlkampf im Amt bestätigt wurde, noch in Aserbaidschan. Auch dort wurde nach Ansicht der OSZE eine "Chance für die Demokratie" verpasst. Der autokratisch regierende Präsident Gejdar Alijew sorgte dafür, dass der Posten an seinen Sohn Ilham weitergegeben wurde.

Auch in Aserbaidschan - ähnlich wie in Georgien - demonstrierten die Menschen massenhaft auf den Straßen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku - jedoch umsonst. Brutal schlugen Sicherheitskräfte die friedlichen Kundgebungen nieder. Der Verlauf der Wahl habe eine große Enttäuschung bei den Menschen im Land ausgelöst, meint Leila Alieva, die für das "Zentrum für Nationale und Internationale Studien" in Baku arbeitet:

"Ich denke, dass die Wahlen in Aserbaidschan und Georgien für die Gesellschaft ein gewisser Schock waren. Vor allem deshalb, weil es wie immer zu schwerwiegenden Fälschungen kam. Ich denke aber, dass die Menschen nicht so stark durch die Ergebnisse schockiert waren, sondern durch die Reaktion des Westens. Es war ganz offensichtlich, dass die westlichen Staaten mit diesen Wahlen große Hoffnungen verbunden hatten. Die Menschen haben gehofft, dass diese Wahlen ihrem Willen und auch dem Willen der Opposition entsprechen würden. Deswegen waren sie zutiefst enttäuscht, nachdem die EU auf deutliche Kritik verzichtete."

Europa hat bisher keine klare außenpolitische Strategie gegenüber dem Kaukasus. Dabei gibt es handfeste europäische Interessen, beispielsweise was den Transport von Öl über Aserbaidschan, Georgien und Armenien angeht. Vor mehr als einem Jahr begann der Bau einer neuen Ölpipeline, welche von Baku über die georgische Hauptstadt Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führen wird. Die 1750 Km lange Pipeline soll ab 2005 rund 1 Million Barrel Öl am Tag liefern.

Außerdem gibt es eine Vielzahl von Konflikt- und Krisenherden in der Region - manche sind schon aufgrund der geostrategischen Lage vorprogrammiert: Als Brückenstaaten zwischen dem Mittleren Osten, Russland und Europa stehen alle drei südkaukasischen Staaten im Fadenkreuz unterschiedlicher Interessen. Gleichzeitig gibt es ein kleinteiliges und konfliktträchtiges Mosaik unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen. Bis vor kurzem galt die Region vor allem wegen solcher Interessens- und Regionalkonflikte als Krisenregion. Inzwischen jedoch sei es vor allem die innenpolitische Entwicklung in den drei Staaten, welche die Region destabilisiere, meint Leila Alieva:

"Der größte Faktor für Instabilität in den Ländern kommt zurzeit von innen. Früher gab es Konflikte, Akteure mit unterschiedlichen Interessen von außen. Die letzten Wahlen und die politischen Kräfteverhältnisse, die aus ihnen hervorgegangen sind, haben gezeigt, in welche Richtung die politische Destabilisierung zurzeit geht."

Auch untereinander sind die Beziehungen konfliktreich: so unterhält Armenien zu seinen Nachbarstaaten Türkei und Aserbaidschan keine offiziellen diplomatischen Kontakte, sondern wird von diesen wirtschaftlich sogar völlig blockiert. Auch deshalb hat die Regierung in Eriwan verstärkt die Zusammenarbeit mit Russland gesucht. Zwischen Russland und Georgien war es im vergangenen Jahr immer wieder zu Spannungen gekommen, weil Moskau Georgien verdächtigte, tschetschenischen Kämpfern Unterschlupf zu gewähren. Doch in der aktuellen innenpolitischen Krise hat sich Russland klug auf die Rolle des Vermittlers zwischen den Fronten beschränkt. Wahrscheinlich auch mit Blick auf seine zukünftigen Beziehungen zu einer neu gewählten georgischen Regierung.

In der ersten Hälfte der neunziger Jahre hat es gerade im südlichen Kaukasus durchaus Ansätze einer echten Demokratisierung gegeben. Inzwischen jedoch haben sich in allen drei Staaten autoritäre Regime etabliert: Die Opposition hat keine finanzielle Basis. Medien und die großen Wirtschaftsunternehmen sind unter Kontrolle des Staates oder dem Staat nahe stehender Interessengruppen - eine Situation vergleichbar der in anderen osteuropäischen Staaten wie der Ukraine.

Deshalb wird nun viel von der weiteren Entwicklung in Georgien abhängen. Wird die Solidarität zwischen den unterschiedlichen Oppositionsgruppen halten? Wird es eine gewählte Regierung geben, welche endlich mit Korruption und Vetternwirtschaft aufräumt? Die Nachbarstaaten im südlichen Kaukasus und die großen Nachbarn im Osten und im Westen werden das aufmerksam verfolgen - und hoffentlich jede positive Initiative in Richtung Demokratie entschieden unterstützen . Dann, ja dann könnte Georgien durchaus ein Vorbild für die gesamte Region im südlichen Kaukasus sein. (lr)