Als Frau in der Politik
Wer als Frau vor allem in der Spitzenpolitik arbeiten möchte, muss sich nicht nur auf lange Arbeitszeiten einstellen. Konfrontiert wird man auch, so die Erfahrungen von Dorothee Bär, mit manchem Vorurteil.
„Meine Herren und Damen“ – mit diesen eigentlich simplen Worten, die Anlass zur Heiterkeit gaben, begann am 19. Februar 1919 eine Rede in der Weimarer Nationalversammlung Weimarer Nationalversammlung (f., nur Singular) das verfassunggebende Parlament der Weimarer Republik (es tagte von Februar 1919 bis Mai 1920 und löste sich dann auf) . Diese Rede sollte in die Geschichte eingehen – nicht nur wegen ihres Inhalts, sondern vor allem, weil sie von einer Frau gehalten wurde. Die Sozialdemokratin Marie Juchacz war die erste Politikerin, die zu den Abgeordneten eines demokratisch gewählten Parlaments in Deutschland sprach.
Zusammen mit 36 weiteren Frauen war sie bei der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 als Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt worden. Mehr als zwei Monate zuvor war erst das Frauenwahlrecht eingeführt worden. Betrug der Anteil der weiblichen Abgeordneten damals neun Prozent aller Delegierten sind es heute, fast 100 Jahre später, rund 31 Prozent. Mit dieser Quote lag Deutschland im Jahr 2017 nach der Wahl des neuen Bundestages im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld. An der Spitze stehen Länder wie Ruanda, Bolivien oder die skandinavischen Staaten.
Woran liegt das? Haben Frauen in Deutschland weniger Interesse an einer Tätigkeit in der Politik oder ist es für sie einfach schwieriger, als Frau in einem Männerumfeld zu bestehen? Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitales im Deutschen Bundestag, sieht verschiedene Gründe. Zum einen ist ihrer Meinung nach die Motivation sehr wichtig:
„Frauen müssen auch selber wollen. Politisches Engagement ist ja gut und schön. Da haben wir im ehrenamtlichen Bereich viel, aber im hauptberuflichen, wo wir nun mal einen Job haben, der gar nicht möglich ist, in Teilzeit zu arbeiten, sondern wo es immer Vollzeit ist und auch noch mehr als normal, ich sag mal zwischen 70 und 90 Stunden die Woche, das muss man schon wollen. Und grad mit kleinen Kindern.“
Wenn man hauptberuflich, in Vollzeit, als Politikerin tätig ist, muss man, so Dorothee Bär, mit langen Arbeitszeiten rechnen. Es ist mehr als normal. Denn eine „normale“ Arbeitswoche besteht – zumindest staatlich geregelt – aus einer 40-Stunden-Woche. Mit einer freiwilligen Tätigkeit, einem Ehrenamt, hat das nichts zu tun. Das Privatleben wird hinten angestellt. Das ist der zeitliche Aspekt. Es gibt aber laut Dorothee Bär noch einen weiteren Aspekt, nämlich die weibliche Selbsteinschätzung im Vergleich zur männlichen:
„Bei Frauen ist es ja grundsätzlich so: Da sind die zehn Voraussetzungen, die gefragt werden. Wenn ’ne Frau dann – in Anführungszeichen – ‚nur‘ acht von den zehn Kompetenzen hat, dann traut sie es sich nicht zu. Wenn ein Mann nur zwei von zehn hat, dann sagt er: ‚Pff, ist völlig wurscht, ich schaff das locker! Wird schon keiner merken‘.“
Männer sind in der Einschätzung ihrer Fähigkeiten deutlich selbstbewusster, meint Dorothee Bär. Sie gingen davon aus, alle Anforderungen locker zu schaffen, problemlos zu bewältigen, selbst wenn ihnen die eine oder andere Kompetenz fehlt. Das ist ihnen egal, es ist völlig wurscht. Der Unterschied der Geschlechter zeigt sich auch beim Thema Kinder. Hier haben mit etwas zu kämpfen haben sich starkem Widerstand gegenüber sehen Frauen – anders als Männer –mit mit etwas zu kämpfen haben sich starkem Widerstand gegenüber sehen Vorurteilen zu kämpfen mit etwas zu kämpfen haben sich starkem Widerstand gegenüber sehen , sagt Dorothee Bär:
„Es ist natürlich schon so, dass man gerade als junge Frau dann, wenn man keine Kinder hat, sehr stark erst mal begutachtet wird, so nach dem Motto: ‚Na ja, sie hat noch nicht mal Kinder. Die weiß überhaupt nicht, wovon sie spricht, kann man doch nicht ernst nehmen.‘ Und sobald man dann Kinder hat, kann man sie auch nicht mehr ernst nehmen, weil, dann hat sie ja Kinder. Also, das merkt man schon noch, dass dann Kollegen, die jetzt ’n Kind bekommen haben beziehungsweise deren Frauen, dass dann halt auf die Schulter geklopft wird, und dann heißt es dann eher: ‚Endlich mal ein Politiker, der was mit Hand und Fuß macht!‘“
Kinderlose Politikerinnen werden ebenso wie solche mit Kindern nicht ernst genommen, man traut ihnen bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen nicht zu. Haben Politikerinnen Kinder wird das sogar als Nachteil gesehen. Ihre Kinder werden bemitleidet, weil sie so wenig von der Mutter haben. Ganz anders, so Dorothee Bär, sieht das bei männlichen Kollegen mit Kindern aus. Sie werden gelobt, man klopft ihnen auf die Schulter. Ihnen wird signalisiert, dass sie ihre Sache gut gemacht haben, dass sie Hand und Fuß hat. Diese Vorurteile hat Dorothee Bär auch erfahren. Allerdings, so sagt sie, hat sie mit jedem ihrer Kinder dazugelernt:
„Man braucht schon ein sehr dickes Fell, und ich geb’ zu, dass mein eigenes Fell auch von Kind zu Kind dicker geworden ist. Das war beim ersten sicherlich auch nicht so dick wie es beim dritten dann der Fall war. Dass man dann jeden Spruch schon mal gehört hat und dementsprechend dann auch drauf reagieren kann.“
Als Mutter von drei Kindern hat Dorothee Bär inzwischen gelernt, sich von Negativkommentaren zu distanzieren. Sie ist dagegen unempfindlich geworden, hat ein dickes Fell bekommen. Denn sie hat jeden Spruch schon mal gehört, weiß, welche Kommentare gemacht werden. Mit zweierlei Maß mit zweierlei Maß messen redensartlich für: nicht dieselben Kriterien anwenden, nicht neutral urteilen wird ihrer Meinung nach auch beim Thema Macht gemessen mit zweierlei Maß messen redensartlich für: nicht dieselben Kriterien anwenden, nicht neutral urteilen :
„Wenn jetzt ’n Mann sagt: ‚Ja es macht Spaß und es ist auch schön, Macht zu haben und Dinge durchsetzen zu können‘, da regen sich immer alle ganz furchtbar auf. Wenn ’ne Frau so was sagt, dass es schön ist, Dinge durchzusetzen und eben auch Macht zu haben, weil ohne Macht können sie auch nichts durchsetzen, das ist bei ’ner Frau dann schon wieder was Anrüchiges, wenn so was gesagt wird.“
Hat eine Politikerin Macht, wird das als unmoralisch betrachtet. Es ist etwas Anrüchiges. Denn das entspricht nicht dem über Jahrtausende überlieferten Frauenbild, wonach Frauen eher eine untergeordnete Rolle spielen. Dabei haben Politikerinnen gegenüber ihren Kollegen sogar häufig einen Vorteil, weil sie andere Ansätze und eine andere Herangehensweise haben, sagt Dorothee Bär:
„Ich finde schon, dass grad, was bestimmte Themen betrifft, dass die Politik komplett unterschiedlich gemacht wird. Wir bieten natürlich auch als Frauen in der Politik die Möglichkeit, Ansprechpartnerinnen zu sein, die sie in männlichen Kollegen gar nicht finden würden. Ich sag nur mal so Themen wie ‚künstliche Befruchtung künstliche Befruchtung, -en (f.) umgangssprachlich für: ein Verfahren, bei dem eine Schwangerschaft nicht durch den Geschlechtsverkehr herbeigeführt wird ‘ oder ‚Unfruchtbarkeit Unfruchtbarkeit (f., nur Singular) die Unfähigkeit, sich fortzupflanzen des Mannes‘, wie viel zahlt die Kasse und, und, und. Also ich hab manchmal Themen, wo meine ganzen männlichen Kollegen sagen, so was ist uns noch nie untergekommen, was mich auch nicht wundert, weil man so was eben auch nicht mit einem Mann besprechen würde.“
In ihren Sprechstunden für Bürgerinnen und Bürger hat die Politikerin die Erfahrung gemacht, dass man mit ihr als Frau über bestimmte Themen eher spricht als mit einem männlichen Kollegen. Es kommt ihr eher unter. Ein Beispiel: das Thema Unfruchtbarkeit und die mögliche Übernahme der Kosten einer medizinischen Behandlung durch die Krankenkasse. Auch deshalb kann sie Frauen nur darin bestärken, politisch aktiv zu werden. Sie selbst ist sehr zufrieden, sich schon als Schülerin in sehr jungen Jahren dafür entschieden zu haben:
„Ich bin dankbar und sehr glücklich, dass ich tatsächlich meine Berufung so zum Beruf machen konnte.“