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Am Frau Gül Keskinler

27. April 2007

Die 43jährige ist Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußball Bundes. Als Kind kam sie mit ihrer Familie 1970 aus Istanbul ins Rheinland. Seit zehn Jahren hat die Mutter zweier Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit.

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Bild: picture-alliance/ dpa

Wo sind sie denn öfter, hier beim DFB oder auf dem Fußballplatz?

Ich bin immer mehr auf dem Fußballplatz, weil auch ich inzwischen schon sehr euphorisch bin, was Fußball gucken angeht. Vergangenen Sonntag war ich in Köln und als Rheinländerin hängt mein Herz immer noch beim 1. FC Köln und das letzte Spiel war nicht so erfolgreich.

Aber sie sind auch durch ihre Kinder auf dem Fußballplatz!

Ich habe alle Jobs durchlaufen, die Mütter so durchlaufen, wenn sie einen kleinen Jungen zu Hause haben, der schon ab 5 Jahren in einem Fußballverein ist. Wochenenden in diversen Turnhallen, oder Sporthallen zu verbringen, Kuchen zu verkaufen, Sommerfeste zu arrangieren und, und, und...

Das deutsche Wirtschaftswunder - nur mit Hilfe der rund 5 Millionen Gastarbeiter war es möglich. Viele sind bis heute geblieben – und ihre Nachkommen sind häufig Grenzgänger zwischen den Kulturen.

Was ist denn für Sie, was ist denn für DFB "Integration"?

"Integration" ist, sich auszusprechen, sich kennen zu lernen, mehr voneinander zu erfahren, sich gegenseitig zu respektieren. Aber auch zuzulassen, mir ein Stück sich zu nähern.

Zum Beispiel habe ich jetzt mehrfach die Anfrage von verschiedenen Vätern bekommen, dass ihre Kinder, weil sie so erzogen werden, weil sie nach der Tradition oder wegen ihres Glaubensbekenntnis nicht nackt duschen sollten nach dem Training oder nach dem Spiel.

Was empfehlen Sie in solchen Fällen? Mit Badehose duschen oder ohne?

Mit Badehose zu duschen! Jeder muss die Freiheit bekommen, sich so zu waschen, wie er das möchte. Ich denke, es gibt kein Problem, was nicht gelöst werden kann.

Haben Sie und der DFB mal einfach sich darauf geeinigt, was wollen Sie gemeinsam erreichen?

Erreichen wollen wir, dass die Zugewanderten stärker qualifiziert werden für das Ehrenamt. Sprich, Kinder- und Jugendtrainer, oder aber auch Schiedsrichterausbildung, damit sie Partner auf gleicher Augenhöhe sind.

Das klingt ein bisschen nach "in die Verantwortung nehmen".

Genau so ist es! Nicht nur, dass wir Konzepte entwickeln, wo das Zusammenleben stärker stattfindet. Sondern auch dass die Zugewanderten mehr Verantwortung übernehmen und mit dabei sind. Also wer Entscheidungen treffen möchte, muss auch Verantwortung und auch Arbeit übernehmen.

Gibt es Vorbilder? Gibt es in anderen Ländern ‚Integrationsbeauftragte‘?

Nein, sehen sie. Das ist auch sehr interessant. Ich habe sogar Anfragen aus Israel bekommen, aus dem Fußballverband dort, nach welchen Kriterien ich ernannt worden bin. Denn sie würden auch so eine Position schaffen.

Also nicht nur die westeuropäischen Länder wie Holland oder Belgien, Frankreich. Sondern dass die Anfrage aus Israel kam, war für mich überraschend.

Wenn sie rechtsmotivierte Gewalt in Stadien beobachten, wenn sie beobachten, dass ausländische Spieler beschimpft werden, mit Affenrufen verunglimpft werden. Was fühlen sie dabei?

Das tut mir weh. Wir dürfen keine Äußerungen zulassen, die die Würde des Menschen, egal woher er kommt und welche Veranlagung er hat, antasten. Alle Verantwortlichen auch in den Stadien, egal ob es die Begleiter sind oder Betreuer, müssen aufmerksam darauf reagieren, was passiert

Wie müssen wir denn damit umgehen, denn die Angst vor dem Fremden steckt ja eigentlich in jedem Menschen.

Erst mal das als etwas Natürliches annehmen. Das ist in jedem Land, dass man Ängste vor Überfremdung hat. Und auf der anderen Seite müssen wir offensiv mit dem Thema umgehen. Alles, was nicht ausgesprochen wird und angesprochen und durchgearbeitet wird, bringt Gefahr mit sich.

Fünf von den sechs deutschen WM-Stürmern haben ausländische Wurzeln. Und vier sind sogar im Ausland geboren.

Im Zusammenleben von Ausländern und Deutschen hatten wir, meiner Meinung nach, noch nie so ein Kernerlebnis wie das während der WM 2006. Plötzlich haben alle Menschen in Deutschland für die deutsche Nationalmannschaft gejubelt, haben auf der Straße gemeinsam gefeiert. Schafft die Politik so etwas nicht?

...deshalb finde ich auch das Medium Fußball besonders interessant in der Integrationsarbeit. Wenn es politisch wird, dann gehen die Meinungen auseinander und da kommen die Weltansichten hinein und so weiter. Aber bei der WM war es so, dass wir uns täglich zu einer gesamten Nation entwickelt haben und auch die Zugewanderten die deutsche Fahne als ihre eigene aus ihren Fenstern rausgehängt haben.

Welches Zeugnis würden Sie Deutschland im Fach Integration ausstellen?

Ein gutes... ich fühle mich sehr wohl hier in Deutschland und es ist meine Heimat, es ist die Heimat meiner Kinder. Und ich sehe soviel Potential hier in diesem Land, wir müssen nur dafür sorgen, dass kein Kind aus den Zuwandererfamilien verloren geht. Sie sind die Zukunft Deutschlands, sie sind keine türkischen Kinder, keine italienischen, keine marrokanischen Kinder. Es sind Kinder dieses Landes und ich werde hauptamtlich und ehrenamtlich alles dafür tun, dass diese Kinder dann auch wirklich ein Teil dieser Gesellschaft werden.