1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die umstrittene Reform

Anne Allmeling14. März 2013

Weniger Geld für Langzeitarbeitslose, Einschnitte im Gesundheitssystem, spätere Rente: Die "Agenda 2010" war die größte Sozialreform der Nachkriegszeit. Wie viel sie bewirkt hat, ist bei Experten umstritten.

https://p.dw.com/p/17ueI
Gerhard Schröder spricht 2003 zur Agenda 2010 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Hans-Peter Klös hat keinen Zweifel: Dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland heute deutlich niedriger ist als vor zehn Jahren, liege vor allem an der "Agenda 2010", meint er. Der Leiter des Wissenschaftsbereichs Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist davon überzeugt, dass das umfassende Reformpaket entscheidend war für positive Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. "Wir stehen im internationalen Vergleich nicht mehr am Ende von Ranglisten, sondern eher im oberen Drittel", sagt Klös im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Das heißt, man schaut von Europa aus nach Deutschland und fragt sich: Wie konnte das im positiven Sinne passieren?"

Deutschlands umstrittenste Reform

Umbau der Sozialsysteme

Der Wirtschaftsexperte ist nicht der Einzige, der eine positive Bilanz zieht - im Gegenteil: Viele namhafte Politiker loben in diesen Tagen die "Agenda 2010", die nun genau zehn Jahre alt wird. Hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich ein Konzept zum Umbau der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes in Deutschland. Den Startschuss dazu gab der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (Artikelbild) mit seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 im Bundestag: "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen", sagte der SPD-Politiker damals.

Konkret bedeutete das unter anderem die Einführung der Rente mit 67, höhere Zuzahlungen für Krankenversicherte sowie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die unter dem Namen "Hartz IV" bekannt wurde. Sie löste heftige Debatten aus - selbst innerhalb der Regierungspartei. Denn für viele Arbeitslose bedeutete "Hartz IV" weniger Unterstützung vom Staat: Der Regelsatz liegt bei 382 Euro pro Monat zuzüglich Miet- und Heizkosten. Wer die Förderung in Anspruch nimmt, muss außerdem regelmäßig beim Arbeitsamt vorsprechen und im Zweifel auch anspruchslose Jobangebote annehmen. Eine Pflicht, die bei vielen erfahrenen, aber arbeitslosen Facharbeitern gerade in strukturschwachen Gebieten für Unmut sorgt.

Eine Demonstrantin protestiert gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung (Foto: AP)
Die Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe hat zu zahlreichen Protesten geführtBild: picture-alliance/dpa

Schwachstelle Niedriglohn

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin, beurteilt die "Agenda 2010" und vor allem die Einführung von "Hartz IV" negativ. "Hartz IV hat dazu geführt, dass wir einen außerordentlich großen Niedriglohnsektor in Deutschland bekommen haben", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Heute arbeitet fast ein Viertel der abhängig Beschäftigten für Stundenlöhne unter 9,15 Euro, im Schnitt sogar für 6,60 Euro pro Stunde. Das sind die Folgen der 'Agenda 2010'."

Diese Schieflage hat selbst SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier eingeräumt. Als damaliger Kanzleramtsminister hatte er die Reformen maßgeblich mitgestaltet. Dennoch ist er überzeugt, dass die "Agenda 2010" Deutschland vor einem wirtschaftlichen Niedergang bewahrt habe. "Wenn Schröder damals so mutlos regiert hätte wie Angela Merkel heute, stünden wir jetzt in einer Reihe mit Italien, Frankreich und Spanien vor deutlich größeren Problemen inmitten der Euro-Krise", sagte Steinmeier.

Frank-Walter Steinmeier (Foto: dapd)
Frank-Walter SteinmeierBild: dapd

Ob es tatsächlich die Arbeitsmarktreformen waren, die zum Rückgang der Arbeitslosenquote geführt haben, ist umstritten. Fakt ist, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland in den vergangenen sieben Jahren stark gesunken ist. Statt mehr als fünf Millionen Menschen im Jahr 2005 suchten 2012 nur noch drei Millionen Menschen Arbeit. Dass im Bereich des Niedriglohnsektors nachgebessert werden muss - darin sind sich die Experten einig.