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Anti-Heimatfilm: "Schwarzer Kies"

Jochen Kürten
6. Mai 2018

Heute gilt Helmut Käutners Film von 1961 als einer der interessantesten deutschen Nachkriegsfilme überhaupt. Das war nicht immer so. "Schwarzer Kies" musste umgeschnitten werden, auch weil man ihm Antisemitismus vorwarf.

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Film Schwarzer Kies von  Helmut Käutner
Bild: Concorde

Von Heimat ist derzeit überall wieder verstärkt die Rede, in Berlin heißt sogar ein Ministerium so. Was Heimat denn bedeute, ob es eine Leitkultur geben dürfe, danach wird landauf und landab gefragt, es wird diskutiert und gestritten. Die Ruhrfestspiele, die gerade begonnen haben, finden in diesem Jahr unter dem Motto "Heimat" statt. Das Berliner Zeughaus im Herzen der Hauptstadt zeigt gerade das Gesamtwerk des deutschen Regisseurs Helmut Käutner.

Käutner sei, so lautete lange die einhellige Meinung der Filmgeschichtsschreibung, neben Wolfgang Staudte der einzige Regisseur von Rang, der die Jahre des Nationalsozialismus ohne größere Schrammen überstanden hatte und auch im Nachkriegsdeutschland Bedeutendes schuf. Das positive Urteil bezog sich zumeist jedoch vor allem auf Käutners in den 1940er Jahren entstandene Filme wie "Unter den Brücken" oder "Große Freiheit Nr. 7". "Schwarzer Kies" wurde 1962 bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen dagegen mit dem "Preis für die schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs" bedacht.

Zwei Männer stehen auf einem Kieshaufen
Drama auf der Kiesgrube - die verschüttete Vergangenheit kann man auch symbolisch sehenBild: Concorde

Auch die Nachkriegsfilme des 1908 in Düsseldorf geborenen Käutner wurden in jüngster Zeit einer umfassenden Revision des Kinos der Adenauer-Ära unterworfen, die mit der großen filmhistorischen Retrospektive des Festivals in Locarno 2016  einen Anfang nahm. Die Filmschau im Zeughauskino in Berlin mit dem Titel "Querläufer" knüpft nun daran an. Dazu passt, dass Käutners Film "Schwarzer Kies" durch die Murnau-Stiftung restauriert und digitalisiert wurde, bei der Berlinale in seiner ursprünglichen Form auf großer Leinwand zu sehen war und jetzt auch auf DVD und Blu-ray vorliegt.

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"Schwarzer Kies": Spiegel der frühen Bundesrepublik

Von "Schwarzer Kies" gibt es zwei Versionen, die Urfassung und die, die später in den Verleih kam. Beide Fassungen kann man jetzt im Vergleich studieren. Sie erzählen viel über das gesellschaftliche und kulturelle Klima in der BRD der frühen 1960er Jahre und spiegeln die Schlacht um kulturelle Deutungshoheiten einer Zeit wider, die von Kaltem Krieg und Verdrängung, von Wirtschaftswundermentalität und Vergangenheitsbewältigung zeugen.

Ein Mann und einem Frau in einem Bett
Erstaunlich freizügig für die Zeit: Das Thema Sexualität wird offen behandeltBild: Concorde

Ein Wiedersehen des Käutner-Films lohnt vor dem Hintergrund der derzeitigen Heimat-Debatte und der Tatsache, dass das deutsche Nachkriegskino immer noch unter dem abschätzigen Urteil firmiert, es habe damals nur Heimatfilme vom Kaliber "Grün ist die Heide" gegeben. Ein Heimatfilm ist "Schwarzer Kies" auch, freilich mit einer ganz anderen Stoßrichtung. Er zeigt nicht grüne Wiesen und rauschende Bäche, stellt uns keine gradlinigen Förster und strammen Bauernmädel vor, spielt nicht vor blühender Heide- oder Alpenkulisse. "Schwarzer Kies" könnte man als Anti-Heimatfilm bezeichnen. Genauso gut kann man aber sagen, dass Käutners Film eigentlich der realistischere und deshalb wahrere Heimatfilm ist.

Deutsche und Amerikaner als Notgemeinschaft

Worum geht es in "Schwarzer Kies"? Käutner zeigt uns ein Dorf im Hunsrück, in dem amerikanische Truppen eine Luftwaffenbasis betreiben. Die deutsche Bevölkerung arrangiert sich so gut es geht mit den US-Soldaten - 6000 Amerikanern stehen ein paar Hundert Deutsche gegenüber. Die Basis soll ausgebaut werden, deshalb werden große Mengen an Baumaterial benötigt. Robert Neidhardt (Helmut Wildt) ist LKW-Fahrer, der für deutsche Bauunternehmen Kies für die US-Basis transportiert, ein rauer Kerl mit Charme, der es mit den Abrechnungen nicht ganz so genau nimmt und auch mal in die eigene Tasche wirtschaftet. Es ist die große Zeit des Schwarzhandels.

Ein Mann steht am Rande einer Kiesgrube
Einer der vielen differenziert gezeichneten Charaktere: Robert Neidhardt (Helmut Wildt) Bild: Concorde

Eines Tages taucht seine alte Liebe Inge (Ingmar Zeisberg) wieder auf, die inzwischen mit dem Chef der US-Basis (Hans Cossy) verheiratet ist. Bei einer gemeinsamen Fahrt mit Roberts LKW verunglückt ein junges Paar tödlich. Robert geht nicht zur Polizei, verscharrt die Leichen unter schwarzem Kies. Das Unglück und die Vertuschung lösen eine Kette von tragischen Ereignissen aus. Neben dieser melodramatisch grundierten Haupthandlung richtet Käutner seine Kameras vor allem auf das Leben in dem fiktiven Örtchen Sohnen, das von der Ferne ein wenig an die Jahrzehnte später von Edgar Reitz inszenierte Hunsrück-Saga "Heimat" erinnert.

Das Urteil über "Schwarzer Kies" veränderte sich im Laufe der Zeit radikal

Korruption und Prostitution bestimmen den Alltag in Sohnen. Straßenstrich und Amüsierbetriebe, Wirtschaftskriminalität und herzliche Abneigung zwischen Deutschen und Amerikanern prägen das Zusammenleben der Menschen. Junge und alte Generationen treffen aufeinander, wobei Käutner auf einseitige Figurenzeichnungen seiner Protagonisten verzichtet. Es ist ein düsterer Ort, den uns Käutner in "Schwarzer Kies" präsentiert, ein tief pessimistischer Einblick auf die Jahre des Wirtschaftswunders. Der Film wurde im Februar 1961 nur mit der Altersbeschränkung ab 18 freigegeben.

Ein Polizist spiegelt sich im Seitenspiegel eines Autos
Der Polizei bleibt oft nur der Blick durch den RückspiegelBild: Concorde

Abends trifft man sich im Club "Atlantic", Deutsche und Amerikaner, Frauen und Männer, Prostituierte und Freier, alle auf der Suche nach ein wenig Zerstreuung. Der Club wird von einem älteren Deutschen betrieben. In einer Szene des Films wird er von einem Alt-Nazi als "Saujud" beschimpft. Daraufhin sieht man kurz die am Unterarm eingravierte Zahlenkolonne des Barbesitzers, die diesen als ehemaligen KZ-Insassen ausweist. Aus heutiger Sicht eine Szene, die nur als Kritik an den latent existierenden antisemitischen Strömungen in der Nachkriegs-BRD zu interpretieren ist.

Der Zentralrat der Juden legte Beschwerde ein

Diese nur kurze und auch für die sonstige Filmhandlung nicht zentrale Szene führte zu einer Beschwerde des Zentralrats der Juden in Deutschland und Strafanzeigen gegen die am Film Beteiligten. Das stieß allerdings auch bei anderen jüdischen Organisationen auf Widerspruch. Auch die Staatsanwaltschaft verzichtete darauf, gegen die Freigabe des Films vorzugehen. Trotzdem entschied sich die produzierende UFA damals, die Szene aus dem Film zu entfernen. Auch das düstere Ende wurde umgeschnitten und durch eine nicht ganz so pessimistische Schlusssequenz ersetzt. Ein Happy End gab es allerdings auch in dieser "entschärften" Version nicht.

Film Schwarzer Kies von  Helmut Käutner
Bild: Concorde

In der Folge lief "Schwarzer Kies" vor allem in der geschnittenen Fassung, erst 2009 wurde die Ur-Version wieder aufgeführt. Nach der Digitalisierung, die mit Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zustande kam, ist der Film jetzt wieder in seiner ursprünglichen Form zu sehen: "Ein herausragendes Beispiel für den unverstellten Blick auf die Abgründe der westdeutschen Nachkriegsrealität", so Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek, "eine Rarität, die nun wieder entdeckt werden kann." Man darf noch hinzufügen: Ein deutscher Nachkriegsfilm, der den Begriff "Heimatfilm" in ein ganz neues Licht rückt.

Der Anbieter Concorde Home Entertainment hat Helmut Käutners Film "Schwarzer Kies" jetzt auf DVD und Blu-ray veröffentlicht, darauf befinden sich beide Fassungen des Films, 115 bzw. 117 Minuten.