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Afrika - ganz ohne Horror

Christine Harjes16. September 2006

Krisen, Kriege, Katastrophen - dieses Bild malen die westlichen Medien in der Regel von Afrika. Die Texte der afrikanischen Autoren auf dem Internationalen Literaturfestival in Berlin vermitteln einen anderen Eindruck.

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Senegal: Mehr als eine dunkel lockende WeltBild: Jan Michael Ihl

Der Titel schwingt zwischen Mystik und harter Realität: "Von Marabuts, Sonnenkönigen und den Kriegen in Afrika". Unter diesem Motto stellten vier afrikanische Autoren im Rahmen des 6. Internationalen Literaturfestivals Auszüge aus ihren Werken vor. Dem Titel gerecht wurden sie dabei aber nicht. Zum Glück. Allein der Marabut tauchte in der "langen Nacht der frankophonen Literaturen" auf: Die Senegalesin Aminata Sow Fall lässt die islamischen Heiligen in ihrem Roman "Der Streik der Bettler" auferstehen. Das war's dann aber auch schon mit afrikanischer Zauberei.

Bei Aminata Sow Fall gibt's stattdessen knallharten Kapitalismus, gegen den sich die Bettler auflehnen und eine echte Powerfrau. Sie organisiert den passiven Aufstand der Armen. Die Reichen seien auf die Bettler angewiesen, um ihr Gewissen zu beruhigen und sich so den vermeintlichen Platz im Paradies zu sichern, erklärt die Anführerin des Streiks. Kein Thema für westliche Leser befand Aminata Sow Falls Verleger im Senegal. "Der Direktor des Verlages war wirklich wütend, als er von meiner Idee hörte", sagt die 65jährige Schriftstellerin. Das seien lokale Angelegenheiten; westliche Leser verstünden das nicht.

Literaturfestival Berlin 2006 - Großbild
Lesung mit Aminata Sow Fall (2. v.li.)Bild: DW/Christine Harjes

Streikende Bettler

Aminata Sow Fall, die in Frankreich Literaturwissenschaften studiert hatte, schätzte die westlichen Leser anders ein und lag richtig: "Ich habe dem Verleger geantwortet: 'Ich weiß von den Menschen im Westen, dass sie froh wären, wenn man ihnen sagt, die Bettler werden in Streik gehen. Die werden sich freuen.'" Und tatsächlich ging die Resonanz auf die streikenden Bettler nicht nur über den Senegal, sondern über ganz Afrika hinaus: Der Roman wurde in elf Sprachen übersetzt und außer in Afrika in Europa und den USA als Theaterstück aufgeführt und sogar verfilmt.

Vatikanische Prostituierte

Abdourahman Waberi
Abdourahman Waberi stellt die Welt wenigstens fiktiv auf den KopfBild: DW/Christine Harjes

Auch der dschibutische Autor Abdourahman A. Waberi stellt bekannte Denkmuster auf den Kopf. In seinem Roman "Vereinigte Staaten von Afrika", der 2006 auf Deutsch erschienen ist, beschreibt er zwar Krisen und Katastrophen. Die aber liegen im armen "Euramerika" und so verdanken in diesem Buch denn auch leprakranke Kinder aus Luxemburg, Frankreich und Flandern ihr Leben den Essensüberresten afrikanischer und asiatischer Völker. Da gibt es den "alleralltäglichen sahelischen Komfort" und zwischen Eritrea und seinen Nachbarn fließen "schwindelerregende Kapitalströme". Der 40jährige Waberi, der seit 20 Jahren in Frankreich lebt, führt der westlichen Welt so ihre Klischees über Entwicklungsländer vor. Bei seiner Lesung auf dem Literaturfestival sorgt er unter anderem mit seinen "monegassischen und vatikanischen Prostituierten allerlei Geschlechts", die "an den Stränden von Djerba und der kobaltblauen Bucht von Algier" ihr Glück suchen, für gute Stimmung.

Die Schweiz als ethnisches Pulverfass

Waberi ist ein guter Entertainer. Im Gespräch mit dem Publikum macht er dann auf die 'realen' Brandherde in Europa aufmerksam. So sei die Schweiz ein ethnisches Pulverfass. Vier Sprachen, keiner versteht den anderen und dann noch zwei Religionen - da sei der ganz große Konflikt doch absehbar, sagt er und grinst breit. "Oder Frankreich: Alle drei Jahre gibt es hier Auseinandersetzungen über den Mont St. Michel. Gehört er nun den Bretonen oder den Normannen?"

Ohne feste Identität

Während sich Waberi als Nomade empfindet, spricht der Autor und Politiker Henri Lopès im Interview mit DW-WORLD.DE von sich als "ohne feste Identität." So, wie manche Menschen ohne festen Wohnsitz seien. Lopès wurde 1937 in Léopoldville, dem heutigen Kinshasa in der DR Kongo geboren. Aufgewachsen ist er im Nachbarland, der späteren Republik Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik. Mit 12 Jahren schickten ihn seine Eltern - Mestizen - zur Ausbildung nach Frankreich.

Nach dem Studium ging er zurück nach Brazzaville, wo er von 1973 bis 1975 das Amt des Ministerpräsidenten der Republik Kongo bekleidete. Seit Anfang der 1980er Jahre lebt er wieder in Frankreich. In Paris war er als stellvertretender Generaldirektor für die UNESCO tätig. Seit 1998 repräsentiert er sein Land als Botschafter in Frankreich. Auch wenn Lopès nicht von der Politik loskommt: Die Literatur sei das bessere Mittel, um etwas zu bewegen, sagt der Diplomat. Auch wenn sie vielleicht weniger effizient, weniger schnell und nicht so sichtbar wie die Politik sei.

Identität von morgen

Henri Lopes
Autor und Botschafter der Republik Kongo in FrankreichBild: DW/Christine Harjes

Lopès, der seine "tausend verschiedenen Identitäten" während seiner Jugend als Drama empfunden hat, will mit seinen Geschichten Leser unabhängig vom Kulturkreis berühren. Die Kulissen und die Charaktere seiner Romane seien zwar afrikanisch, sagt Lopès. Das Innenleben seiner Figuren solle aber auch Menschen berühren, die noch nie in Afrika waren. "So wie mich Dostojewski berührt, auch wenn es für mich schwierig ist, die Namen der Charaktere auszusprechen. Selbst wenn mich das in manchen Momenten vielleicht ablenkt." Lopès, der seine Identität als "echte Mischung" bezeichnet, beschäftigt sich auch in seinen Werken mit verschiedenen Identitäten. "Ich teile meine Identität in drei Teile - ich hätte sie aber auch in 1000 aufgliedern können", sagt der Schriftsteller. So spricht er aber von seiner afrikanischen, seiner intellektuellen und seiner persönlichen Identität. Diese Mischung aus Identitäten sieht er als "Identität von morgen". Er möchte jungen Leuten Mut machen, verschiedene Abstammungen oder Herkunftsorte als Gewinn zu sehen.

Bei der langen Nacht der frankophonen Literatur liest er aus seinem Roman "Dossier classé", in dem ein amerikanischer Journalist, dessen Eltern aus Afrika stammen, in das Heimatland seiner Eltern geschickt wird, um von dort zu berichten. Aber er fühlt sich dort als Fremder und schämt sich dafür: "Ich, der in der Zeitung die Authentizität meiner Herkunft zur Schau stelle." Bei Lopès nähert sich der Ich-Erzähler seinen afrikanischen Wurzeln über die Musik an, der ja angeblich universellsten aller Sprachen.

Liebe wie im Fiebertraum

Lautmalerisch, lyrisch, repetitiv - fast wie Musik selbst klingt die Literatur des 1967 geborenen madagassischen Schriftstellers Jean-Luc Rahiramanana. Er liest aus "Mahasahy", einer Mischung aus Gedicht und Erzählung aus seinem Band "Haut der Nacht". Sein Thema: die Liebe. Und trotz des allzu bekannten Themas wird es jetzt "fremdartig". Rahiramanana reiht kurze Sätze aneinander und schafft eine dichte Atmosphäre, die an einen Fiebertraum erinnert. Vielleicht ist es da ganz passend, dass er als letzter Autor die lange Nacht der frankophonen Literatur beschließt. Eine Nacht, die ihre Zuhörer ganz ohne die drei afrikanischen K's in hoffentlich ruhigere Träume entlässt. Eine Nacht ohne Krisen, Katastrophen oder Kriege.