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Türkei und Russland

Thomas Seibert5. März 2014

In einem Prozess in Istanbul wirft die türkische Staatsanwaltschaft mutmaßlichen Agenten des russischen Geheimdienstes vor, tschetschenische Aktivisten in der Stadt ermordet zu haben.

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Eine russische und türkische Flagge (Foto: Reuters)
Ein Prozess gegen russische Staatsbürger in der TürkeiBild: Reuters

In einer Februarnacht des Jahres 2009 starb der tschetschenische Islamist Ali Osajew auf einer Straße der türkischen Metropole Istanbul. Der Mörder schoss Osajew drei Mal aus nächster Nähe ins Gesicht. Zwei Jahre später stiegen drei andere tschetschenische Aktivisten aus ihrem Wagen im Istanbuler Stadtteil Zeytinburnu, wo Unbekannte mit geladenen Schusswaffen auf sie warteten. Die drei starben im Kugelhagel, die Täter machten sich davon.

Nun werden die in der türkischen Öffentlichkeit als "Tschetschenen-Morde" bekannten Gewaltverbrechen juristisch aufgearbeitet. Seit dieser Woche steht der mutmaßliche Mörder Osajews, genannt "Zona", vor einem Istanbuler Gericht. Er war 2012 am Istanbuler Flughafen festgenommen worden. Staatsanwalt Gökhan Sayin hält die Schuld des mutmaßlichen Agenten des russischen Geheimdienstes FSB für erwiesen und stützt sich dabei unter anderem auf Bilder von Überwachungskameras und Observationsmaterial des türkischen Geheimdienstes. "Zona" besuchte demnach sogar die Beisetzung Osajews wenige Tage nach dem Mord. Der Angeklagte weist alle Vorwürfe zurück, die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft.

Staatsanwalt sieht Verwicklung des FSB als erwiesen

Anders als im Mordfall Osajew kann die Staatsanwaltschaft bei der Ermordung der drei anderen tschetschenischen Aktivisten, Berg-Khas Musajew, Zaurberk Amrijew und Rustam Altemirow, keine Angeklagten vor Gericht bringen, so dass in Abwesenheit gegen sie prozessiert wird. Bei den mutmaßlichen Tätern handelt es sich laut Anklage um zwei weitere Agenten des russischen Geheimdienstes FSB. Sie sollen nach dem Dreifach-Mord der türkischen Polizei entkommen und unbehelligt aus dem Land entwichen sein.

FSB Zentrale Lubjanka in Moskau, Russland (Foto: Imago Hansjörg Hörseljau )
Kamen die Mörder aus Lubjanka, dem Sitz des Geheimdienstes FSB?Bild: imago/Hansjörg Hörseljau

Aus Sicht der Anklage besteht kein Zweifel daran, dass sowohl die Schüsse auf Osajew als auch die in Zeytinburnu von Moskau angeordnet wurden, um tschetschenische Rebellen aus dem Weg zu räumen. Osajew war in Istanbul Regionalchef des Kaukasus-Emirats, einer militant-islamistischen Gruppe, die von Russland und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Mindestens zwei der drei Opfer von Zeytinburnu waren laut Presseberichten ebenfalls dem Emirat zuzuordnen.

"Ein Wendepunkt"

In der Türkei, wo bis zu fünf Millionen Menschen leben, die aus der Kaukasus-Region stammen, gibt es traditionell große Sympathien für Tschetschenen und Tscherkessen. Die russischen Feldzüge in Tschetschenien in den vergangenen Jahrzehnten hatten erneut Flüchtlinge in die Türkei gespült. Tschetschenische Verbände werfen den russischen Behörden schon lange vor, mit Gewalt gegen vermeintliche Rebellen im Ausland vorzugehen. Deshalb sei der jetzt begonnene Prozess in Istanbul "ein Wendepunkt", sagte Murat Özer, Chef des Tschetschenen-Verbandes Imkander, der Deutschen Welle.

Zum ersten Mal habe der türkische Staat offiziell in einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft den russischen Staat für politische Morde in der Türkei verantwortlich gemacht, sagte Özer. Er war sehr zufrieden mit der Haltung des Gerichts am ersten Prozesstag. Richter Ilhami Yilmaz wies den Antrag der Verteidigung zurück, den Mord an Osajew und die Zeytinburnu-Morde in getrennten Verfahren zu untersuchen: Offenbar gehe das Gericht davon aus, dass beide Taten "von derselben Organisation" verübt worden seien, sagte Özer.

Morde an Tschetschenen auch in anderen Staaten

Am 21. April soll weiter verhandelt werden; bis zu einem Urteil dürften Monate vergehen, besonders falls das Gericht beschließt, sich das Phänomen der Morde an Exil-Tschetschenen grundsätzlich anzuschauen. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte 2002 erklärt, internationale terroristische Gruppen würden gejagt, "wo immer sie sich aufhalten".

Erdogan und Putin Treffen in Moskau (Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin)
Wollen gute Beziehungen nicht gefährden - türkischer Regierungschef Erdogan und russischer Präsident PutinBild: REUTERS

Im Jahr 2004 veurteilte ein Gericht in Katar zwei russische Agenten wegen der Ermordung des Rebellenchefs Selimchan Jandarbijew zu lebenslanger Haft. Moskau erklärte, die Männer seien unschuldig. Vor fünf Jahren warf die Polizei in Dubai einem pro-russischen Tschetschenenpolitiker aus Russland vor, den Mord an dem Rebellen Sulim Jamadajew organisiert zu haben.

Experte erwartet Schadensbegrenzung

Bisher hat sich die türkische Regierung nicht zu möglichen politischen Folgen der Istanbuler "Tschetschenen-Morde" geäußert. Sollte das Istanbuler Gericht jedoch zum dem Schluss kommen, dass Moskau hinter den Gewalttaten stand, wird Ankara unter Druck geraten, das Thema bei der russischen Regierung zur Sprache zu bringen.

Orkhan Gafarli, Russland-Spezialist bei der Istanbuler Denkfabrik Bilgesam, erwartet dennoch keine grundsätzliche Krise in den Beziehungen. "Es wird Irritationen zwischen den Regierungen geben, aber der Fall wird die Beziehungen nicht bis ins Mark erschüttern", sagte Gafarli der Deutschen Welle.

Schließlich hätten beide Seiten ein Interesse daran, die politischen Folgen der "Tschetschenen-Morde" zu begrenzen, so Gafarli. Bislang besteht zwischen der Türkei und Russland ein gute Verhältnis: Russland liefert der Türkei rund 55 Prozent ihres Erdgasbedarfs und 12 Prozent des von den Türken benötigten Rohöls. Russische Firmen sollen das erste türkische Atomkraftwerk bauen. Die Zahl russischer Urlauber in der Türkei steigt rasant und liegt derzeit bei 4,3 Millionen im Jahr.