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Anti-israelische Stimmung in der Türkei

Senada Sokollu19. Juli 2014

In der Türkei wird klar Stellung gegen die israelische Angriffsoffensive im Gaza-Streifen bezogen. Gleichzeitig wird die jüdische Gemeinde im Land Opfer rassistischer Hetze. Die Beziehung scheint beschädigt.

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Protest gegen den Angriff von Israel auf den Gazastreifen in Istanbul (Foto: EPA/SEDAT SUNA +++(c) dpa - Bildfunk)
Bild: picture-alliance/dpa

"Free Palestine"-T-Shirts sind zurzeit in den Straßen Istanbuls allgegenwärtig. Genauso wie Menschen, die sich eine palästinensische Fahne um den Kopf wickeln oder die vielen Autofahrer, die die Flagge aus ihren Fenstern hängen lassen. Fast täglich kommt es im Stadtzentrum von Istanbul und vor dem israelischen Konsulat zu Demonstrationen. "Die Palästinenser sind unser muslimisches Brudervolk. Wir werden immer hinter ihnen stehen", sagt eine Demonstrantin. Die Türken kritisieren die israelische Intervention im Gaza-Streifen scharf. Als "Genozid" beschreibt ein anderer Demonstrant das israelische Vorgehen in Gaza.

Damit stehen die Demonstranten voll und ganz hinter der Israel-Politik der türkischen Regierung. Nach fast zwei Wochen Luftangriffen startete Israel in der Nacht zum Freitag auch eine Bodenoffensive im Gaza-Streifen. Daraufhin warf der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan der israelischen Regierung "Staatsterror" vor. Schon vor einigen Tagen verglich er die Einstellung israelischer Politiker gegenüber den Palästinensern mit der Politik Adolf Hitlers. "Wo ist der Unterschied zwischen dieser Mentalität und Hitler?", fragte Erdogan. Die rechte Knesset-Abgeordnete Ayelet Shaked hatte zuvor die palästinensischen Zivilisten als legitime Ziele von Angriffen bezeichnet. Den Vereinten Nationen (UN) warf Erdogan außerdem "völliges Versagen" vor. Und die Türkei sieht er als einziges Land, dass "ein Ende der Gewalt fordert".

Türkischer Ministerpräsident Erdogan (Foto: Oliver Berg/dpa)
Vergleicht Israel mit Hitler - Türkischer Ministerpräsident ErdoganBild: picture-alliance/dpa

Antijüdische Hetze in der Türkei

Die türkische Haltung zur Israel-Politik kriegen vor allem die Juden in der Türkei zu spüren. So veröffentlichte die türkische Pop-Sängerin Yildiz Tilbe im Kurznachrichtendienst Twitter antisemitische Parolen. "Wenn Gott will, werden es wieder die Muslime sein, die das Ende dieser Juden herbeibringen", twitterte das Popsternchen. "Gott segne Hitler" schrieb sie in einem anderen Tweet. Der Oberbürgermeister der Hauptstadt Ankara, Melih Gökcek, unterstützte ihre Aussagen. Einige ihrer Tweets wurden von ihm retweetet. Für Gökcek sind Tilbes Aussagen "voller Intelligenz", wird Gökcek von der türkischen Zeitung Hürriyet zitiert.

Die rassistischen Aussagen lösten in der Türkei jedoch einen Sturm der Entrüstung aus. In den sozialen Medien wurde eine Kampagne gegen die Sängerin gestartet. Sie solle sich entschuldigen, so die Forderungen. Die jüdische Gemeinde veröffentlichte auf ihrer Internetseite eine Stellungnahme und forderte Ermittlungen gegen Tilbe. "Es ist eine absolut rassistische Aussage. Das sollte bestraft werden, aber keiner wird eingreifen. Wir können nichts dagegen machen", so Silviyo Ovadya, ehemaliger Vorsitzender der türkisch-jüdischen Gemeinde.

Protest in der Türkei gegen den Angriff von Israel auf den Gazastreifen (Fopto: EPA/SEDAT SUNA )
"Unsere muslimische Brüder" - Protest gegen den Angriff von Israel auf den GazastreifenBild: picture-alliance/dpa

Türkisch-israelische Beziehungen "wieder" zerrüttet

Die Türkei, eines der ersten Länder, das Israel im Jahr 1949 als eigenen Staat anerkannte, befindet sich nicht zum ersten Mal in diplomatischem Disput mit der Regierung in Tel Aviv. "Seit rund zehn Jahren gibt es Höhen und Tiefen zwischen den beiden Ländern. Hauptproblem ist der Palästina-Konflikt", sagt Mensur Akgün, Direktor des Global Political Trends Center an der Istanbul Kültür Universität. Die beiden Länder seien ehemals Verbündete gewesen und kooperierten auch im militärischen Bereich, erklärt Akgün im DW-Gespräch. "Doch im Jahr 2005 kam die Hamas an die Macht und es dauerte nicht lange bis die Internationale Gemeinschaft die Existenz der Hamas als politische Macht auf palästinensischem Territorium ablehnte. Die Türkei war eines der wenigen Länder, das die Hamas als demokratische Macht in der Region unterstützte. Das verursachte Spannungen", sagt Akgün.

Im Jahr 2008 seien die Beziehungen zu Israel noch in Ordnung gewesen, sagt Akgün. "Schimon Peres besuchte die Türkei zusammen mit Mahmud Abbas. Aber Ende 2008 kam es zur sogenannten 'Cast lead operation'. Eine israelische Militäroperation im Gazastreifen, die von der Türkei bis heute als Genozid bezeichnet wird. Diese Intervention zerrüttete die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei erstmals gewaltig", erklärt der Politikexperte.

Im Jahr 2010 starben dann zehn türkische Aktivisten bei einem Angriff der Israelis auf das türkische Hilfsschiff Mavi Marmara. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel lagen seitdem auf Eis. Die Türkei forderte eine Entschuldigung seitens Israels, eine Entschädigung für die Opfer, sowie eine Aufhebung der Gaza-Blockade. "Die beiden Länder haben in der jüngsten Zeit versucht, den diplomatischen Konflikt untereinander zu deeskalieren und haben es geschafft alle diese Probleme zu lösen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich vergangenes Jahr für den Angriff auf die Hilfsflotte entschuldigt. Auf die Entschädigung hat man sich geeinigt und auch die Gaza-Blockade wurde aufgehoben. Türkische Hilfsflotten liefern regelmäßig humanitäre Hilfe nach Gaza", so Akgün.

Das Schiff Mavi Marmara nach der Rückkehr in die Türkei (Foto:(ddp images/AP Photo/Burhan Ozbilici)
Das Schiff Mavi Marmara nach der Rückkehr in die TürkeiBild: dapd

Türkei will vermitteln

Doch durch die Luftangriffe auf Gaza und auch die neue Bodenoffensive sehe sich die Türkei gezwungen die diplomatischen Beziehungen auf ein Minimum zu reduzieren, bilanziert der Politologe. Erdogan macht diese Haltung klar: "Wie können wir denn die Beziehungen mit euch normalisieren?", sagte der türkische Premier in Bezug auf Israels Intervention in Gaza.

Akgün verweist auch auf den Türkei-Besuch von Mahmud Abbas, den Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde. "Abbas reist in die Türkei und wird versuchen mit der Türkei gemeinsame Lösungen zu finden. Die Türkei hat nämlich keinen Einfluss auf Israel, dafür aber auf die Hamas. Diesen Einfluss wird die Türkei für eine friedliche Lösung zu nutzen versuchen", so Akgün.