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Anwälte mit Mission

26. April 2010

Engagierte Rechtsanwälte haben es schwer in China, sie geraten oft selbst ins Visier der Behörden. Dennoch kämpft eine kleine, aber wachsende Gruppe mit juristischen Mitteln für mehr Freiheit und Gerechtigkeit.

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Demonstranten mit gelben Bändern (Foto: AP)
Demonstration in Peking anlässlich des Prozessauftakts gegen Bürgerrechtler Liu Xiaobo Ende 2009Bild: AP

In China hat sich das Klima für Bürgerrechtsaktivisten in den vergangenen zwölf Monaten dramatisch verschlechtert. Mehr Aktivisten als je zuvor seien im vergangenen Jahr verhaftet, verurteilt, unter Hausarrest gestellt oder auf andere Weise von den Behörden schikaniert worden, heisst es in einem Bericht der Hongkonger Organisation "Chinese Human Rights Defenders", der an diesem Montag (26.04.2010) veröffentlicht wurde.

Der bekannteste Fall ist der des Präsidenten des unabhängigen Schriftstellerverbandes PEN, Liu Xiaobo, der im Winter zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Aber auch Anwälte, die sich benachteiligter Gruppen annehmen, sehen sich zunehmend im Visier der Behörden. Menschenrechtsanwälte würden unter Druck gesetzt wie nie zuvor, heisst es im Bericht von CHRD.

Xu Zhiyong (Foto: Ruth Kirchner / DW)
Xu ZhiyongBild: DW

Mutige Pioniere

Dennoch gibt es in China nach und nach immer mehr Anwälte, die mit juristischen Mitteln für mehr Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Einer von ihnen ist Xu Zhiyong. "Ich will mehr Gerechtigkeit für meine Mandanten, und ich will das System verändern in Richtung einer demokratischen, fairen und rechtsstaatlichen Gesellschaft", sagt der 37-jährige.

Xu hilft unter anderem Eltern, deren Kinder vor zwei Jahren an verseuchtem Milchpulver erkrankten, bei Klagen auf Entschädigung. Er berät Opfer von Justizirrtümern und Familien von Wanderarbeitern, die bessere Bildungschancen für ihre Kinder fordern. Seine "Initiative für eine Offene Verfassung" arbeitet mit einem Netz von Anwälten und Kanzleien zusammen. "Wir versuchen, durch unsere Arbeit Öffentlichkeit zu schaffen, Druck zu erzeugen, so dass sich die Behörden weniger in die Justiz einmischen", sagt Xu. "Unser Schwerpunkt liegt weniger auf den juristischen Spitzfindigkeiten, uns geht es darum, die Hintergründe von Ungerechtigkeiten aufzudecken."

Schwieriger Balanceakt

Xu muß vorsichtig sein. Im vergangenen Sommer war er einen Monat lang in Haft – angeblich wegen Steuervergehen. Aber eigentlich steckte dahinter etwas anderes. Der Aktivist war den Behörden zu unbequem geworden. Seit seiner Zeit im Gefängnis wird sein winziges Büro in einem Hochhaus im Pekinger Haidian-Bezirk noch mehr überwacht als früher. Ob er seine NGO unter den alten Bedingungen weiterführen kann, ist immer noch unklar. Das Interview findet auf der Hintertreppe eines Hotels statt. Dabei sieht sich Xu nicht als Dissident: "Ich bin ein Bürger, ein Praktiker, ein Arbeiter für eine demokratischere, rechtsstaatliche, bessere Gesellschaft."

Ähnlich wie Xu versuchen auch andere Anwälte, China von innen heraus zu reformieren. Doch eine unabhängige Justiz gibt es nicht, Richter müssen sich dem Diktat der Partei unterwerfen, Korruption und Vetternwirtschaft sind allgegenwärtig. Anwälte haben es da schwer. Wer heikle Fälle übernimmt, etwa die Verteidigung von Falun-Gong Anhängern, muss selbst mit Repressalien rechnen. Erst in der vergangenen Woche drohte deswegen zwei Anwälten der Entzug der Lizenz.

Suche nach Schlupflöchern

Den langen Arm der Partei haben auch die Anwältinnen vom Frauenberatungszentrum der Uni Peking zu spüren bekommen. Seit 15 Jahren streitet das Zentrum gegen Diskriminierung: etwa bei den Renten oder bei der Zuteilung von Ackerflächen auf dem Land. Das Zentrum ist anerkannt. Im Büro hängen Fotos berühmter Unterstützerinnen, darunter Hillary Clinton. Die Kooperation mit der Universität Peking ist wichtig. Denn in China braucht jede NGO einen staatlichen Partner. Doch im März kündigte die Uni die Zusammenarbeit auf. Offenbar auf Druck von oben.

Li Ying (Foto: Ruth Kirchner / DW)
Li Ying vom FrauenberatungszentrumBild: DW

Die Behörden hätten interveniert, weil das Zentrum expandierte, glaubt Vizedirektorin Li Ying. "Viele Anwälte haben uns gebeten unsere Dienste auch Behinderten, Wanderarbeitern und anderen anzubieten", erzählt sie. "Daraufhin haben wir uns in 'Netzwerk für öffentliche Anwälte' umbenannt und unsere Schwerpunkte auf andere benachteiligte Gruppen ausgedehnt." Genau das aber, die Vernetzung der sozial Schwachen, sehen die Behörden offenbar als Bedrohung. Jetzt sucht das Zentrum nach Mitteln und Wegen, auch ohne offizielle Anerkennung weiterzumachen.

Idealistischer Ansatz

Mo Shaoping (Foto: Ruth Kirchner / DW)
Mo ShaopingBild: DW

Und dann sind da Einzelkämpfer wie Mo Shaoping, einer von Chinas bekanntesten Menschenrechtsanwälten. In seinem Büro nahe der Verbotenen Stadt plätschert ein Aquarium, auf dem Schreibtisch liegen Bücher über den einstigen tschechischen Bürgerrechtler Vaclav Havel. Keiner hat so viele Dissidenten verteidigt wie Mo. Auch Liu Xiaobo gehörte zeitweise zu seinen Mandanten. Zwar hat Mo noch nie in einem politisch sensiblen Fall einen Freispruch erreicht, dennoch macht er weiter. "Egal wer angeklagt ist, jeder hat das Recht, juristischen Beistand zu bekommen – das ist ein Grundrecht", betont er. "Als Anwalt kann man nicht nur ans Geldverdienen denken. Man muss sich seiner sozialen Verantwortung bewusst sein."

Weil er die komplizierte Klaviatur des chinesischen Rechtssystems genau beherrscht, sei er selbst von der Polizei bislang wenig behelligt worden, sagt Mo. Und wie alle engagierten Anwälte in China glaubt auch er fest an die Reformierbarkeit des Systems. "Ich bin überzeugt, dass China eines Tages ein demokratischer, verfassungsmässiger Rechtsstaat sein wird", sagt er mit Nachdruck. "Mag sein, dass der Weg dorthin sehr steinig ist, aber ich bin optimistisch. Keine Person oder Organisation kann das stoppen."

Autorin: Ruth Kirchner
Redaktion: Esther Broders