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Amateurfußball: "Aufgeben ist keine Option"

16. November 2020

Fußball-Profis spielen, Amateure nicht. Wann die unteren Ligen ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen können, ist weiter unklar. Durch die Zwangspause fehlen große Teile der Einnahmen, während die Kosten weiterlaufen.

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Deutschland Dinslaken | Kreisliga A | Amateurfußball
Bild: Lars Baron/Getty Images

Normalität ist momentan ein Fremdwort. Der Spielbetrieb ruht. Auch auf der Facebook-Seite des FC Hennef 05, dem Tabellenführer der Mittelrheinliga, geht es anders als normalerweise zu. Statt von Toren, Siegen und Niederlagen liest man Danksagungen an Partner, die in der aktuellen Situation helfen. Oder es gibt Statements zum aktuellen Corona-Lockdown. Und dann ist da noch das Video mit der lokalen Musikgröße Björn Heuser, der normalerweise bei Heimspielen des 1. FC Köln vor 50.000 Zuschauern im ausverkauften Stadion singt. Titel: "Zweite Woche Lockdown, aber wir lassen uns nicht unterkriegen." "Lockdown", "weitermachen", "nicht unterkriegen lassen" - diese Sprache hat gerade im Amateurfußball Hochkonjunktur.

Dass der Sport derzeit ruht, bedeutet, dass neben den Spielen von der Jugend bis zur ersten Mannschaft auch das Training ausfallen muss. Die von der Regierung erlassenen Maßnahmen machen Team-Training im ganzen Land aktuell unmöglich. "Für unsere Kinder und Jugendlichen ist das eine Katastrophe", sagte Michael Pütz, Leiter des Nachwuchszentrums beim Fünftligisten, dem "Rhein-Sieg-Anzeiger" und fordert ein Umdenken der Politik bezüglich der Trainingsmöglichkeiten, notfalls auch mit Einschränkungen: "Die Umkleidekabinen könnten geschlossen bleiben und zur Not würden wir auch wieder kontaktloses Training anbieten - so wie zu Beginn der Pandemie." 

Numic: Sehe bis März keinen Spielbetrieb

Kompromissbereitschaft seitens der Vereine scheint nahezu überall vorhanden: Hauptsache kein Stillstand, der Tausende von Amateurklubs bedroht. Die Situation ist überall ähnlich wie in Hennef. So auch in Berlin beim SV Tasmania, dem Nachfolgeverein des berühmten SC Tasmania 1900 Berlin, der in der Bundesliga-Saison 1965/66 mit nur acht Punkten und einem Torverhältnis von 15:108 das bis heute schlechteste Abschneiden in der deutschen Eliteliga hinlegte.

"Unsere erste Mannschaft befindet sich derzeit im privat organisierten Einzeltraining", sagt der 1. Vorsitzende des Klubs, Almir Numic, der sich bemüht, den Optimismus nicht zu verlieren. "In Deutschland geht es uns im Vergleich zu anderen Ländern gut. Wir alle sind mit der Situation nicht happy, aber wir müssen das akzeptieren und damit umgehen."

SV Tasmania Berlin, Almir Numic
Seit Frühjahr 2020 leitet Almir Numic die Geschicke beim SV Tasmania BerlinBild: A. Numic/Tasmania Berlin

Auch für Numic persönlich ist die Situation wie eine Vollbremsung bei voller Fahrt. Der Unternehmer, der hauptberuflich in Berlin eine Reinigungsfirma betreibt, hat seine Aufgabe als Klubchef erst im Frühjahr 2020 angetreten. Er trieb von Beginn an vieles voran, tauschte das Trainerteam, schuf neue Jugendmannschaften, ließ das Stadion auf Vordermann bringen. Und auch sportlich lief es blendend: Tasmania ist Tabellenführer der NOFV-Oberliga Nord und freute sich auf das Spitzenspiel bei Verfolger FC Greifswald, als der "Lockdown light" verhängt wurde und im Amateurfußball bis mindestens Anfang Dezember alles stoppte.

"Wir hoffen, dass wir bald wieder spielen können. Aber realistisch betrachtet sehe ich uns erst Mitte März wieder im Spielbetrieb. Das würde uns vor große Herausforderungen stellen, aber unterkriegen lassen ist keine Option. Dafür haben wir in den letzten zehn Monaten im Verein viel zu viel bewegt und erreicht", sagt Numic und betont, dass man trotz fehlender Einnahmen und nahezu gleichbleibenden Kosten in erster Linie auf die eigenen Möglichkeiten und erst danach auf Hilfen von Seiten der Politik schaue. "Wir arbeiten daran, eine Aktion mit virtuellen Eintrittskarten, die uns Erlöse bringen, auf die Beine zu stellen", erklärt Numic. 

Dennoch blickt auch Tasmania in eine ungewisse Zukunft, wenngleich der Klub aus der Hauptstadt offenbar noch verhältnismäßig gut aufgestellt ist. "Uns würde es sehr helfen, wenn wenigstens die Fixkosten vom Staat getragen würden", sagt Numic. Ein Gehaltsverzicht sei derzeit kein Thema - weder bei Spielern, noch bei anderen Angestellten. "Mein Team hält sich tapfer und die haben Verständnis dafür, dass wir was gegen diese Pandemie tun müssen, obwohl Fußball im Freien bis jetzt wenig mit Infektionen zu tun hatte." 

Saison noch nicht abgeschrieben  

Auch wenn Sport unter freiem Himmel kein Infektionstreiber ist, hat Michael Pütz vom FC Hennef 05 "überhaupt nichts dagegen einzuwenden", dass derzeit der Spielbetrieb ruht. Er hält die Maßnahmen "im Kampf gegen die Corona-Pandemie sogar für notwendig". Ihn stört vielmehr das Trainingsverbot, die Rückkehr zu den Übungseinheiten hat für Pütz deshalb oberste Priorität.

Auch Tasmania-Vorstand Almir Numic wünscht sich eine schrittweise Rückkehr zur Normalität: Erst Training, dann Spielbetrieb. Einen Aufstieg am grünen Tisch will der Vorsitzende des Tabellenführers jedenfalls nicht: "Wir haben einen guten Start hingelegt, ich möchte nicht durch eine Quotenregelung hoch und ich wünsche mir, dass wir wenigstens die Hinrunde spielen können, wenn es schon die gesamte Saison nicht geht."

Der regionale Verband sieht das Szenario einer komplett abgebrochenen Saison noch weit entfernt. "Trotz der enormen Anforderungen an die Vereine, die durch erhöhten Terminaufwand entstehen: Bis zum 30. Juni 2020 sind es noch über sieben Monate Zeit", sagt Johannes Fritschen vom Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV). Wie andere Regionalverbände setzt man sich auch beim NOFV dafür ein, dass der Trainingsbetrieb auch während des Teil-Lockdowns wieder zugelassen wird.  

Trotz DFB-Pokal-Einnahmen unter Druck 

Als der Ball noch rollte, freute man sich beim 1. FC Düren über die zwei wohl größten Spiele der Klubgeschichte: Im Finale des Mittelrheinpokals 2019/20 besiegte der Außenseiter den ehemaligen Bundesligisten Alemannia Aachen mit 1:0. Ein Triumph, der zur Teilnahme im DFB-Pokal berechtigt, in dem Düren sich über das Traumlos Bayern München freuen durfte. Für den erst 2017 gegründeten Klub ging das größte Spiel der Geschichte gegen den Rekordpokalsieger trotz einer achtbaren Leistung mit 0:3 verloren, doch die TV-Einnahmen aus der Partie, die live von der ARD übertragen wurde, sind für einen Fünftligisten ein unverhoffter finanzieller Zugewinn.

1. FC Düren I Kevin Teichmann
Dürens Sportdirektor Dirk Ruhrig vor dem DFB-Pokalduell beim FC BayernBild: FC Düren/Kevin Teichmann

Doch können auch diese Zusatzeinnahmen nicht alles kompensieren. "Das ist nur ein Bruchteil des Etats", sagt Dürens Sportdirektor Dirk Ruhrig. "Ein Saisonabbruch kann damit alleine nicht aufgefangen werden." Dennoch wäre der 1.FC Düren auch im Falle eines Komplettabbruchs laut Ruhrig nicht akut existenzbedroht, was auch an Einsparungen durch Gehaltskürzungen liegt, die es beim 1. FC Düren seit der Unterbrechung des Spielbetriebs gibt. Laut Dirk Ruhrig sei die Situation weder beim 1. FC Düren, noch im gesamten Amateurfußball, "dramatisch". 

Länder fordern unbürokratische Hilfe 

Doch ernst ist die Situation in jedem Fall. Um die Existenz des Amateurfußballs dauerhaft zu sichern, will die Politik nun weitere Maßnahmen auf den Weg bringen. Die Sportminister der 16 Bundesländer forderten den Bund jüngst auf, in einem gemeinsamen Beschluss auf, die im November unter anderem für Unternehmen entwickelten außerordentlichen Wirtschaftshilfen unbürokratisch auch für den Sport zugänglich zu machen.

"Die Pandemie verlangt den Vereinen auf allen Ebenen viel ab, für manche ist sie existenzbedrohend", sagte der rheinland-pfälzische Sport- und Innenminister Roger Lewentz (SPD) vergangene Woche bei der 44. Sportministerkonferenz (SMK) und sprach von "unbürokratische Hilfe", die der Amateurfußball brauche. Eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs in diesem Jahr erscheint für den Amateurfußball aktuell unrealistisch.

Dass die baldige Rückkehr zum Trainingsbetrieb für Amateure und Jugend und finanzielle Hilfen für den Amateurfußball notwendig sind, scheint Konsens zu sein.  

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion