Alternative Wege zum Deutschlernen
Flüchtlinge und Migranten, die Deutsch lernen wollen, können aus vielen Angeboten wählen. Der Berliner Verein „GIZ“ geht neue Wege, nicht nur bei der Wahl der Lernorte.
„Hallo, guten Tag, ich heiße Hanim Etac. Mir macht es Spaß, Deutsch lesen, Deutsch lernen, sprechen. Und reden zu lernen. Ich fühle mich gut. Danke für den Kurs. / Ich heiße Daniel. – Woher kommen Sie? – Ich komme aus Syrien. – Seid wann sind Sie in Deutschland? – Seit zwei Jahren. – Wo wohnen Sie? – Ich wohne in Borken. – Wie alt sind Sie? – Ich bin 80 Jahre alt.“
Menschen wie Daniel, die vor Krieg und Terror nach Deutschland geflohen sind, aber auch Menschen wie Hanim Etac, die als Migranten in Deutschland leben, müssen sich nicht nur an eine neue Kultur gewöhnen, sondern auch an eine ihnen völlig fremde Sprache. Besonders denjenigen, die aus islamisch geprägten Ländern kommen, fällt die Eingewöhnung nicht leicht. Den Zugang erhalten sie in der Regel über die deutsche Sprache. Verschiedene Bildungsträger bemühen sich, diesen Menschen die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern. Zu ihnen gehört auch der Berliner Verein „Gesellschaft für interkulturelles Zusammenleben“, kurz „GIZ“, – nicht zu verwechseln mit der „GIZ“, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Bonn. Im Berliner Verein entstand 2012 die Idee für das Projekt „ABCami“, Alphabetisierung und Bildung an Moscheen. „Cami“ ist das türkische Wort für „Moschee“. Britta Marschke , promovierte Erziehungs- und Islamwissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Vereins GIZ begründet, warum man sich für den Lernort Moschee entschieden hat:
„Da wir davon ausgehen, dass der Lernort beim Lernen eine sehr wichtige Funktion hat. An einem Ort, an dem ich mich wohl fühle, an dem ich mich zuhause fühle, lerne ich anders und lerne ich mit einer anderen Motivation, nämlich der intrinsischen Motivation, – und kann [deshalb] auch in den meisten Fällen wesentlich bessere Lernerfolge erreichen.“
Der Verein nutzt Erkenntnisse aus der Lernpsychologie. Menschen, die mit Spaß und Freude und in einer ihnen vertrauten Umgebung lernen, lernen leichter. Sie tun es aus einer inneren, einer intrinsischen, Motivation. Das gilt auch für diejenigen, die zum Deutschunterricht für Flüchtlinge und Migranten in die Berliner Dar-Assalam-Moschee kommen. Die Moschee ist für viele inzwischen so etwas wie ein zweites Zuhause – auch für Muataz, der aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist:
„Ich komme schon lange zum Beten in diese Moschee. Aber ich will auch Deutsch lernen. Als ich dann erfahren habe, dass es hier auch einen Sprachkurs gibt, hab ich mich sehr gefreut.“
Nicht nur beim Lernort, sondern auch bei der Lernmethode verfolgt der Verein GIZ, wie Britta Marschke erläutert, einen eigenen Weg:
„Unser Konzept bei dem Projekt ABCami ist eine kontrastive Alphabetisierung. Das bedeutet, wir beziehen die Muttersprache der Lernenden explizit mit ein. Wir gehen von Gemeinsamkeiten aus, aber wir thematisieren eben auch explizit die Unterschiede. Und in diesem Kontrast lernen die Teilnehmenden leichter die deutsche Sprache und auch das Lesen und Schreiben auf Deutsch.“
Der Unterricht findet zwar auf Deutsch statt, allerdings nach der kontrastiven, der vergleichenden und gegenüberstellenden, Lehrmethode. So werden ausdrücklich, explizit, bestimmte Schwierigkeiten aus der Muttersprache mit eingewoben, beispielsweise die unterschiedliche Aussprache bei „s“ und „z“ in den verschiedenen Sprachen. Voraussetzung ist natürlich, dass auch die Lehrkräfte über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Die „Gesellschaft für interkulturelles Zusammenleben“ wollte hier, so Britta Marschke, „auf Augenhöhe mit den Moschee-Gemeinden zusammenarbeiten“ – mit gutem Ergebnis, wie sie sagt:
„Wir haben in all den Gemeinden, in denen wir arbeiten, Personen finden können, gut ausgebildete Musliminnen und Muslime, die Studienabschlüsse im pädagogischen oder im linguistischen Bereich haben und die wir jetzt einsetzen in dem Unterricht. Das heißt, wir kommen nicht in die Moschee und sagen: ‚Wir sagen euch, wir ihrs machen sollt und wir bringen auch noch jemanden mit, der das macht‘, sondern wir sagen: ‚Habt ihr jemanden, den ihr weiterqualifizieren könnt.“
Auf Augenhöhe, auf gleicher Ebene, mit den Lernenden zu stehen – das ist das Anliegen. Das Projekt wird gefördert vom Ministerium für Bildung und Forschung, BMBF. Bundesweit beteiligen sich daran derzeit 30 Moscheen in acht Bundesländern. Regelmäßig wird überprüft, ob die im Sinne der Verwendung der Fördergelder abgeschlossenen Verträge auch erfüllt werden. Die Verträge werden direkt mit den jeweiligen Gemeinden geschlossen und nicht mit den Dachverbänden. Das ermöglicht es, einen Vertrag aufzulösen, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt. Das Projekt wurde inzwischen auch auf christlich-orthodoxe Kirchengemeinden ausgedehnt. Gestartet wurde mit zunächst zwei Gemeinden in Berlin und in Nordrhein-Westfalen. Aber das, so Britta Marschke, sei erst der Anfang:
„Wir sind angesprochen worden vom Zentralrat der Orientalischen Christen, der uns darauf aufmerksam gemacht hat, dass ungefähr ein Viertel der zu uns geflohenen Menschen aus Syrien Christen sind, die dann eben in den Moscheen weniger einen Platz für sich sehen, alphabetisiert zu werden.“
Der Zentralrat der Orientalischen Christen, ein 2013 gegründeter gemeinnütziger Verein, vertritt in Deutschland nach eigenen Angaben die Interessen von Christen aus dem Nahen Osten, Afrika und Asien – und auch die von Christen, die vor dem Bürgerkrieg aus Syrien geflüchtet sind. Diese fühlen sich in einer Kirche wohler als in einer Moschee, sie sehen ihren Platz dort. Keine Bedeutung hat allerdings das Geschlecht. Obwohl etwa 80 Prozent der Lernenden weiblich sind, hat Britta Marschke eine interessante Beobachtung gemacht:
„Dass wir gerade in den Kursen für die geflüchteten Menschen, also in unseren deutsch-arabischen Kursen, sehr viele gemischte Kurse haben. Dort spielt es keine Rolle, ob Männer und Frauen gemeinsam in einem Kursraum sitzen, sondern dort ist es so, dass die Männer und die Frauen zusammen die Flucht durchgestanden haben. Und es für sie vor allen Dingen darum geht, Deutsch zu lernen, und sie froh sind über jedes Angebot.“
In den Kursen zählen keine traditionellen Geschlechterrollen. Männer und Frauen lernen gemeinsam, es gibt gemischte Kurse mit einem gemeinsamen Ziel: die deutsche Sprache lesen, schreiben und sprechen zu lernen. Und das trifft nicht nur auf Menschen zu, die die Strapazen einer Flucht durchgestanden, ausgehalten, haben. Es trifft auch, so Britta Marschke, auf diejenigen zu, die als Migrantinnen und Migranten schon lange hier in Deutschland leben:
„Wir haben einen 80-jährigen Lernenden in einer syrischen Kirche, der sagt, er lebt seit 20 Jahren in Deutschland, und er hat es nicht geschafft, Deutsch zu lernen. Aber er will Deutsch lernen.“
Und dass die Menschen – egal ob Geflüchtete oder in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten, Christen oder Moslems, Frauen oder Männer – überhaupt bereit sind, Deutsch zu lernen, hat für den Berliner Verein GIZ, so Britta Marschke, oberste Priorität. Außerdem ist das Projekt, das Lesen und Schreiben auf Deutsch unter Einsatz der Muttersprache zu lernen, ein Modell, das auch auf Migranten-Organisationen allgemein übertragen werden kann.