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Gegen die Wand

Marc Koch, Buenos Aires31. Juli 2014

Argentinien steht wieder kurz vor einer Pleite. Die Verhandlungen mit US-Hedgefonds scheiterten in der Nacht. Jetzt droht die Zahlungsunfähigkeit. Die schwierige Wirtschaftslage wird so noch komplizierter.

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Argentinien Armut Müllsammler. (Foto: ALFREDO SRUR/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Jede Nacht werden die Argentinier an die große Pleite erinnert: Wenn es Abend wird in Buenos Aires und den anderen großen Städten, ziehen Menschen schwere Karren durch die Straßen der Stadt. Sie sammeln Papier, Pappe und Kartonagen, falten sie ordentlich zusammen und laden sie turmhoch auf ihre Wagen. Nach stundenlanger Plackerei zerren die cartoneros ihr Gefährt zum vereinbarten Treffpunkt, wo der Großhändler mit dem LKW wartet. Sechs Pesos (60 Eurocent) zahlt er für zehn Kilo Altpapier.

Pleite ist nicht gleich Pleite

Die cartoneros sind heute Teil einer boomenden Recyclingindustrie. Sie sammeln nicht nur Karton, sondern inzwischen auch Altglas und Plastik. Zum ersten Mal zu sehen waren sie Anfang 2002 - nach der letzten Staatspleite. Damals rutschten über Nacht sogar gutsituierte Mittelstandsfamilien in die Armut. Viele begannen, wiederverwertbaren Müll zu sammeln und zu verkaufen. Sie wurden zum Symbol des Zusammenbruchs. Gut dreizehn Jahre später droht Argentinien die nächste Pleite.

Doch so schlimm wie damals muss es nicht kommen; die Voraussetzungen sind dieses Mal völlig anders: Damals war das Land völlig überschuldet. Heute sind die Verbindlichkeiten mit knapp 46 Prozent der Wirtschaftsleistung eher überschaubar. Grund für die jetzt drohende Zahlungsunfähigkeit ist ein bizarrer Streit mit Hedgefonds, die alte Staatsschulden halten. Ein US-Gericht hat Argentinien verurteilt, diese Fonds auszubezahlen. Es geht um 1,3 Milliarden US-Dollar, die eigentlich kein Problem sind.

Doch die Regierung in Buenos Aires will nicht zahlen, sondern malt ein Schreckensbild an die Wand: Wenn diese Fonds ausgezahlt würden, kämen auch diejenigen Gläubiger, die seinerseits einem Schuldenschnitt zugestimmt und auf viel Geld verzichtet hatten, aus der Ecke und würden ihre Altforderungen stellen. Dann kämen gut und gerne 120 Milliarden US-Dollar zusammen - dann wäre Argentinien in der Tat pleite.

Teufelskreis dreht sich schneller

Eine Lösung des Problems kam in den Verhandlungen nicht zu Stande. Für die ohnehin gebeutelte argentinische Wirtschaft ist die Entwicklung fatal. "Es ist anders als 2001", sagt Fausto Spotorno, Analyst beim Wirtschaftsdienst "OJF & Asociados": "Dieses Mal wird es keine rasende Rezession geben. Die Effekte werden sich erst nach einer Weile einstellen." Die Grundlagen für diese Effekte sind allerdings schon vor Jahren gelegt worden: Die Wirtschaft wächst seit 2011 nicht mehr, Devisenbewirtschaftung und absurde Importvorschriften schnüren ihr die Luft ab. Die Regierung bekommt die Inflation nicht in den Griff, kauft sich aber die Gunst ihrer Wähler mit millionenschweren öffentlichen Ausgaben.

Cristina Fernandez de Kirchner beim BRICS UNASUR Treffen in Brasilia (Foto: REUTERS/Ueslei Marcelino)
Präsidentin Kirchner verliert ihre GlaubwürdigkeitBild: Reuters

Dieser Teufelskreis wird sich nach einer Staatspleite noch schneller drehen, meint Luis Palma Cané von der Wirtschaftsberatung "Fimades": "Dann kommen noch weniger US-Dollars ins Land. Dann wird sich bemerkbar machen, dass es hierzulande quasi keine Rechtssicherheit gibt, was uns noch weiter in der Welt isolieren wird. Dadurch werden wir noch weniger Güter und Vorprodukte importieren können, was sich wiederum negativ auf die industrielle Produktion und damit das Bruttoinlandsprodukt auswirken wird."

Verschwörungstheorien und falsche Zahlen

Doch anstatt längst überfällige Reformen einzuleiten, schwadroniert Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner lieber über den angeblichen äußeren Feind, der Argentinien in seiner Souveränität und sozialen Entwicklung bedrohe. Aktuell sind die Hedgefonds Staatsfeind Nummer eins, ansonsten müssen der Internationale Währungsfonds oder ganz allgemein "der Westen" herhalten. Um diese Weltsicht aufrechtzuerhalten, schreckt die Regierung nicht einmal davor zurück, Statistiken auf fragwürdigen Grundlagen zu berechnen oder gleich ganz zu fälschen: Inflations- und Armutsquote beispielsweise liegen nach offizieller Lesart immer deutlich unter den Werten, die unabhängige Analysten errechnen.

Für die ständig steigenden Preise macht die Regierung die Besitzer der großen Supermarktketten und die Farmer verantwortlich, die die Ernte absichtlich zurückhielten und den Hals nicht voll genug bekämen. Dagegen werden öffentlichkeitswirksame Kampagnen wie Precios Cuidados, "behütete Preise", gestartet: Die Preise für bestimmte Produkte werden per Regierungsdekret eingefroren, und das Ganze von der Parteijugend in den Lebensmittelgeschäften kontrolliert. Dass die "eingefrorenen" Produkte oft nicht vorrätig sind und die Alternativen wöchentlich teurer werden, merken anscheinend nur die Verbraucher.

Verlorenes Vertrauen

Gleichzeitig geht die Industrieproduktion immer weiter zurück: Kaum jemand hat noch Geld, sich ein Auto zu kaufen. Folglich entlassen die Hersteller Arbeiter, weil es nicht genug zu tun gibt. Die Arbeitslosen wiederum werden von der Regierung unterstützt - und sollen dafür im Gegenzug bei den nächsten Wahlen für ihre "Wohltäter" stimmen. Investoren halten sich zurück - vor allem ausländische: "Das Problem ist, dass sich Argentinien in den letzten Jahren nicht gerade wie ein vertrauenswürdiger Schuldner benommen hat, wie einer, dem man glauben kann. Und weil das nicht passiert ist, hat man jetzt natürlich immer Zweifel, wie sehr man dem Schuldner Argentinien heute trauen kann", erklärt Ökonom Spotorno die Lage.

Axel Kiciloff 21.01.2014
Argentiniens Wirtschaftsminister Axel KicillofBild: Maxi Failla/AFP/Getty Images

Doch statt neues Vertrauen aufzubauen, lobt sich die Regierung Kirchner lieber selbst: Die letzten zehn Jahre, in denen sie und ihr inzwischen verstorbener Mann Néstor regiert haben, bezeichnet Präsidentin Kirchner gerne als década ganada, als "gewonnenes Jahrzehnt". Denn bei einer offiziellen Armutsgrenze von gut 1780 Pesos (knapp 180 Euro) gilt eine vierköpfige cartonero-Familie mit ihren im Schnitt 4800 Pesos (480 Euro) schon als Mittelstand. So kann man es auch sehen.

Aktualisierte Version eines Artikels vom 25.07.2014