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Angela Merkels Käseglocke

21. Juli 2010

Es ist schon Tradition, dass sich die Bundeskanzlerin mit einer Pressekonferenz in den Sommerurlaub verabschiedet. Wie sie dabei auftritt, lässt auch Rückschlüsse auf den Gemütszustand der Regierungschefin zu.

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Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Das Berliner Regierungsviertel wird gerne als Käseglocke beschrieben. Politiker und Journalisten, so das Bild, lebten darunter ohne viel Kontakt zur Außenwelt und kreisten umeinander. Bei der Sommer-Pressekonferenz der Bundeskanzlerin konnte man eher den Eindruck gewinnen, dass es zwei Käseglocken gibt: Eine, unter der sich die Politikerin Angela Merkel aufhält, und eine, unter der die Journalisten sich tummeln.

In der Wahrnehmung der Medien ist die Kanzlerin umgeben von Streit, ungelösten Problemen und einem rapiden Vertrauensverlust der Wähler - und genau danach fragten die Journalisten sie auch. Die Kanzlerin bestätigte zwar, dass turbulente Monate hinter ihr liegen, sieht aber viele Probleme gelöst, andere auf gutem Weg zu einer Lösung, und erwartet, dass sich die Stimmung im Volk auch wieder bessert.

Zum Streit zwischen den Koalitionspartnern sagt die Kanzlerin: Ja, der Umgangston war nicht akzeptabel, und deshalb sind die Umfragewerte auch gesunken, weil die Wähler das nicht mögen. Aber die Koalition habe sich nun zusammengerauft. Und im Übrigen könne kein Industrieland der Welt die gravierenden Probleme lösen, die durch die Bankenkrise entstanden sind, ohne dass es dazu eine breite Diskussion gebe. Das müsse man akzeptieren.

Und wenn kurz hintereinander mehrere wichtige Politiker ihrer Partei die Ämter verlieren oder aufgeben, sehen die Medien darin ein Problem für die Kanzlerin, die Kanzlerin selbst aber nicht. Früher habe sie oft den Vorwurf gehört, Politiker klebten an ihren Sesseln. Wenn nun manche nach Jahrzehnten in der Politik mal etwas anderes machen wollten, gut so. Im Übrigen stünden genügend fähige Nachwuchskräfte für die Aufgaben bereit.

Ja, es sind zwei verschiedene Wahrnehmungswelten: Medien, die eine Regierung im Sturzflug der Umfragewerte sehen und keine Anzeichen der Besserung wahrnehmen können, und eine Kanzlerin, die vor allem sieht, dass Deutschland besser als viele andere Länder durch die Krise gekommen ist - dank ihrer Politik natürlich. Die Wirklichkeit liegt wohl dazwischen.

Eines aber, das zeigte diese Pressekonferenz auch, haben Kanzlerin und Hauptstadtkorrespondenten gemeinsam: Sie sind zu Beginn dieser politischen Sommerpause ungewöhnlich urlaubsreif. Die Kanzlerin war nicht so locker und witzig wie bei früheren Sommer-Pressekonferenzen. Und wo ihr doch mal ein Scherz gelang, sprang der Funke nicht über, gab es statt eines befreienden Lachens nur ein müdes Schmunzeln. Ob nun unter einer oder zwei Käseglocken: Die letzten Monate waren für alle kräftezehrend.

Autor: Peter Stützle
Redaktion: Kay-Alexander Scholz