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"Arbeitsmarktfaktor Mensch"

Das Interview führte Andreas van Hooven.1. August 2002

Dass Theorie und Praxis manchmal weit auseinander klaffen, ist ein alter Hut. Über die Tücken im Alltag von Greencard-Inhabern berichtet der Russe Andrej Popov in einem Interview mit DW-WORLD.

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Mit der GreenCard auf der Überholspur?Bild: AP

Im August 2001 verlängerte der russische Greencard-Inhaber Andrej Popov seine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland. Einem unwissenden Sachbearbeiter der Ausländerbehörde musste er dazu die Greencard-Verordnung vorlegen, die bereits ein Jahr in Kraft war. Der Russe ist inzwischen Computerlinguist bei einem Verlagshaus in Deutschland. Privat nimmt der gebürtige Moskauer an Diskussionsforen im Internet teil, in denen Greencardler ihre Leiden und Freuden mitteilen.

Durch welche Institutionen wurden Sie und andere IT-Kräfte in Russland auf die deutsche Greencard aufmerksam?

Fast ausschließlich durch Mundpropaganda. Es gab auch Meldungen in der russischen Presse, die über die neue Möglichkeit informierten. Informationen von offizieller Seite waren spärlich. Ich selbst war schon in Deutschland, als die Greencard kam. Von Bekannten in den USA habe ich gehört, dass die deutsche Botschaft dort Plakate mit dem Wort "Greencard" und mit Aufrufen, nach Deutschland zu kommen, ausgehängt hat. Jetzt sind etwa Inder, die gekommen sind, ohne sich näher zu informieren, enttäuscht und fühlen sich betrogen wegen der Bezeichnung "Greencard".

Sie sprechen von enttäuschten Greencardlern, die aus Indien stammen – haben es russische Greencardler Ihrer Meinung nach leichter? Vielleicht durch die geographische Nähe zur EU?

Das kann ich so nicht erkennen! Auch viele Russen haben es hier schwer. Unter anderem, weil sie viel direkter sprechen und das auch vom Gegenüber erwarten. Ich will ein Beispiel geben: Ein russischer Kollege mit Greencard sprach kein Deutsch und ein recht gebrochenes Englisch. Seine Personalmanagerin kam eines Tages zu ihm und sagte, sie habe wunderbare Sprachkurse für ihn entdeckt. Darauf gab sie ihm Prospekte. Eine Aufforderung, dass er seine Kenntnisse verbessern möge, sah er darin nicht. Ich musste ihm den eigentlichen Sinn erklären.

Gab es Fälle, bei denen IT-Kräfte aus großen Konzernen in deutsche Niederlassungen wechselten, ohne die Arbeitssprache wechseln zu müssen?

Was die englische Sprache angeht, gibt es sicherlich solche Fälle, zum Beispiel SAP, Siemens, IBM, die Niederlassungen in Russland und den GUS-Staaten haben. Wenn Sie aber darauf hinaus wollen, dass sich für solche Personen die Arbeitsumgebung trotz des Umzugs nach Deutschland kaum geändert hat, so ist das nicht richtig, denn außerhalb des Büros ist man doch in Deutschland.

Ende 2001 gingen viele IT-Firmen in Konkurs. Auch Sie wurden entlassen. Hatten russische Greencardbesitzer Probleme, Jobs in mittleren und kleinen Unternehmen zu finden?

Ich sehe keine Unterschiede, was die Größe des Unternehmens angeht. Die Jobsuche ist nicht das primäre Problem. Viele Ausländerbehörden - hauptsächlich in unionsregierten Ländern - vermerken den Arbeitgeber im Pass, so dass beim Wechsel nicht nur eine neue Arbeitsgenehmigung, sondern auch eine Aufenthaltsgenehmigung notwendig ist. Das ist eine der Auswirkungen der BlueCard.

Die Blue-Card-Initiative der bayerischen Landesregierung sieht vor, dass der Aufenthalt generell nur für die Dauer des Arbeitsverhältnisses vorgesehen ist. Für die Greencard der Bundesregierung gibt es da Spielräume – bis hin zu fünf Jahren. Wie wird der Spielraum in den Ämtern denn ausgeschöpft?

Sachbearbeiter der Ausländerbehörden und Arbeitsämter erteilen die Genehmigungen nach Gutdünken. Das Problem sind die sogenannten Kann-Lösungen. Und nicht selten werden diese von Ausländerbehörden und Arbeitsämtern dazu benutzt, um die Aufenthaltsbedingungen zu verschlechtern, sogar, wenn eine Soll-Lösung vorgeschrieben ist. Ich habe auch schon von willkürlich großzügigen Lösungen gehört. Doch welches Amt hat schon ein Interesse, seine Großzügigkeit offiziell kund zu tun? Genau so sieht es mit dem Anspruch auf das Arbeitslosengeld aus.

Inwiefern? Wird der Anspruch nach zwölf Monaten gezahlter Sozialabgaben dennoch verweigert oder hinausgezögert?

Ja, da herrscht zum Teil Betrug ums Geld. Das Arbeitsamt argumentiert oft so: Mit Verlust der Arbeit erlischt die Aufenthaltsgenehmigung. Und wer sich hier nicht aufhalten dürfe, habe auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Selbst wenn man länger als zwölf Monate Abgaben gezahlt hat. Man erhält für Deutschland aber kein Visum zur Jobsuche. Und viele deutsche Unternehmen lassen sich sehr lange Zeit, ehe sie einen Arbeitsvertrag ausstellen.

Ein Zwang zu illegaler Arbeit?

Diese Frage ist leicht zu beantworten. Aber auch denjenigen Greencardlern, die an den Arbeitgeber nicht gebunden sind, wird das Arbeitslosengeld nicht selten verweigert.

Wie ist die Stimmung unter russischen Greencardlern im Hinblick auf den Nutzen der Deutschland-Erfahrung für die eigene Karriere?

Die meisten Greencard-Inhaber, die ich kenne, sehen ihre Beschäftigung hier sehr positiv für die Karriere. In unseren Heimatländern wird diese Erfahrung meist hoch geschätzt. Es gibt in den Unternehmen, die IT-Kräfte anforderten, aber auch Barrieren. Da sind manchmal Vorurteile, Ausländer zu Projektleitern zu befördern.

Neue offizielle Zahlen sehen den Andrang auf die Greencard schwinden. Und der Wirtschaft in Deutschland ging es auch schon besser. Ist Deutschland für Russen noch interessant?

In Russland weiß man vielleicht aus der Presse von einer Krise im fernen Westen, dennoch ist ein gewisses Interesse da. Aber bei der heutigen wirtschaftlichen Situation stellt sich eher die Frage, ob deutsche Unternehmer an Greencardlern - etwa russischen - noch interessiert sind. Auf der anderen Seite zeigen meine Beobachtungen, dass die Popularität Deutschlands im Ausland von Deutschen überschätzt wird.

Sind denn viele trotz Greencard zurückgegangen?

Einige, aber ich kann nicht aussagen, wie viele. Mein Freund zum Beispiel – Sie erinnern sich: der mit den zu verbessernden Englischkenntnissen ... Er leitet jetzt die Niederlassung einer finnischen Softwarefirma in St. Petersburg. Den größten Nachteil des Greencard-Programms sehe ich eben darin, dass die GreenCardler lediglich als Arbeitskräfte gesehen werden und der Faktor Mensch oft außer Acht gelassen wird.