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Literatur

Die wichtigsten Autoren der DDR-Literatur

Sabine Peschel
9. November 2019

In den vier Jahrzehnten ihres Bestehens ist in der DDR eine breite und vielfältige Literatur entstanden. Wer waren die bedeutendsten Schriftsteller der Deutschen Demokratischen Republik? Und was zeichnet ihre Bücher aus?

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X. Schriftstellerkongress der DDR in Ostberlin
Bild: picture-alliance/dpa/ADN Zentralbild

Die Namen, die sich heute mit dem Begriff DDR-Literatur verbinden, sind nicht die der frühen Jahre, der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der DDR. Nicht die der Autoren von Weltrang wie Anna Seghers (1900-1983) und Bertolt Brecht (1898-1956), die sich nach ihrer Rückkehr aus dem Exil für den sozialistischen Teil Deutschlands entschieden. Vier Jahrzehnte DDR-Autorenschaft umfasst eine enorme Bandbreite: Der Dramatiker Heiner Müller (1929-1995) gehört ebenso dazu wie der Essayist, Lyriker und Übersetzer Franz Fühmann (1922-1984). Großartige Lyriker wie der im September 2019 verstorbene Günter Kunert (1929-2019), die Dichterin Elke Erb (geb. 1938) oder der 1962 in Dresden geborene Lyriker Durs Grünbein.

Die Liste derjenigen Dichter und Schriftsteller, die ihr Werk in der DDR begonnen haben, dann aber nur noch in westlichen Verlagen publizieren konnten, ist lang. Monika Maron mit ihrem Roman "Flugasche" von 1981 ist ein prominentes Beispiel - es war der erste Umweltroman der DDR. Die Schikanen, die auf den Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 folgten, führten zu einem regelrechten Exodus namhafter Künstler und Schriftsteller. Die vor allem auch bei Jüngeren beliebten Autoren Jürgen Fuchs und Jurek Becker beispielsweise, die den Protestbrief unterzeichnet hatten, wurden aus der DDR vertrieben. Auch der Dichter Reiner Kunze (sein Prosaband "Die wunderbaren Jahre" war 1976 im Westen erschienen) und die renommierte Lyrikerin Sarah Kirsch siedelten in den Westen über, der oppositionelle Schriftsteller Erich Loest folgte 1981 - um nur einige zu nennen.

Die Lebenswelt der DDR

Spricht man heute von DDR-Literatur, dann geht es nicht um eine wissenschaftliche Abgrenzung, quasi um die Definition eines abgeschlossenen Sammlungsgebietes. Gemeint sind damit vor allem die Romane, die sich mit der Lebenswelt der DDR auseinandersetzten, die im Tagesgespräch waren und bei denen man den Eindruck hatte, dass sie jeder der 16 Millionen DDR-Bürger verschlungen hatte, der des Lesens kundig war. Dazu gehörten offiziell wertgeschätzte Titel des sozialistischen Realismus wie Hermann Kants "Aula", aber auch "Bückware", kritische Titel wie Jurek Beckers "Jakob der Lügner" oder Stefan Heyms "König David Bericht", die zwar in der DDR verlegt wurden, aber trotzdem schwer zu bekommen waren.

Ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit stellen wir hier die wichtigsten Autorinnen und Autoren dieser DDR-Romane vor. Für das kulturelle Leben des östlichen deutschen Teilstaats hatten sie große Bedeutung - auch wenn langfristig nicht alle das positive Prüfsiegel der historischen Wertung erhalten werden.

Erwin Strittmatter
Erwin Strittmatter bei einer Lesung von "Der Laden" 1992Bild: picture-alliance/dpa

Erwin Strittmatter (1912-1994)

Christa Wolf und Erwin Strittmatter waren die populärsten Autoren der DDR. Strittmatter, Erster Sekretär des Schriftstellerverbandes, galt im Westen als linientreu, die DDR war ihm das bessere Deutschland und die SED eine Partei, die als Obrigkeit zu akzeptieren war - auch wenn er immer wieder mit ihr haderte. Seine Bürokraten-Satire "Ole Bienkopp" (1963), einer der meistgelesenen Romane der DDR, und die Stalinismus-Kritik "Der Wundertäter III" (1980) wurde von der offiziellen DDR-Literaturkritik scharf kritisiert.

Deutschland  Stefan Heym
Stefan Heym 1983Bild: picture-alliance/AP Images/E.Reichert

Zum späteren Hauptwerk gehört die stark autobiografisch geprägte Trilogie "Der Laden" (1983-1987-1992), nach der Wende in Ostdeutschland ein Bestseller. Der sorbische Autor schildert darin das Dorfleben in der Lausitz, im letzten Band die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Strittmatter wurde von der offiziellen DDR-Literaturkritik zwar immer wieder attackiert, ist aber dennoch fünffacher Nationalpreisträger. Nach der Wende wurde bekannt, dass er von 1958 bis 1964 als Geheimer Informant der Staatssicherheit gearbeitet hatte.
Stefan Heym (1913-2001)

Stefan Heym gehört zu den Schriftstellern, die sich nach ihrer Rückkehr aus dem Exil für ein Leben in der DDR entschieden. 1935 war der jüdische Journalist in die USA emigriert und hatte in New York seinen ersten Roman veröffentlicht. Als überzeugter Sozialist und Antifaschist verließ er Amerika 1952 und übersiedelte in die DDR. Doch auch dort wurde das Schreiben schwierig für ihn. Als sein Buch über den Aufstand des 17. Juni nicht veröffentlicht werden durfte, geriet der streitbare Publizist 1956 in Konflikt mit der Partei. 1965 erhielt er ein generelles Publikationsverbot. Er veröffentlichte im Westen und wurde dafür prompt abgestraft. Kein anderer Schriftsteller wurde so intensiv von der Stasi überwacht wie Heym. Selbst seine in einem Safe verwahrten Tagebücher wurden von den Sicherheitsbehörden gelesen.

Durch die kulturpolitischen Lockerungen konnte 1972 in kleiner Auflage sein "König David Bericht" erscheinen. Für viele Leser war der Roman, der sich mit Macht und Machtmissbrauch auseinandersetzt, eine Sensation. Doch ab 1974 konnte Heym seine Bücher nur noch im Westen veröffentlichen. 1976 gehörte er nicht nur zu den Unterzeichnern des Protests gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, er hatte das Schreiben mit formuliert. Das und die West-Publikationen führten 1979 zu seinem Ausschluss aus dem Schriftstellerverband. Auch während und nach der Wende blieb sich der politische Intellektuelle treu. Heym trat weiter für einen besseren Sozialismus ein.

Hermann Kant - 1977
Hermann Kant zu Besuch auf der Frankfurter Buchmesse 1977Bild: picture-alliance/dpa Porträtdienst

Hermann Kant (1926-2016)

Auch der in Hamburg geborene Hermann Kant ging nach seiner Kriegsgefangenschaft 1949 als überzeugter Antifaschist in die DDR. Er trat der SED bei. Sein 1965 erschienener Roman "Die Aula" blieb auch gleich sein Hauptwerk. Mit ironisch-satirischem Unterton beschreibt Kant darin die Erlebnisse an einer Arbeiter- und Bauernfakultät. Der Roman, der das Thema "Bildungsrevolution in der DDR" umkreist, machte ihn in der DDR sehr populär und auch in der Bundesrepublik bekannt.

Kant war langjähriger Vorsitzender des DDR-Schriftstellerverbands. 1986 wurde er Mitglied des SED-Zentralkomitees - und damit auch zum einflussreichen Funktionär und Kulturpolitiker des Landes. Sein zweiter Roman "Das Impressum" (1972), eine Art Fortsetzung der "Aula", wurde selbst von DDR-Kritikern als zu harmlos und fern der gesellschaftlichen Realität bezeichnet.

In den neunziger Jahren wurde Kant beschuldigt, inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen zu sein. Er wehrte sich juristisch gegen den Vorwurf. Die Spitzeltätigkeit konnte ihm nie nachgewiesen werden. Hermann Kant blieb eine der umstrittensten Figuren der DDR-Literatur.

Christa Wolf
Christa Wolf bei einer Veranstaltung 1983Bild: picture-alliance/akg-images

Christa Wolf (1929-2011)

Christa Wolf war nicht nur die populärste Schriftstellerin der DDR, sie zählt zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart. Ihr umfangreiches erzählerisches Werk wurde in alle Weltsprachen übersetzt und mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter schon 1980 mit dem Georg-Büchner-Preis, später dem Thomas-Mann-Preis und dem Uwe-Johnson-Preis.

1949 trat Christa Wolf in die SED ein. Sie arbeitete als Verlagslektorin, ab 1962 als freie Autorin. Ihr erster großer Erfolg "Der geteilte Himmel" (1963) zeigt jüngere, intellektuelle Menschen, die sich nach dem Mauerbau in der abgeschlossenen DDR sowohl im Beruf als auch im Privaten bewähren müssen. Das Buch gehört zu den meist diskutierten der DDR-Literatur. Ihre anfängliche Euphorie über die neue DDR-Gesellschaft wich in späteren Werken einer kritischen Solidarität. "Nachdenken über Christa T." (1968), "Kindheitsmuster" (1976), "Kein Ort. Nirgends" (1979), "Kassandra" (1983) oder "Störfall" (1987) wurden auch im Westen viel gelesen und diskutiert.

Christa Wolf gehörte 1976 zu den Mitunterzeichnern des "offenen Briefs gegen die Ausbürgerung" Wolf Biermanns, sie wurde mit einer Rüge abgestraft. Trotzdem konnte sie weiter auf Lesereise gehen, nach Paris und in die USA reisen. 1980 wurde sie in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. 1989 trat die weltbekannte Schriftstellerin aus der SED aus, hielt aber noch 1990 eine Reform des Sozialismus unter anderer Führung für möglich.

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Brigitte Reimann im Jahr 1962Bild: picture-alliance/dpa/Lydia Goguel/Literaturzentrum Neubrandenburg

Brigitte Reimann (1933-1973)

Reimann gehörte nicht zu den herausragenden Intellektuellen der DDR-Literatur, doch ihr 1974 postum veröffentlichter Roman über die junge, idealistische Architektin "Franziska Linkerhand" machte Furore. Die unangepasste, aufmüpfige Autorin schreibt über seelenlose Plattenbausiedlungen, das Scheitern von "Neustadt" - eine Provinzstadt wie "Hoy" (Hoyerswerda), wo Reimann eine Zeit lang gelebt hat. Orte wie "geschminkte Leichen", in denen Träume zerrinnen und das Leben erstickt.

Über 600 Seiten umfasst der Roman und ist doch Fragment geblieben. Die Autorin erlag einem Krebsleiden, ehe sie ihn vollenden konnte. In der DDR wurde das Buch nur um viele kritische Passagen gekürzt veröffentlicht. Der Roman mit seinem subjektiven Blick und wütendem Erzählton war trotzdem ein Novum in der DDR-Literatur. 1981 drehte die DEFA einen Film nach Motiven des Werks unter dem Titel "Unser kurzes Leben". 30 Jahre nach dem Mauerfall hat das Deutsche Theater in Berlin den Roman als Drama auf die Bühne gebracht.

Jurek Becker, Schriftsteller
Der erfolgreiche Drehbuchautor Jurek BeckerBild: Imago/United Archives

Jurek Becker (1937-1997)

Jurek Becker wurde in Łódź in Polen geboren, wo ein Drittel aller Stadtbewohner Juden waren - wie auch seine Familie. 1939, mit zwei Jahren, kam er ins Ghetto, mit fünf ins Konzentrationslager. Er und sein Vater waren die einzigen aus seiner ganzen Familie, die das KZ überlebten, am Ende in Wusterhausen bei Berlin. Ab 1945 lebte er in Ost-Berlin, später unter anderem in einer Wohngemeinschaft mit dem Jazz-Sänger und Schauspieler Manfred Krug. Becker arbeitete erfolgreich als Drehbuchautor für die DEFA.

Sein bekanntester Roman, "Jakob der Lügner" von 1969 ist die Geschichte von Jakob Heym, der im Ghetto einer polnischen Stadt ein Radio erfindet, um seinen Mitgefangenen mit Nachrichten von der bevorstehenden Befreiung Hoffnung zu schenken. 1970 wird der Roman im westdeutschen Luchterhand Literaturverlag veröffentlicht und anschließend in 24 Sprachen übersetzt. Die Akademie der Künste der DDR ehrt den Autor 1971 mit dem Heinrich-Mann-Preis. 1974 verfilmte der bekannte Regisseur Frank Beyer den "Jakob" für die DEFA, das Ergebnis wird 1975 sogar als "Bester ausländischer Film" für den Oscar nominiert.

Beckers zweiter Roman "Irreführung der Behörden" erschien 1972 in Rostock und ein Jahr später im westdeutschen Suhrkamp-Verlag. Trotz allen Erfolgs wurde Jurek Becker, der seit den 50er-Jahren mit Wolf Biermann befreundet war, aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er den an die DDR-Führung gerichteten Appell unterschrieben hatte, Biermanns Ausbürgerung zu überdenken. Das kam einem Berufsverbot gleich. 1977 ging Jurek Becker deshalb in den Westen. Für seinen Freund Manfred Krug schrieb er die Drehbücher für vier von fünf Staffeln der Serie "Liebling Kreuzberg". 1997 starb der längst zur gesamtdeutschen Kulturgröße gewordene Autor an Krebs.