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Der Trümmer-Pianist: Aeham Ahmad im Interview

Rim Dawa / rf20. Dezember 2015

Der Pianist, der in den Trümmern eines syrischen Flüchtlingslagers spielte, wurde mit dem ersten Internationalen Beethovenpreis geehrt. Im DW-Gespräch erzählt Aeham Ahmad, warum er nach Deutschland geflüchtet ist.

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Aeham Ahmad (Foto: Rick Fulker)
Bild: DW/R. Fulker

DW: Warum sind Sie nach Ihrem Musikstudium an der Al-Baath Universität in Homs zum palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk bei Damaskus zurückgekehrt?

Aeham Ahmad: Ich hatte keine Wahl. Nach dem Beginn der Revolution 2011 wurde die Situation täglich schlimmer. Dann wurde eine Blockade über Jarmuk verhängt. Wir hatten keine Lebensmittel, keinen Strom, kein fließendes Wasser. Alles ist irrsinnig teuer geworden. Wir mussten sogar Katzen essen, um zu überleben. Menschen sind den Hungertod gestorben - auch einige meiner Freunde und Nachbarn. Indessen schaute die ganze Welt einfach zu, ohne wirklich zu handeln.

Die schwersten Zeiten für mich waren, als ich meinem Sohn Ahmad zusah, wie er vor Hunger weinte - und ich konnte nichts für ihn tun. Ich war machtlos. Mir schien, als ob ich nichts zu tun oder zu verlieren hätte. Der Tod schien unausweichlich. Deshalb habe ich mich entschlossen, ihm mit Würde zu begegnen und zu versuchen, mit meiner Musik das Leben der Lagerbewohner ein wenig aufzuhellen. Ich zog mein Klavier auf einem Karren auf die Straße. Dort spielte ich Lieder, die ich komponiert hatte und die von der Situation im Lager und in Syrien im Allgemeinen inspiriert worden waren - dort, wo Blutvergießen und Tod allgegenwärtig sind. Ich spielte Klavier und sang zusammen mit Freunden - auch mit Kindern. Zainab, ein süßes Mädchen, das mitgesungen hat - das Video kann man auf YouTube sehen - ist später durch einen Kopfschuss gestorben. Es ist sehr schmerzhaft, an sie zu denken.

Wie es dazu gekommen, dass Sie Syrien verlassen haben?

An meinem Geburtstag im vergangenen Mai wollte ich das Lager verlassen und an einem anderen Ort in der Nähe spielen. Ich zog den Karren mit meinem Klavier und erreichte einen Checkpoint. Dort hielt mich ein "IS"-Anhänger an und sagte: "Wissen Sie nicht, dass dieses Instrument verboten ist?" Dann hat er es einfach verbrannt. In jenem Moment ging nicht nur mein Klavier, sondern auch mein Herz in Flammen auf.

Dann habe ich den großen Entschluss gefasst, Syrien zu verlassen und nach Deutschland zu flüchten. Hier möchte ich die Stimme des Jarmuk-Lagers sein, etwas für Syrien tun und eine sichere Zukunft für meine Söhne gewährleisten: Ahmad, der drei Jahre alt ist, und Kinan, anderthalb Jahre.

Aeham Ahmad im Gespräch mit DW-Praktikantin Rim Dawa. (Foto: Rick Fulker)
Aeham Ahmad und Rim Dawa im GesprächBild: DW/R. Fulker

Meine Mutter hat mir die nötige Summe gegeben - rund 3000 Euro. Sie sagte mir: "Nimm das Geld einfach und verlasse das Land. Ich möchte nicht, dass dir das Gleiche wie deinem Bruder widerfährt." Mein Bruder wurde vor drei Jahren verhaftet und wir haben keine Ahnung, ob er lebt oder nicht.

Sie sind jedoch allein gefahren?

Ich hatte vor, Frau und Kinder mitzubringen, aber gottseidank sind sie erst später dazugestoßen, denn die Reise war sehr hart. Unterwegs sah ich, wie sogar starke Männer zusammengebrochen sind. Wir sind zunächst in die syrische Stadt Homs gekommen und hatten vor, über die Türkei und Griechenland nach Deutschland zu gelangen. In Homs wurde ich aber verhaftet und neun Tage interniert. Deshalb mussten meine Frau und meine Kinder zum Lager in Damaskus zurückkehren. Nach der Entlassung aus der Haft war ich vollkommen gebrochen, entschloss mich aber dann, alleine nach Deutschland weiterzureisen und später zu versuchen, meine Familie nachzuholen.

Wie war die Reise dann?

Der Seeübergang und die Fahrt durch die Türkei waren sehr gefährlich. Im Boot waren wir oft am Rande des Todes. Dennoch bin ich heil angekommen. Und ich möchte den Deutschen und ihrer Regierung danken, dass Sie uns wie Menschen behandelt haben. Nachdem ich in verschiedenen Unterkünften gelebt hatte, bin ich jetzt vorläufig in einem Heim nahe Gießen untergebracht worden. Deutschland hat Wunderbares für Flüchtlinge getan und tut das weiterhin. Dennoch muss ich erwähnen, dass das Verfahren sehr lange dauert. Die Leute, die in Syrien zurückgeblieben sind, sind in jeder Minute bedroht. Ich bitte nicht um Geld. Ich möchte nur, dass meine Dokumente schnell bearbeitet werden, damit ich eine Chance habe, meine Frau und Kinder hierher zu holen. Sie sind in Gefahr, und ich fühle mich schuldig, dass ich sie dort zurückgelassen habe.

Pianist Aeham Ahmad spielt in Syrien auf der Straße (Bild: Johannes-Wasmuth-Gesellschaft e.V./Niraz Saied)
Pianist Aeham Ahmad spielt in Syrien auf der StraßeBild: Johannes-Wasmuth-Gesellschaft e.V./Niraz Saied

Jetzt bekommen Sie den Beethoven-Preis. Was bedeutet das für Sie?

Beim Konzert zur Preisverleihung spiele und singe ich Lieder, die ich in Jarmuk geschrieben habe. Eines davon sang ich zusammen mit dem Mädchen, das später verstarb. Die Worte zu einem weiteren Lied hat mein bester Freund geschrieben. Er kam aus Gaza. Auch er ist umgekommen. Ein anderes Lied widme ich meinem engen Freund Zakaria Al-Khatib, dessen Frau bei der Geburt ihres ersten Sohnes verstarb. All diese Lieder rufen tiefe, gemischte Gefühle in mir hervor: bittere und süße Erinnerungen an Syrien.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich möchte Deutschland noch einmal danken für alles, was für uns Flüchtlinge getan wird, während Saudi Arabien - und auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas - uns die Einreise verweigert haben. Mein Traum ist, nach Palästina auszuwandern. Und dass mir geholfen wird, so bald wie möglich mit meiner Familie zusammenzukommen.

Das Gespräch führte Rim Dawa.