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Anonymous versus IS

Nastassja Shtrauchler17. November 2015

Seit mehr als einem Jahr kämpfen Aktivisten gegen die Präsenz des IS im Internet. Nun folgte die Kriegserklärung. Doch können sie es mit der Terrormiliz wirklich aufnehmen? Und wie reagieren die Islamisten darauf?

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Symbolbild Anonymous Hacker (Foto: ROSLAN RAHMAN/AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images/R. Rahman

Ein Intro mit epischer Musik. Zwei Männerstimmen, die erzählen, wie sie die Pariser Anschlagsserie miterlebt haben. Dazu ein Look, der an den Film "Matrix" erinnert. Die Kriegserklärung von Anonymous an den "Islamischen Staat" (IS) kommt martialisch daher. Bereits wenige Stunden nach der Bluttat in der französischen Hauptstadt hatte das Hacker-Netzwerk das Video veröffentlicht, das bis Dienstagmittag schon mehr als fünf Millionen Mal angeschaut worden war.

In üblicher Aufmachung verliest darin ein Vertreter der Gruppe, dessen Stimme durch einen Computer verfremdet wurde, eine Kampfansage. "Wir bereiten die größte Operation gegen euch vor, die es je gab. Stellt euch auf massive Cyber-Attacken ein. Der Krieg ist erklärt. Bereitet euch vor."

"Programmierer mit militärischem Hintergrund"

Anonymous möchte nicht als Hacker-Gruppe bezeichnet werden. Ihrer eigenen Definition nach sind sie nicht ein mal eine Gruppe, sondern eine Lebenseinstellung oder eine Idee. Das Technologie-Magazin "Wired", beschreibt die Aktivisten als einen Zusammenschluss "unerfahrener Hobby-ProgrammiererInnen", die Öffentlichkeit gegen den Terror herstellen wollen und "Programmierer mit militärischem Hintergrund".

Das Video ist die Fortsetzung eines Online-Feldzugs, den einzelne Mitglieder von Anonymous schon vor den "Charlie Hebdo"-Attentaten im Januar 2015 begonnen und danach intensiviert hatten. Ein Feldzug gegen den IS und seine virtuellen Unterstützer. Bereits damals machten sie in einer Videobotschaft eine klare Ansage: "Ihr werdet wie ein Virus behandelt werden, und wir sind das Heilmittel." Nach eigenen Angaben, haben die Aktivisten in den vergangenen neun Monaten 149 Webseiten mit Verbindungen zum IS und 5900 Propaganda-Videos der Terrormiliz blockiert.

Dabei werden laut einem Online-Artikel des Technologie-Magazins "Wired" die Seiten zunächst überlastet bis sie zusammenbrechen. Anschließend füllt Anonymous sie mit neuen Inhalten. Unter dem Hashtag #OpISIS veröffentlicht die Gruppe zudem regelmäßig Botschaften beim Kurznachrichtendienst Twitter. Erst am Sonntag stellten sie dort einen Link zu einer Liste mit fast 1000 Twitter-Accounts mutmaßlicher IS-Sympathisanten ein. Inzwischen findet man auch eine Anleitung dazu, wie man solche Konten selbst erkennt und wie man sie melden kann.

"ISIS Idioten-Anleitung"

Für den IS ist die Kommunikation im Internet essentiell wichtig. Vor allem für die Anwerbung neuer Kämpfer, insbesondere aus europäischen Staaten. Aber auch für die Verbreitung seiner Propaganda. Twitter diente dabei lange als Basis für die Verbreitung der oft grausamen IS-Werbung. Der Kurznachrichtendienst bot den Gotteskriegern eine enorme Reichweite. Monatelang war man hin- und hergerissen, wie man eine Balance zwischen einer Politik der freien Meinungsäußerung und dem Missbrauch durch Terroristen finden könnte. Twitter entschied sich zu einer Verschärfung der Standards, doch der "Islamische Staat" blieb weiterhin stark vertreten.

Nach einer Untersuchung der Wissenschaftler J.M.Berger und Jonathon Morgan sollen IS-Unterstützer allein zwischen September und Dezember 2014 etwa 46.000 bis 70.000 Twitter-Accounts benutzt haben. Auch der Messenger-Dienst "Telegram" spielt eine zentrale Rolle. So hatten die Anhänger der Terrormiliz ihre digitalen Botschaften auf die Terroranschläge in Paris am Freitag darüber verbreitet.

Insofern scheint es nachvollziehbar, dass die Terrormiliz die virale Drohung offenbar ernst nimmt. Laut einem Artikel des Fachmagazins "Business Insider" hat der IS seinen Followern über den Messenger-Dienst "Telegram" erklärt, wie man vorgehen müsse, um nicht gehackt zu werden. So solle man Links erst dann öffnen, wenn man ihre Herkunft genau kennt. E-Mail-Kennungen sollten nicht identisch sein mit Benutzernamen bei Twitter. Dieser Fehler habe bereits viele "ansar", also Unterstützer des "Islamischen Staates", ihre Accounts gekostet, weil die "kuffar", die Ungläubigen ihre IP-Adressen veröffentlicht hätten, heißt es in dem Schreiben. Auch die Aktivisten von Anonymous veröffentlichten die Botschaft der Islamisten und verpassten dem Ganzen die Überschrift "Die ISIS Idioten-Anleitung".

Es geht um den Widerstand

Wie erfolgreich Anonymous in seinem Cyber-Krieg gegen den "Islamischen Staat" sein wird, ist umstritten. "Die informationstechnischen Strukturen von Anonymous, aber leider auch vom IS, sind derzeit nicht geklärt", sagte Ronald Schulze, IT-Experte beim Bund Deutscher Kriminalbeamter in einem Interview mit dem Online-Portal "GMX". So sei es schwer einzuschätzen, wie effektiv die Angriffe der Hacker-Gruppe gegen den IS seien. Laut einem Online-Artikel des Fachmagazins "Foreign Policy" stellen sich auch viele der Aktivisten diese Frage.

So wirke der Internet-Krieg neben der Zerstörung der syrischen Wüstenstadt Palmyra eher klein, beinahe unbdeutend. Indem man Twitter-Accounts sperrt und Webseiten eliminiert, könne man den "Islamischen Staat" nicht aufhalten. Solche Aktionen würden auch niemals Syrien und den Irak befreien. Doch das müssten sie auch nicht. Der Sinn hinter der Netz-Guerilla liege eher im Widerstand. Es gehe darum, die Islamisten zurück zu drängen. "Ob ich meine, dass der Internet-Krieg etwas bewirkt?", fragt ein Anonymous-Aktivist rhetorisch. "Ich denke, er ist wichtig, weil sie (Anm.d.Readaktion: die Anhänger des IS) wissen müssen, dass die Menschen diesen Mist nicht einfach so hinnehmen."