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Angst vor russischem Gasstopp

Insa Wrede6. März 2014

Mehr als ein Drittel des in Europa verbrauchten Gases kommt aus Russland. Mit der Krise in der Ukraine wächst die Sorge, Russland könnte den Gashahn zudrehen. Und dann?

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Anschluss der Ostseepipeline an Fernleitungsnetz (Foto: dapd)
Bild: dapd

In der Ukraine-Krise geht es nicht nur um Politik - es geht auch um Energie. Die Ukraine hängt am Gastropf Russlands. Aber nicht nur sie. Russland liefert rund ein Drittel des in Europa verbrauchten Gases und ein Großteil davon strömt durch ukrainische Pipelines. Fast 40 Prozent des deutschen Gasaufkommens kommen aus Russland. Noch größer ist die Abhängigkeit der baltischen Staaten, denn für sie ist Russland der einzige Gas-Lieferant. So wächst mit der Krise in der Ukraine auch die Sorge um die Energieversorgung in Europa. Denn Russland hat in der Vergangenheit seinen Rohstoffriesen Gazprom gerne für politische Zwecke eingesetzt.

Die Ukrainer haben das bereits zu spüren bekommen. Seit 2006 hat Russland der Ukraine bereits zweimal den Gashahn zugedreht. Die Gründe: Streit um Transitbedingungen und um Preise. Außerdem hatte Russland die Ukraine verdächtigt, Pipelines angezapft und das abgezweigte Gas nicht bezahlt zu haben. Und auch jetzt bekam die Ukraine wieder die Macht Russlands zu spüren. Am Mittwoch (05.03.2014) kündigte Gazprom an, dass ein 30-Prozent Rabatt für russisches Gas zurückgenommen werden würde und forderte, die Ukraine solle ihre Schulden tilgen. Für den Staat, der nah dem Staatsbankrott steht, ein herber Schlag.

Europa: mitgehangen, mitgefangen?

Wie aber wird es Europa ergehen, wenn der Streit eskaliert und Russland den Glasfluss stoppt? "Die EU wäre davon nicht besonders stark betroffen", meint Jonas Grätz von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik in Zürich. "Allerdings würden manche Länder wie Ungarn oder Bulgarien wahrscheinlich mehr betroffen sein, als Westeuropa, wo die Gasspeicher zu noch etwa 60 Prozent gefüllt sind. Das bedeutet, dass der Verbrauch für bis zu vier Monate gesichert ist." Dazu kommt noch, dass der Gasverbrauch wegen des milden Winters relativ gering ist.

Jonas Grätz, Experte des Center for Security Studies (CSS, Zürich)
Jonas Grätz von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik in ZürichBild: CSS

"Außerdem haben wir ein Überangebot auf den internationalen Gasmärkten", sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW. Käme kein Gas mehr aus Russland, würde es trotzdem schwierig. "Längerfristig ist man in Europa unzureichend darauf vorbereitet, gut ein Drittel das Gases aus anderen Quellen zu beziehen. Insbesondere in den Ländern Südosteuropas, die sehr große Mengen Gas aus Russland beziehen," so Kemfert.

Würde nur der Weg über die Ukraine blockiert, dann könnte russisches Gas auch durch die Nord Stream Pipeline geleitet werden. Sie führt von Russland über den Ostseegrund direkt nach Deutschland und ist zur Zeit noch nicht ausgelastet. Daneben strömt ein großer Teil des Brennstoffes auch über die Jamal-Pipeline über Weißrussland und Polen nach Deutschland. Würde aus Russland gar kein Gas mehr kommen, könnte flüssiges Erdgas etwa aus dem Nahen Osten über Tanker nach Europa verfrachtet werden. Allerdings gibt es beispielsweise in der Bundesrepublik kein Terminal zum Entladen solcher Tankschiffe. Im Falle eines längeren Ausfalls können die Gaskäufer auch auf andere Pipeline-Lieferungen umstellen, etwa aus Algerien oder Norwegen.

Claudia Kemfert
Claudia Kemfert, Energieexpertin beim DIWBild: picture-alliance/dpa

Langfristig könnte Europa auch aus dem Iran sein Gas beziehen, wenn sich das Land stärker öffnet. "Aber der Iran hat eine relativ gute geografische Position, die auch Exporte zum Beispiel nach Pakistan und Indien ermöglicht," gibt der Energieexperte Grätz zu bedenken.

Politik gibt sich entspannt

Die Gasversorgung in der Europäischen Union sei durch die Krim-Krise nicht gefährdet, heißt es offiziell von der EU-Kommission und Bundesregierung. "Es gibt im Moment keinen Grund zur Beunruhigung", sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger am Dienstag (04.03.2014) in Brüssel. Durch den milden Winter seien die Gasspeicher stärker gefüllt als im vergangenen Jahr. "Wir werden die Zeit bis Ostern mit halbvollen Speichern bestehen, wenn sich die Wetterlage nicht grundlegend ändert."

EU-Energiekommissar Günther Oettinger
EU-Energiekommissar Günther OettingerBild: picture-alliance/dpa

Außerdem sei Russland zumindest für Westeuropa bisher ein "absolut vertragstreuer Lieferant" gewesen, sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Trotzdem mahnte Oettinger die Verantwortlichen in Moskau, die bestehenden Verträge zu erfüllen: "Wir tun alle gut daran, unsere Verpflichtungen einzuhalten."

Energiestopp wäre russisches Eigentor

Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass Russland aufhört Gas nach Europa zuliefern. "Russland ist sehr stark abhängig von den Energielieferungen nach Europa", betont Claudia Kemfert. "60 Prozent der russischen Staatseinnahmen kommen aus den Verkäufen von Öl, Gas und Steinkohle - ein Großteil durch das Geschäft mit Europa. Insofern würde sich Russland ins eigene Fleisch schneiden."

Jonas Grätz meint daher, "Mit der Abhängigkeit Russlands vom europäischen Markt muß man anders umgehen." Eine Möglichkeit sei, gegenüber Gazprom geschlossen aufzutreten und die Regeln des europäischen Gasmarktes durchzusetzen. Für Putin sei Gazprom enorm wichtig als geopolitisches Werkzeug. Würde der Gasexport nach Europa gestoppt, würde es Gazprom sehr schlecht gehen, weil 60 Prozent der Gaseinnahmen aus dem europäischen Markt kämen. "Wenn es Gazprom schlecht geht, dann würde auch Putin Probleme bekommen, weil er dieses Unternehmen braucht, um in Russland zum Beispiel Projekte wie Sotchi oder die Gasversorgung entlegener Regionen zu implementieren und um auch das Unternehmen als außenpolitisches Mittel einzusetzen", so Grätz.

Gazprom Sitz in Moskau
Gazprom ist ein wichtiger Schalthebel für PutinBild: Vasily Maximov/AFP/Getty Images

Dazu kommt, dass Russland auch in anderen Handelsbereichen mit der EU eng verknüpft ist und daher wenig Interesse haben dürfte, seine Geschäftspartner zu vergraulen. Russland ist derzeit der drittwichtigste Handelspartner der EU. 2012 exportierten die Russen Waren für 215 Milliarden Euro nach Europa und importierten für 123,4 Milliarden Euro Waren nach Russland. Deutschland ist für Russland der drittwichtigste Handelspartner und liefert vor allem Autos, Maschinen und chemische Erzeugnisse. Umgekehrt liegt Russland nur auf dem elften Platz der wichtigsten deutschen Handelspartner - knapp hinter Polen.

Ukraine unter Druck

Anders ist die Lage der Ukraine. Um das Land mache man sich Sorgen, so EU-Energiekommissar Günther Oettinger am Dienstag (04.03.2014) nach einem Treffen mit den Energieministern der 28 EU-Länder. So erwägt die EU- Kommission, der Ukraine bei der Bezahlung von Gasrechnungen an Russland unter die Arme zu greifen. Für das geplante Hilfsprogramm der Kommission spiele das Thema "Gas, Gasversorgungssicherheit und Bezahlung der Gasrechnungen durch die Ukraine" an Russland daher "eine besondere Rolle". Außerdem will die EU-Kommission Erleichterungen im Energiesektor erreichen. Es liegen bereits Pläne auf dem Tisch, Gas durch die Slowakei in die Ukraine zu pumpen.