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Argentinien: Führerschein gegen "Machismo"

Maricel Drazer
24. März 2021

Im zweitgrößten Land Südamerikas ist der "Machismo" immer noch Teil der Kultur. Doch das soll sich nun endlich ändern. Vorreiter sind ausgerechnet die Fahrschulen.

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Buenos Aires Verkehrsstau
Bild: picture-alliance/dpa

"Mujer al volante, peligro constante" - "Frau am Steuer, konstante Gefahr" ist ein Spruch, der von Buenos Aires bis nach Ushuaia immer wieder gerne fällt. Und der von einer Männer-Generation an die nächste Männer-Generation weitergegeben wird. Na klar, ans Steuer gehören die Herren der Schöpfung – und wenn Frauen schon mal auf dem Fahrersitz Platz nehmen, dann ist extreme Vorsicht geboten.

Viele Argentinier werden diesen Macho-Spruch vielleicht gerade jetzt noch mal leise vor sich hin murmeln. Denn sie wissen, dass er dabei ist, für immer und ewig auf dem Auto-Friedhof verschrottet zu werden. Ausgerechnet das südamerikanische Land, in dem der "Machismo" immer noch zur DNA gehört wie der Fußball, der Tango oder das saftige Steak, legt bei diesem Thema eine Vollbremsung hin. Und das schon in den Fahrschulen.

Die Fahrschüler von heute gegen den "Machismo" von gestern

Wenn der gerade einmal volljährige Ianis Fischbein in einigen Wochen in Buenos Aires seine theoretische Prüfung ablegt, muss er dort Fragen beantworten, die noch vor ein paar Jahren unvorstellbar waren. Der 18-Jährige wird nicht nur die Höchstgeschwindigkeit auf einer argentinischen Landstraße parat haben müssen, sondern auch, was falsche Rollenbilder und Stereotype im Straßenverkehr anrichten können.

Argentinien Ianis Safigueroa Fischbein
"Ich sehe diese Änderungen bei den theoretischen Prüfungen sehr positiv" - Fahrschüler Ianis FischbeinBild: privat

"Viele dieser Grenzüberschreitungen im öffentlichen Verkehr sind ein Beispiel für die Ignoranz der Männer", sagt der Fahrschüler, "der Perspektivwechsel als Teil des Führerscheins kann für ein großes Maß an Sensibilisierung und Empathie bei der neuen Generation auf der Straße sorgen."

Junge Männer wie Ianis Fischbein, die neue Generation Argentiniens, sind für Pablo Martínez Carignano der lebende Beweis dafür, dass er mit seiner Reform des Führerscheins richtig liegt. Der Direktor der "Agencia Nacional de Seguridad Vial", der "Nationalen Agentur für Straßenverkehrssicherheit", sagt: "Wir glauben, dass das Fahren eines Autos viel mehr braucht als die Fähigkeit, irgendwelche Verkehrsschilder und -regeln zu beachten."

Theoretische Fahrprüfung auch zum Thema Geschlechtergerechtigkeit

Der Straßenverkehr sei schließlich ein Paradebeispiel für soziale Interaktion, so Martínez Carignano. Und so gilt für die Führerscheinprüfung in Argentinien seit März: Alle Anwärterinnen und Anwärter müssen nicht nur den üblichen theoretischen Teil bestehen, sondern auch ein Extra-Modul zum Thema Geschlechtergerechtigkeit. "Wir wollen in Zukunft Fahrer haben, die sich auf der Straße friedlich und solidarisch bewegen. Es muss endlich Schluss sein mit der Gewalt im Verkehr, dem 'Machismo' und den ganzen Stereotypen."

Argentinien Martinez Carignano, Leiter Verkehrssicherheitsbehörde
"Viele Frauen sterben auf dem Beifahrersitz durch den rücksichtslosen Fahrstil der Männer" - Pablo Martínez CarignanoBild: privat

Wozu der "Machismo" bis heute auf den Straßen geführt hat, zeigen eindrücklich folgende Zahlen: 70 Prozent aller Führerscheininhaber Argentiniens sind Männer, bei den Verkehrstoten steigt ihr Anteil allerdings auf 85 Prozent, bei Alkohol am Steuer auf 90 Prozent und bei illegalen Rennen sogar auf 100 Prozent.

"Wir hören hier immer noch Tag für Tag diese Mythen, dass Frauen am Steuer langsam und ängstlich seien und dass ein guter Fahrer das Gesetz der Straße kennen müsse. Das ist Blödsinn", sagt der Direktor der argentinischen Verkehrsbehörde.

Geschlechterneutrale Revolution auf Argentiniens Straßen

Es tut sich gerade einiges auf Argentiniens Straßen, nicht nur in den Fahrschulen. Verkehrsschilder und Plakate werden geschlechterneutral umgestaltet und auch bei der Kommunikation springt die Ampel auf grün für lange geforderte Reformen. Das Verkehrsministerium hat jetzt einen Leitfaden herausgegeben, in dem es die Benutzung der gendergerechten und inklusiven Sprache empfiehlt.

Höchste Zeit, meint Ana Falú, damit sich in ihrem Land endlich etwas ändert. "Im Straßenverkehr wird man täglich Zeuge von teils auch gewalttätigen Anfeindungen gegenüber Frauen", sagt die Direktorin der Nichtregierungsorganisation "Ciudades Feministas" ("Feministische Städte"). Die vielen Initiativen könnten dazu beitragen, "über die Ungleichheiten in einer patriarchalischen Gesellschaft wie Argentinien" nachzudenken.

Ana Falú - Argentinische Architektin
"Die Beleidigungen im Straßenverkehr kommen fast ausschließlich von Männern" - Ana FalúBild: Privat

Der Männerkult auf den Straßen Argentiniens hat als Kollateralschaden auch  finanzielle Konsequenzen. Falú nennt ein Beispiel: "Ein Gebrauchtwagen, der von einem Mann gefahren wurde, ist auf dem Markt weniger wert als ein vergleichbares Auto einer Frau."

Argentinien ist das erste Land auf dem Kontinent, das in den geschlechtergerechten Weg im Straßenverkehr abbiegt. Die argentinischen Männer, die mit der neuen Realität noch fremdeln, sollten sich vielleicht an das erinnern, was der Nationalheld und fünfmalige Formel-1-Weltmeister Juan Manuel Fangio einmal sagte: "Sag' mir, wie Du Dein Auto fährst und ich sage Dir, was für ein Mensch Du bist."